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Fäuste statt Ellenbogen

Fitnessfreaks und Boxromantiker, aufgepasst: Zwei ambitionierte Profitrainer bieten in Weißensee „Managerboxen“ an. Für nur 56 Euro gibt es ein „mörderisches Trainingsprogramm“. Doch das zieht eher Bürohengste als gestandene Manager an

von ANDREAS RÜTTENAUER

Es gibt zwei Möglichkeiten, den Ort zu beschreiben, in dem die beiden Boxtrainer Thomas Fritzsche und Raimund Jessen ihr Programm anbieten. Boxromantiker wären begeistert von der engen Treppe in das Untergeschoss, von dem spärlich beleuchteten Gang, der in einer stillgelegten Bowlinganlage endet, hinter der ein winziger Trainingsraum liegt, über dem der Geruch von altem Schweiß hängt. Es könnte die kleine Boxschule sein, aus der sich einer von ganz unten nach ganz oben boxt.

Der kleine Übungsraum mit Boxutensilien wäre aber ebenso richtig beschrieben als Sichtbetonanhängsel einer aus dem Boden gestampften Fitnessfabrik. „jump’s“ nennt sich die Freizeitsportanlage in Weißensee und neben Squash- und Badmintoncourts werden auch Kampfsportkurse angeboten.

„Denkt dran: Ihr könnt jetzt euren Chef verkloppen!“ Trainer Jessen will, dass sich seine Schützlinge richtig verausgaben. Die versammelten Trainingsgäste haben den Kurs „Managerboxen“ gebucht. Für 56 Euro im Monat absolvieren sie ein mörderisch anmutendes Trainingsprogramm – freiwillig. Als die Republik Mitte der 1990er-Jahre mitten im Aktienboom noch vom Henry-Maske-Fieber infiziert war, tauchten auf immer mehr Motivationsseminaren für Führungskräfte auch Boxlehrer auf. Boxvereine und Kampfsportschulen sprangen auf diesen Zug auf. Mit dem Begriff „Managerboxen“ konnten Fitnessjünger für das Faustkampftraining gewonnen werden, für deren gepflegte Hände ansonsten die einzige Belastung das Bearbeiten einer Computertastatur war. 20 Freizeitboxer versammeln sich mehr oder weniger regelmäßig im Weißenseer Kellerraum.

Manager im klassischen Sinne sind die wenigsten von ihnen. „Immerhin trainieren zwei Rechtsanwälte mit.“ Cheftrainer Fritzsche ist fast ein wenig stolz auf die zwei Advokaten in seiner Truppe. Die meisten Teilnehmer haben Bürojobs. „Für die ist das unheimlich wichtig“, so Fritzsche.

Von jeglichen Motivationstheorien unberührt, ziehen die beiden Trainer, beides ehemalige Boxsportler, ihr Programm durch. Dem Jedermannboxen gilt ohnehin nicht ihr Hauptaugenmerk. Immer wieder kommen sie auf die Profis zu sprechen, die sie betreuen. „Das ist, sage ich mal, schon ein Ziel, das man hat, dass man mal jemanden rausbringt“, beschreibt Fritzsche seine Träume als Trainer. Dann steigt er in den Ring, um nacheinander den KFZ-Meister, den Verwaltungsangestellten der Stadtreinigung und den Mitarbeiter einer Telekommunikationsfirma zu bearbeiten.

Anderthalb Stunden dauert das Training nun, die Freizeitsportler haben Sandsäcke der verschiedensten Formen bearbeitet, auf das Schlagpolster in der Wand eingehämmert und sehen so aus, als wären sie froh, wenn das Training bald enden würde. Doch es ist noch nicht so weit. „Intervall“, ruft Jessen in die Runde. Jetzt hält immer einer den Sandsack fest, auf den ein anderer in möglichst kurzen Intervallen einzutrommeln hat. Als alle so aussehen, als müssten sie gleich ärztlich betreut werden, kommt die nächste Tortur auf die Freizeitboxer zu. In Rückenlage müssen die Bauchmuskeln so lange angespannt werden, bis der ganze Körper zittert. Jetzt ist es überstanden.

„Das kommt dem Profitraining ziemlich nahe“, meint Thomas Fritzsche. Wieder ist er bei seinem Lieblingsthema. Der Name des legendären Maske-Trainers Fritz Sdunek fällt: „Das sind halt so die Träume, wenn man anfängt.“ Derweil sind die Freizeitboxer unter der Dusche. „Ist auch gut gegen den Bauch“, meint einer hinterher, ein anderer: „Ausdauermäßig ist das das beste Training, das ich mir vorstellen kann.“ Sie sprechen von der mentalen Entspannung, die ihnen das Training biete. Derweil denken die Trainer schon an den nächsten Tag, an dem ihre drei Profis zum Sparring verabredet sind. Ihre Trainingsgruppe kennt die Ambitionen ihrer Trainer, begleitet sie zu den kleinen Boxabenden, an denen deren Schützlinge sich stellen. Aus den Fitnesskunden der Freizeitfabrik sind wahre Boxromantiker geworden.

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