Facettenreiches Filmfest: Die Nagelprobe

Für neue Filme aus dem Norden ist das Filmfest Hamburg der Ort, an dem sie sich beweisen müssen. Das ist nicht einfach bei einem Festival, das auf Masse und Vielfalt setzt.

ebensnah und unaufgeregt: Maike Mia Höhnes Debütfilm „3/4“ erzählt von einem unerfüllten Kinderwunsch Bild: Dirk Manthey Film

HAMBURG taz | Mit über 140 Filmen ist das Hamburger Filmfest auch in diesem Jahr eindeutig das größte Filmfest im Norden. Schwer tut es sich allerdings, bei dieser Programmfülle ein Profil zu entwickeln. Ein Alleinstellungsmerkmal sind noch am ehesten die in der Region gedrehten oder geförderten Filme, die auch auf dem Filmfest laufen, das am 26. September beginnt und bis zum 4. Oktober dauert.

Für die Macher regional verankerter Filme ist es eine wichtige Qualitätskontrolle, ob ihr Film das Auswahlverfahren des Filmfestes übersteht. Wenn ein Film aus dem Norden hier nicht gezeigt wird, wird es für ihn auch sonst schwierig. Auf dem Hamburger Filmfest schaut sich die Branche die Arbeit der ortsansässigen Kollegen an, hier gehören diese Filme einfach hin.

In diesem Jahr geht auch der Douglas-Sirk-Preis an einen Filmemacher aus der Region: Geehrt wird der Hamburger Regisseur Fatih Akin. Sein neuer Film „The Cut“ wurde zwar vor einigen Wochen bereits auf den Filmfestspielen von Venedig gezeigt, hat aber am Samstag auf dem Hamburger Filmfest immerhin seine Deutschlandpremiere.

Es gibt vier weitere interessante Produktionen im Programm mit lokalem Bezug, den man bei „Get – Der Prozess der Viviane Amsalem“ allerdings nur in der Titelsequenz und dem Abspann finden kann. Der israelische Spielfilm der Geschwister Ronit und Shlomi Elkabetz wurde von der Hamburger Firma Riva koproduziert und deshalb von der Filmförderung „Hamburg-Schleswig-Holstein“ mitfinanziert.

In dem Spielfilm geht es um eine Besonderheit des israelischen Rechtssystems. Eine Scheidung – für die „Get“ das hebräische Wort ist – kann dort nur vollzogen werden, wenn der Mann sein Einverständnis erklärt. Die Titelheldin kämpft deshalb fünf Jahre lang vor einem Gericht um die Auflösung ihrer Ehe und dieser Prozess entwickelt sich so bizarr, dass das Gerichtsdrama, bei dem die Kamera nie die Verhandlungsräume verlässt, immer mehr wie ein absurdes Theaterstück wirkt.

„3/4“ ist der Debütfilm von Maike Mia Höhne, die bisher als Kuratorin der Kurzfilmsektion der Berlinale bekannt war. Der Titel bezieht sich wohl darauf, dass der Protagonistin Sabine zum geglückten Leben noch ein Kind fehlt. Sie lebt schon lange in einer festen Beziehung, ihr Freund hat einen schon fast erwachsenen Sohn. Nach einer Fehlgeburt stellt sich die Frage, wie belastbar ihre Lebensgemeinschaft ist.

Mit Helene Grass in der Hauptrolle ist „3/4“ lebensnah und ohne melodramatische Effekte inszeniert. Der Film wirkt angenehm bodenständig und unaufgeregt. Er zeigt zugleich das Alltagsleben und das Existentielle. Ein kleiner, sympathischer Film mit schönen Fahrradfahrten durch Hamburg.

Bei „Von Mädchen und Pferden“ verrät der Titel schon, was zu erwarten ist. Regisseurin Monika Treut hat hier eine sanfte, ländliche Idylle inszeniert, in der die Männer nichts zu sagen haben und selbst die Pferde fast alle Stuten sind.

Die Protagonistin Nina arbeitet auf einem Reiterhof an der Küste und hat deshalb mit ihrer Freundin in Hamburg nur eine Wochenendbeziehung. Eine 16-jährige Praktikantin, die statt Alexandra lieber Alex genannt werden will, bringt Probleme auf den Reiterhof, denn als rebellisches Stadtkind langweilt sie das Leben auf dem Land: Sie klaut und kifft.

Doch bald wird auch sie eine Pferdenärrin und als dann die gleichaltrige Kathy mit ihrem schönen Pferd auftaucht, ist dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Ohne wirkliche Konflikte plätschert diese gleichgeschlechtliche Immenhof-Variation so dahin und überrascht dadurch, dass Angela Merkel in ihr zu einer Ikone stilisiert wird.

Ein Teil der Fiktion spielt an dem Sonntag der Bundestagswahl: Nina wird durch einen dringenden Anruf vom Wählen abgehalten und sagt: „Aber Merkel gewinnt ja sowieso.“

Seltsamerweise verbindet dieser Wahlsonntag Monika Treuts Film mit einer anderen Hamburger Produktion: Die Dokumentation „Kurze Ecke“ von Bernd Schoch ist ausschließlich an diesem 31. August 2013 gedreht worden. Von 9 Uhr morgens bis 21 Uhr verließen die Kameramänner die Kneipe „Kurze Ecke“ beim Hamburger Großneumarkt nur, um ein paar Außenansichten von der gegenüberliegenden Straßenseite aufzunehmen.

Ein Tag in der Kneipe – das Konzept leuchtet sofort ein. Und der Filmemacher hat sich auch das richtige Lokal dafür ausgesucht: In der „Kurzen Ecke“ trinken Arbeiter, Seeleute und Rentner ihre Biere. Das Durchschnittsalter ist deutlich über 50 und die Wirtin zeigt auf den Fotos an der Wand die vielen inzwischen verstorbenen oder im Heim gelandeten Stammgäste.

Es wird viel getrunken, geraucht und geredet. Man spielt Karten, knobelt und später gibt es dann mit dem Wahlergebnis willkommenen Gesprächsstoff. Die Filmemacher schauen bei dieser in schönstem Schwarzweiß fotografierten Momentaufnahme so genau hin, als würden sie einen ethnografischen Film über eine fremde, langsam untergehende Kultur machen.

Filmfest Hamburg: 26. 9. bis 4. 10., Cinemaxx Dammtor, Cap San Diego, Metropolis, Abaton, 3001, Passage, Studio-Kino
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.