Fake-Biografie von Stefan Römer: Stan Back ist verschwunden
In Costa Rica hat der Nordpazifik Stan Back mitgenommen. Aus seinem Nachlass entstammt eine Biografie, die viele Rätsel aufgibt.
Wasser und Frauen. Das müssen große Leidenschaften neben der Kunst gewesen sein. Das Surfen, die Clubs. Der Rausch hat ihn interessiert, die Überschreitung von Grenzen und dann auch die Verschmelzung. „Musikmachen, Ausgehen, Sex – wann immer möglich.“ Stan Back, 1965 in der damaligen Tschechoslowakei geboren, muss ein guter Liebhaber gewesen sein. Kein narzisstisch gekränkter Aufschneider, kein impotenter Protz, sondern jemand, der Frauen wirklich mochte. Er selbst war keine Schönheit, aber doch irgendwie männlich. Und er war Kerl genug, um aufrichtig angewidert zu sein von jeder Art von Opportunismus und Indiskretion. Seit drei Jahren, heißt es, sei er verschwunden.
In Costa Rica soll ihn der Nordpazifik mit sich genommen haben, und die Frau, die mit Stan das Hotelzimmer teilte („unbeschreibliches Vergnügen“), soll geistesgegenwärtig genug gewesen sein, seine Sachen zu sichern. Das Notebook vor allem, ein paar T-Shits, vielleicht das Buch über Machiavelli.
In der Schule hatte er es gelesen und vor wenigen Jahren, während es ihm in einem indischen Restaurant in der Berliner Oranienburger Straße nicht gelang, das Szenegeplapper am Nachbartisch zu überhören, wieder darin geblättert. Woher man das weiß? Gute Frage. Da steht es, könnte man sagen. Schwarz auf weiß.
„The ups and downs of Stan Back“, das sagen Pressemitteilung und Internet, entstammt dem Nachlass eines „ruhelosen“ Künstlers, eines unbeugsam empfindenden Außenseiters. Diesem ersten sollen weitere Bände folgen. Jules Beauregard, die Frau aus dem Hotelzimmer, liest man, halte ihre schützende Hand über den Computer. Der Künstler Stefan Römer verantwortet mit Renate Wiehager, Direktorin der Daimler Kunst Sammlung, die Edition. Man spielt seine Songs, organisiert Lesungen, bei denen die Amerikanerin Beauregard allerdings fehlt, weil angeblich irgendetwas mit dem Flugzeug nicht stimmt.
Sehnsucht ist überall
Immerhin steht ihr Name über dem Vorwort. Angekündigt werden Fotos und Zeichnungen, Gespräche mit Freunden. Es sind Erzählungen aus der „leeren Mitte Berlins“, mehrstimmige Protokolle, Beobachtungen. Nach München führt die Erinnerung, ins Köln der 80er Jahre zu Spex, in den nächtlichen Garten einer angesagten Galerie. Was passierte, wenn Martin Kippenberger den Raum betrat? Warum hasste Stans Freundin die Kunstszene und liebte Punk-Konzerte im offenen Atelier?
Was klingen könnte, als bediene es die Hoffnung auf Skandal, tut das gerade nicht. Stans Blick gehorcht den Erwartungen nicht und bleibt den höhnischen Anpassungsstrategien des Erfolgs gegenüber fremd. Im Fernseher läuft eine Bambi-Verleihung. Stan betrachtet – und zwar durch den aufsteigenden Wasserdampf einer Tasse Tee hindurch – die brutale Welt einer Burda-Party. Wasser. Da ist es wieder, Stans Element.
Man könnte ihn für einen Bruder jener Nixen und Undinen halten, die in den Texten der Romantik für Unruhe sorgen. Die Sehnsucht jedenfalls ist überall. Auch auf den Fotos. Stan hat lesende Freunde fotografiert. Männer, Frauen, Paare. Eine hübsche junge Frau liegt in einem netzartigen T-Shirt auf dem Bett. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, scheint sie von der Lektüre auszuruhen. Die Kamera touchiert einen jugendlich-prallen Busen, blickt auf das Buch auf dem Nachttisch: Georges Bataille. „Das obszöne Werk“. Das erotische Arrangement der Lektüre wirkt ein bisschen albern, aber diese pathetische Seite, wenn es um Freundschaft und Liebe geht, gehört bei Stan Back wohl dazu. Man hat keine Lust, es ihm übel zu nehmen oder Kalkül zu unterstellen.
Insider können den Außenseiten erkennen
Sicher. Man hätte sie sofort durchschauen können: die Inszenierung, das Spiel. Man muss Stefan Römer ja nur einmal gesehen haben. Das Coverfoto, das angeblich Stan Back zeigt, zeigt in Wahrheit ihn. 1960 geboren, 1998 mit einer brillanten Arbeit über den Begriff des Fake bei Horst Bredekamp promoviert. Künstler. Autor. Professor. Seine Studenten und Kollegen werden vermutlich finden, die Konstruktion sei zu offensichtlich geraten. Darin liegt Ironie: die Szene-Insider können den Außenseiter Stan nicht erkennen.
Das können nur die, die draußen sind. Sie verbringen Zeit mit dem Surfer, den es nie gegeben hat, und wünschen sich, dass er, der mit Stefan Römer Freunde, Sprache, Gedanken, man könnte sagen ein Leben, sonst aber gar nichts, noch nicht einmal ein Geburtsdatum teilt, seine Kritik laut und in einer Talkshow geäußert hätte! Er hätte es allen gezeigt und sich sogar getraut, Christoph Schlingensief zu fragen, ob er sein Charisma nicht stark für die Öffentlichkeit benutzt.
Bis hierhin die Projektion. Sie geht in Ordnung, übrigens auch für Stefan Römer, der sich viele dieser hemmungslosen Fantasien wünscht. „Es ist ja kein dokumentarischer Text“, sagt er und lacht, als finde er Vergnügen daran, Stans Schicksal nicht kontrollieren zu können.
Abstruse Daten sorgen für Enttarnung
Der Leser muss sich um die Kontrolle kümmern. Auch das ist eine Ironie des Fake, der die Aufklärungswerkzeuge in der Westentasche bei sich trägt. Im Unterschied zur Simulation interessiert ihn die perfekte Täuschung nicht, und mit abstrusen Datierungen sorgt er für die eigene Enttarnung. Rainald Goetz’ Buch „Loslabern“ kommt bei Stan drei Jahre vor dem tatsächlichen Erscheinungsdatum vor. Wer anderer als ein absichtlich/unabsichtlich ungeschickter Erzähler könnte solche Daten platzieren? Ein Programmierer oder Fälscher von Rang gewiss nicht.
Stan Back ist also gar nicht verschwunden. Er ist eine Erfindung, eine Art Werther der neuen Medien, den kein Geheimdienst ausspähen kann. Allein das macht ihn zu einer begehrenswerten Figur, einem echten Träger von Erinnerung. Im Zwischenraum des Fake ist man vor Überwachung sicher. Was denkst du wirklich? Nichts ist schwieriger zu ergründen.
„The ups and downs of Stan Back“. Herausgegeben von Stefan Römer und Renate Wiehager. Vorwort von Jules Beauregard. Textem Verlag, Hamburg 2013, 80 Seiten, 24,80 Euro
Wo ist Stan Back? Wo auch immer, schau nach in deinem Kopf. Er weiß um den Unterschied zwischen der Wucht einer Pazifikwelle, die einen Surfer, wie es bei Stan heißt, „eine unendlich erscheinende Zeit auf den Meeresgrund drücken kann“, und dem, was man heute meistens unter Surfen versteht.
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