FRAUEN DÜRFEN NUR DANN KANDIDIEREN, WENN SIE KEINE CHANCE HABEN: Ohnmächtige Macht
Es ist immer noch eine Sensation, wenn eine Frau gewählt wird – und nicht ein Mann. Auch gestern war diese Überraschung wieder zu spüren, als das vorläufige Endergebnis der Urwahl bei der SPD in Baden-Württemberg feststand: 66,68 Prozent der Mitglieder hatten für die 35-jährige Ute Vogt gestimmt. Sie wird also bei der nächsten Landtagswahl im März 2001 gegen den amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Erwin Teufel antreten.
Zwar ist Vogt Bundestagsabgeordnete, Vorsitzende des Innenausschusses und zudem SPD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg. Aber trotzdem bleibt diese Überraschung: Wie erstaunlich, dass sie sich gegen ihren innerparteilichen Herausforderer durchsetzen konnte. Schließlich ist Siegmar Mosdorf ein lang bewährter Partei-Promi, der ansonsten als parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsminister amtiert. Und außerdem ist er ein Mann.
Ute Vogt ist kompetent, willensstark und sympathisch – eigentlich Grund genug, sie zu wählen. Doch die bittere Erklärung ist die wahrscheinliche: Sie hatte nur eine Chance, weil sie keine hat. Denn bei dieser Urwahl des SPD-Spitzenkandidaten wurde nicht über künftige Macht entschieden; die Sozialdemokraten haben in Baden-Württemberg keine, ja nicht einmal die geringste Aussicht, die 50-jährige Dominanz der CDU zu brechen. Ganz im Gegenteil: Bei der letzten Landtagswahl wurde das historisch schlechteste SPD-Ergebnis von 25,1 Prozent eingefahren. Bescheiden hofft Vogt daher, beim nächsten Mal immerhin auf über 30 Prozent zu kommen. Wenn es nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren gibt – dann sind Männer gern bereit, auch Frauen zu wählen.
In der gesamten bundesrepublikanischen Geschichte gab es bisher erst eine Ministerpräsidentin: Heide Simonis. Und auch sie geriet nur auf diesen Posten, weil ihr Vorgänger Björn Engholm skandalbelastet zurücktreten musste. Ansonsten galt für alle Spitzenkandidatinnen für das Amt der Länderchefin, dass ein Wahlsieg völlig ausgeschlossen war. Dies hatte nichts mit den Frauen zu tun – sondern stets mit der Situation ihrer Partei oder dem Traditionsbewusstsein der Wähler. Legendär ist die kürzlich zurückgetretene Renate Schmidt in Bayern. Und dann war da noch einst Ingrid Stahmer in Berlin, dank desolater SPD ebenfalls ohne jede Chance gegen CDU-Bürgermeister Diepgen. Nicht zuletzt zeigt auch der Werdegang der Angela Merkel, dass Frauen nur inmitten der Krise in Führungspositionen aufsteigen können. Ohnmächtige Macht gewährt man ihnen gern. Eine echte Sensation wäre daher die Wahl einer Frau erst dann, wenn es nicht mehr um verlorene Posten geht. ULRIKE HERRMANN
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