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Fabian Kretschmer Seoul CityDie fünf Kims, eine Frau namens Yoghurt und eine begeisterte Nation

Freitagabend in Seoul: Pflichttermin für Korres­pondenten, Diplomaten und Wirtschaftsleute, die Kellerbar der britischen Botschaften aufzusuchen. Holzvertäfelte Wände, beachtliche Whiskyauswahl, Eintritt nur mit Namensliste. An der Theke werden für gewöhnlich alte Geschichten ausgepackt – über Südkorea während der neunziger Jahre, gescheiterte Geschäftspläne und natürlich Nordkorea.

Diesmal jedoch herrscht gähnende Leere an der Bar. Im Nebenraum hingegen sitzen die Leute dicht an dicht gedrängt und schauen gebannt auf die Beamer-Leinwand. Angesichts der Geräuschkulisse liegt die Vermutung nahe, dass hier gerade Chelsea gegen Arsenal übertragen wird. Doch weit gefehlt: Die südkoreanischen Curlerinnnen treten im Halbfinale gegen Japan an. Derzeit ist es nahezu unmöglich, sich nicht von der grassierenden Curling-Eupho­rie in Korea anstecken zu lassen.

Grund dafür ist das Team Kim: fünf junge Frauen aus einer rückständigen Kleinstadt im Südosten des Südkoreas, alle von der selben Hochschule, alle mit demselben Nachnamen.

Aus dem wortwörtlichen Nichts schlagen sie Runde für Runde alle olympischen Favoriten aus dem Wettbewerb. Vor allem die 27-jährige Kim Eun-jung erfreut sich geradezu fanatischer Beliebtheit: mit ihrem eiskalten, scheinbar emotionslosen Blick und der hippen Schildpattbrille. Das sind die schicken Dinger, die aus den flachen Hornschuppen von Schildkröten gewonnen werden.

Quasi über Nacht wurde Kim Eun-jung in den sozialen Medien zur beliebtesten Vorlage für Memes. Während eines Turniers in Kanada haben sich die Schulfreundinnen englische Spitznamen gegeben: Steak, Pancake und Choco. Aus Eun-jung wurde seither „Yogurt“. Eine südkoreanische Cafékette hat ihr seit gestern einen eigenen Drink gewidmet.

Ausgerechnet die Curlerinnen liefern den Beweis, dass sich Südkoreaner für Wintersport begeistern können

Ausgerechnet die Curlerinnen liefern also den Beweis, dass sich die Südkoreaner sehr wohl für Wintersport begeistern können: Die Stadien sind rappelvoll, viele Fans reisen extra von entlegenen Winkeln des Landes an.

Vor wenigen Jahren wusste noch fast niemand über diesen Nischensport Bescheid. Dennoch wird dieses olympische Wintermärchen spätestens am Sonntag ausgeträumt sein: Für vier Jahre werden die südkoreanische Curlerinnen wohl wieder in der medialen Versenkung verschwinden.

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