: Fäkalien zwischen Felgen und Flick-Flack
■ Der beste deutsche Turner, Andreas Wecker, fordert die Disziplinierung des ausfälligen Westkollegen Mike Beckmann
Lichtenberg. Man hätte eine Nadel fallen hören können: Die kleine Anton-Saefkow-Halle im Norden Berlins war zwar fast voll, gemerkt hat man das jedoch nur zeitweise, so angespannt waren nicht nur die Turner, sondern auch das Publikum.
Es ging um viel: 42 Turner erkämpften sich die Plätze im neu zu gründenden A/B-Kader. Der Deutsche Turnverband der DDR war an den Deutschen Turnerbund angeschlossen worden, der nun, ganz in Gönnerlaune, Plätze für 18 Aktive in der neuen deutschen Auswahl zur Verfügung stellte. Keine Frage, daß die Athleten aus den annektierten Bundesländern den »Wessis« überlegen sein sollten. Andreas Wecker aus Berlin setzte sich souverän an die Spitze, gefolgt von Ralf Büchner aus Potsdam und Andre Hempel aus Cottbus. Mike Beckmann als bester Westler war immerhin auf dem fünften Rang. »Ich bin angenehm überrascht von den beiden Wettkampftagen«, freute sich Turnwart Eberhard Gienger. Man müsse doch bedenken, wie lang die Saison gewesen sei, welch anstrengende Wettkämpfe es gegeben habe und wie die Turner sich jetzt nochmals so bemühen konnten.
Andreas Wecker rechnete vor, daß er seit September kein einziges Wochenende mehr für sich gehabt hätte. Trotzdem mußte er nochmal alles geben, tat es und turnte fehlerfrei, abgesehen von einem Schönheitsfehler am Boden, als er nach einem Flugteil mit den Händen die Fläche berührte. Für den 20jährigen Berliner war jetzt die Stunde Null. Jetzt sei er im DTB-Kader, habe eine gute Ausgangsposition, wolle und könne sich nun auf neue, schwierigere Übungen konzentrieren. Aufatmen und Erleichterung waren deutlich zu sehen im Gesicht des zur Zeit besten deutschen Turners.
So mancher ließ sich zu wahren Lobeshymnen hinreißen, denn der Gesamteindruck der Kaderwettbewerbe ließ nichts zu wünschen übrig: Vom »Höhepunkt der Vereinigung« sprach Sportdirektor Eduard Friedrich, vom »Ende der Ost-West-Auseinandersetzung« Bundestrainer Klaus Milbradt. Bezüglich der physischen Leistungen hatten sie alle recht. Keiner der Athleten ließ sich hängen, alle gaben, was sie geben konnten. Daß die »Ossis« allgemein noch einen deutlichen Leistungsvorsprung hätten, lasse sich unter anderem damit erklären, daß alle in einem Olympiazentrum oder in unmittelbarer Nähe aufgewachsen seien und schon als Kinder an den richtigen Geräten gestanden hätten.
Für die Weststarter traf dies bei keinem zu. Viel lockerer und entspannter turnten die Ossis, viel leichter und unverkrampfter. Doch die eine Mannschaft, wie sie von den Funktionären gern nach außen dargestellt wird, gibt es noch nicht. Andreas Wecker, lange geplagt von der Disharmonie, stellte sich gleich einer Handvoll Journalisten: »Der Ost- West-Kampf geht weiter.«
Das Verhalten von Mike Beckmann, dem noch amtierenden Deutschen Meister, könne in der künftigen WM-Mannschaft, die Anfang 1991 gebildet werde, nicht toleriert werden. Als Beckmann seine Pflichtübung am Reck total versaute, schimpfte er in der Fäkalsprache und zog in der Ecke »eine Show ab«, wie Wecker formulierte. Dies sei unfair und unsportlich den anderen gegenüber. Beckmanns turnerisches Können bezweifelt wohl niemand, und jeder weiß auch, daß er in einer gesamtdeutschen Mannschaft vorne mitmischen kann. »Man kann sich mit ihm auch unterhalten, aber nicht, wenn die Sprache auf unser früheres System und die entsprechenden Umstände kommt«, beklagt Wecker.
Ständige Provokationen belasteten das Verhältnis. Beckmann habe zu viele Vorurteile, wirke rechthaberisch und arrogant. Getroffen sei der Berliner gewesen, als Beckmann ihm Doping vorgeworfen habe. Doping sei im Turnen, so Wecker, kein Thema. So unterschiedlich seien die Belastungen, als daß sie sich mit Drogen positiv beeinflussen ließen. Argumente kämen aber bei Beckmann nicht an. Die Spannungen lägen nicht nur zwischen Beckmann und ihm, sondern beträfen das ganze Team.
Offensichtlich gäbe es die Vereinigungsprobleme aber nur mit Beckmann. Schon mit Ralf Kern, dem zweitbesten Wessi — in Berlin auf Platz neun — ließen sich gute Gespräche führen. Auch wenn sich Eberhard Gienger auf die gute künftige Zusammenarbeit freut, so wird das Problem schnell erkannt werden müssen, ehe die Vorbereitung für die WM in kommenden Jahr beeinträchtigt wird.
Bei den Weltmeisterschaften 1991 in Indianapolis wird nämlich nicht mehr wie früher um das Erreichen der Olympiaqualifikation gezittert (die je nach Norm mit Platz acht bis elf erreicht wird), sondern um Medaillenplätze, die »wir mit der Mannschaft wie auch im Einzel anpeilen«, ließen DTB-Offizielle wissen. Eberhard Gienger: »Laßt uns ab Januar voll arbeiten.« Da sehe ich pechschwarz für die weiteren Wochenenden von Andreas Wecker... Thomas Schreyer
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