: Fahrlässige Tötung oder Unfall?
Neues Verfahren um den 1985 von einem Wasserwerfer der Polizei überrollten Demonstranten Günter Sare in Frankfurt/Main/ Fahrer des Wasserwerfers sagte gestern aus ■ Von Heide Platen
Frankfurt/Main (taz) — Pünktlich auf die Minute begann gestern am frühen Morgen der 6. Strafsenat des Landgerichts in Frankfurt die Neuauflage des Verfahrens gegen den Wasserwerferkommandanten Winfried Reichert und den Wasserwerferfahrer Helwig Hampl.
Beide gehörten zur Besatzung des 26-Tonnen-Fahrzeugs (WaWe 9), das am 28. September 1985 beim Schutz einer NPD-Versammlung den 36jährigen Gegendemonstranten Günter Sare überollt und getötet hatte. Im März 1988 waren beide vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Nebenklägerinnen, Mutter und Schwester des Getöteten, hatten beim Bundesgerichtshof Einspruch gegen das Urteil erhoben. Die Bundesrichter gaben der Revision statt und bemängelten vor allem, daß die damals urteilende 31. Strafkammer verkehrsrechtliche Aspekte zu wenig berücksichtigt hatte. Es komme bei der Frage, ob die Angeklagten den Tod des Günter Sare hätten verhindern können, nicht nur darauf an, wann er von dem Wasserwerfer erfaßt worden sei. Das Gericht habe „übersehen“, daß dessen „tödliche Verletzungen...erst durch das nachfolgende Überrollen des nach vorne weggeschleuderten und auf der Fahrbahn liegenden“ Günter Sare „mit den Reifen der vorderen Hinterachse“ verursacht worden seien.
Das Landgericht hatte sich seinerzeit in seiner Urteilsfindung in mehrere Gutachten zu einem Foto verstrickt, das Sare kurz vor seinem Tod, von Gegenlicht geblendet, im Strahl des Wasserwerfers taumelnd, zeigen soll. Es kam zu dem Schluß, daß der Mann auf dem Bild ein anderer gewesen sein müsse.
Zur Neuauflage des Prozesses war gestern zur Überraschung der Öffentlichkeit Kommandant Reichert persönlich erschienen. Er widerlegte damit zahlreiche Gerüchte, daß er wegen psychischer Probleme nicht mehr verhandlungsfähig sei. Zur Sache wollte er sich, wie schon im ersten Prozeß, auch diesmal vorerst nicht äußern.
Sein Kollege Hampl schilderte noch einmal, daß er an diesem Abend den zweiten Einsatz gefahren sei, um den „kleinen“ Wasserwerfer 4 (WaWe 4) zu entlasten, der von Demonstranten bedrängt und beworfen worden sei. Er habe im Bereich der Kreuzung Frankenallee/Hufnagelstraße niemanden auf der Fahrbahn gesehen. Auf den Unfall sei er erst durch den Kommandanten aufmerksam gemacht worden, der ihn mehrmals zum Anhalten aufforderte: „Wir haben einen erwischt!“, soll Reichert damals zu ihm gesagt haben. Danach habe er „Angst gehabt“ und sei mit den beiden Kollegen, die die Rohre bedienten, im Fahrzeug sitzen geblieben. Über Funk habe er einen Notarztwagen und Verstärkung angefordert. Warum das Tonbandgerät im Wasserwerfer, das den Sprechfunkverkehr der Besatzung mit der Einsatzleitung aufzeichnet, an diesem Abend abgeschaltet war, konnte Hampl auf Befragen auch diesmal nur unzureichend erklären. „Das Ding“ sei ihnen, zusätzlich zu dem durch Rauschen und Knattern gestörten Funkverkehr, „einfach auf den Wecker gegangen“. Im Gegensatz zum ersten Verfahren war das Interesse der Öffentlichkeit an der Neuauflage gestern nur gering. Gerade eine Handvoll Zuhörer fand sich im Gerichtssaal 123 A ein. Der Prozeß wird heute mit der Vernehmung zweier Fotografen, eines Anwohners und eines Wasserwerfer-Experten fortgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen