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FREIHOFNACHT

■ Schwule Verschwesterung im Haus der Jungen Talente

Die Hymne, die dereinst schon für die Schwarzen in Amerika Bestand hatte, kann auch getrost das schwule Herz erwärmen: „There's a place for us, somewhere“ intonierte mit professioneller Gläubigkeit DDR-Homo-Star und Coming out -Hauptdarsteller Matthias Freihof Freitag nacht im Haus der Jungen Talente (HdJT) und markierte damit den zweifellosen Höhepunkt der ersten deutsch-deutschen Schwulenbegegnung. Ostberliner Schwulengruppen hatten geladen, das HdJT stellte die Räumlichkeiten, die Mann-Schaft der lesbisch-schwulen Radio-100-Sendung Eldoradio sorgte für die Disko und der Infoladen „Mann-O-Meter“ klärte auf mit Safer-Sex-Pornos und Faltblättern.

Rund 500 waren aus dem Ost- und Westteil der Stadt gekommen, und wenn denn Wiedervereinigung so aussieht, ist's die reine Freude. Schwule Probleme, so zeigten die verschiedenen Diskussionsrunden an diesem Abend, sind so verschieden nicht, zum Beispiel wenn es um Safer Sex und Aids geht, oder darum, auch schwule Fragen in den politischen Diskussionen der Umwälzung zu etablieren. Der Prozeß der gesellschaftlichen Anerkennung der homosexuellen Minderheit, der schon einige Jahre vor der Wende von den einstigen SED-GenossInnen eingeläutet wurde, soll nicht jetzt, wo andere Probleme fraglos vorrangig sind, völlig unter den Tisch fallen. Doch nur PDS-Chef Gregor Gysi bestätigte letzte Woche noch einmal Bemühungen seiner Partei in dieser Richtung, als er öffentlich verkündete, die PDS werde auch weiterhin für die „Freiheit der gleichgeschlechtlichen Liebe“ eintreten. So war denn der Tenor einer Gesprächsrunde mit VertreterInnen des Runden Tisches der Jugend der Wunsch der DDR-Schwulen nach tatkräftiger Hilfe zur Selbsthilfe von Seiten der westlichen Schwestern. Denn Vereinnahmung kann auch der schwulen Subkultur des Ostens drohen. 'First‘, die Kölner Zeitung rechter Kerle, hat inzwischen ein Büro in Leipzig eröffnet und generös den lokalen Gruppen eine Seite für die Ost -Ausgabe ihres Blattes angeboten; und eine Westberliner Männergalerie will demnächst eine ebensolche auch in Ost -Berlin etablieren.

Daß die Ost-Schwestern durchaus eine eigenständige vitale Kultur zu bieten haben, bewiesen sie im weiteren Verlauf des Freitag abends mit Lesungen, Bewegungstheater und dem Auftritt des Liedermachers Norbert Bischoff, der mit seinen Liedern vor den Gefahren der neuen Rechten warnt und für die Geilheit plädiert.

War der augenfällige Unterschied zwischen Ost und West an diesem Abend bislang nur daran festzumachen, daß die Ost -Schwulen weitaus länger vor den bunten Videobildern pulsierender Schwänze unter Gummihaut verharrten, so demonstrierten die drei Männer des „Cabaret intim“ mit ihrer Bühnenshow weit nach Mitternacht noch einen ganz anderen Unterschied: Während hier die Tuntenshows vor allem vom Charme genialer Dilettanten aus dem Müll leben, so scheint der Weg auf die Bühnen dort vorab gepflastert zu sein mit harter Arbeit am Bühnenhandwerk. Mit präzisem Können steppten, tanzten und sangen Matthias Freihof und seine beiden Freunde über die Bühne, daß es einem die Sprache verschlug. Mit Stimmen, die westwärts mit der Lupe zu suchen sind, sangen sie ohne Peinlichkeit von den Gedanken, die frei sind, rutschten einmal quer durchs Musical und ließen auch den ollen Brecht nicht aus. Dabei vergaßen sie nicht die unabdingbare Gehässigkeit der Tunte - „Ein schönes Kleid trägst du heute abend, meine Liebe. Gibt es das auch in deiner Größe?“ - schwangen gekonnt Boa und Stöckelschuh und politisierten in bester Kabarettmanier. „There's a place for us“ - wenn denn ein Plätzchen gefunden werden soll für die Schwulen hüben und drüben, so war damit im HdJT ein guter Anfang gemacht.

eka

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