: Fabelhafte Erzählerin
■ Meret Becker war die Vielfalt in Person, ließ ihre Säge singen – und toppte die Beatles
„Ich meine es ernst. Ihr könnt mitsingen.“ Ein bisschen unsicher wirkte Meret Becker zu Anfang noch, fuhr sich nervös mit den Händen durch die Haare und begann ihre Show, ohne viele Worte zu verlieren. Das Theater am Goetheplatz war so gut wie ausverkauft.
Barfuß und apfelwangig trat die Berliner Schauspielerin und Sängerin auf die Bühne. Premiere in Bremen, Meret Beckers Geburtsstadt.
„Fragiles“, so lautet der Titel ihres neuen Bühnenprogramms und des dazugehörigen Albums. Geboten wurde ein facettenreiches Medley aus Songs, Bildern und atmosphärischen Momentaufnahmen. Ohne Pause und ohne jegliche Unterbrechung zwischen den einzelnen Stücken wurde Beckers Auftritt zum Gesamtkunstwerk. Kunstvolle Filmsequenzen auf einer Leinwand und elektronische Klangcollagen à la Stockhausen schufen komplette Stimmungsbilder, die in ihrer oft befremdlichen Atonalität teilweise etwas lang gerieten. Eingängiger hingegen viele der Songs.
Allesamt eigenwillig dargeboten, hätten sie unterschiedlicher nicht sein können. Erst hauchte Meret Becker mit zarter Stimme ihre Traum-Phantasien ins Mikro und zauberte – an der Grenze zum Kitsch – einen Blumenstrauß aus einem Zylinder. Wenig später schuf sie, Folk-Songs schmetternd, die Atmosphäre eines irischen Pubs und wechselte dann als durchaus überzeugende Chanson-Darbieterin ins Französische. Begleitet wurde Becker von „Rainbirds“-Pianistin Ulrike Haage und Buddy Sacher an den Saiteninstrumenten. Beatles-Fans bewies sie mit ihrer Version des Pilzkopf-Klassikers „For Noone“, dass Lennon und McCartney zwar die besten Songwriter aller Zeiten, aber nicht unbedingt die besten Interpreten ihrer eigenen Werke sind.
Wer auf Beckers berühmte „Singende Säge“ gewartet hatte, wurde nicht enttäuscht. Gekonnt entlockte die Künstlerin dem Werkzeug Töne mit dem Geigenbogen. Auch Waschbrett, Melodika und eine Plastik-Tröte kamen zum Einsatz. Melodien auf Kinderspielzeug – Meret Becker pflegt ihr Mädchen-Image. Zwischen den Songs erzählte sie immer wieder ihre fabelhaften Geschichten. Anekdoten, die sie sammelt, um den Moment zu konservieren. Becker zeichnete das Bild eines kleinen Jungen, der – weil er schielt – ein Pflaster über dem Auge trägt und das eines alten Mannes, der sich jeden Abend Pomade ins schüttere Haar schmiert. Er will der Nachrichtensprecherin imponieren, die er liebt und die ihn – weil er sie sieht – auch sehen muss.
Es sind die Menschen und ihre kleinen Marotten, um die es in Meret Beckers Songs geht. Vor allem aber handeln sie von der Phantasie und dem Mut, seinen Träumen freien Lauf zu lassen.
Ebbe Volquardsen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen