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FOOTBALL, HOT DOGS UND SUNDAY SCHOOL

■ Das Alltagsleben der Prices, einer ganz normalen Familie im Mid-West/USA

Das Alltagsleben der Prices,

einer ganz normalen

Familie im Mid-West/USA

VONINAKERNER

„Give me a P. Give me a C. Give me an H. PCH — Parkway Central Senior Highschool. Yeah!“ Schulstadion. Pompoms wedeln. Coke sprudelt. Cheerleaders jubeln. Der Football fliegt. Sid Price brät Hamburger-Patties, am Grill neben der Tribüne. Sid Price ist Daddy des Quarterback. Es ist Samstag nachmittag. Die halbe High School ist versammelt, Väter, Mütter, Kinder. Sie tragen rot-weiß, die Schulfarben. Fächern kleine Papptafeln durch die Luft, mit Fohlen vorne drauf, dem Schulsymbol. Auf der Rückseite steht: I'm a colt fan. I'm central, I'm proud.

Die Parkway Central Senior High School liegt in Chesterfield, einem Vorort von St. Louis. Tiefster Mid- West. Ein Vorort mit Geld. Hier ist Amerika am amerikanischsten, sagt Betsy, Sids Frau. 1968 haben die beiden geheiratet und ihr erstes eigenes Haus bezogen. Damals waren sie 22. Kannten sich aus einem kleinen BaptistInnen-College in Central Kentucky. Dort, wo Amerika am rückständigsten ist. Fünf Jahre später haben sie mal „Hair“ im Theater gesehen. Und sich ein bißchen aufgeregt, weil ja nackte Menschen auf der Bühne erscheinen. Aber altmodisch sind die beiden nicht. Betsy fährt im schwarzen Cabrio zum Shoppen, den Dirty-Dancing-Soundtrack im Rekorder. „Sid and I just love this movie.“

Die Parkway Central Senior Highschool hat zehn Fahrradständer und 500 SchülerInnenparkplätze. Ein Schwimmbad, zwölf Tennis- Courts, vier Sportplätze. Allyson Price und ihre Freundin Lucy stehen an der Ballustrade und schauen sich die Football-Spieler an. Football- Spieler sind die tollsten guys der Schule, mal abgesehen von den Baseball-Players. Allyson und Lucy wollen einen Date abkriegen, es ist schließlich Wochenende. Deshalb ist eines ihrer wichtigsten Ziele, dem Schönheitsideal von der Frau über 14 zu entsprechen: Sie haben Dauerwellen, blondgefärbt, und einen Lockenstab in der Handtasche. Sie rasieren ihre Beine und brauchen mindestens drei Farben Lidschatten. Der BH ist ein Muß, Pumps sind normal. Allyson und Lucy ist es egal, wenn der Date dann im verschwitzten Sporthemd kommt und seine Jeans nicht sitzen. Sie sind 15, müssen im Rock in die Kirche, dürfen sich sowieso erst seit eineinhalb Jahren schminken — Mom hatte es vorher verboten — und werden von den Jungs in ihrer Klasse ausgelacht, wenn sie ohne Make-up ankommen. Die Chance, beim Schulball Schönheitskönigin zu werden, sinkt ohne Rouge und Kajal enorm. Also rennen sie in jeder kleinen Pause in die Bathrooms (das Wort Toilette ist verpönt), um zwischen dem Mathe-Unterricht und der Dramaklasse die Wimpern nachzutuschen. Long lash, doppelter Glanz. In Trauben stehen sie vor den Spiegeln. Ein Lippenstiftlächeln finden die guys besser, und schließlich sind sie es, die alles zahlen bei den Dates, sich also auch die Begleiterin aussuchen können. Das ist halt so, und Mommy hat auch schon mit pieksigen Lockenwicklern im Haar geschlafen.

Umzug alle drei Jahre

Betsy Price steht mit Lockenwicklern in der Küche und streut Marshmallows in den Kakao. Schon halb neun, Sonntag morgen. In einer Stunde müssen sie losfahren, in die Kirche, um rechtzeitig zur Sunday School zu kommen. Allyson steht noch im Bad, curled ihre Kurzhaarfrisur. Sid ist noch nicht vom Joggen zurück. Heute ist Doughnut-Sunday, wie an jedem ersten Wochenende im Monat. Vor dem Bibelunterricht gibt's Teilchen für die KirchgängerInnen. Das fördert das Gruppengefühl.

Betsy ist froh, daß sie ihre Church-Community hat. Als sie und ihre Familie vor zwei Jahren nach St. Louis zogen, kannte sie dort niemanden. Sid war von seiner Firma versetzt worden. Mehrere tausend Kilometer weit. Das ist ganz normal. Spätestens jedes dritte Jahr ziehen die meisten um. In der neuen BaptistInnengemeinde fand sie schnell Anschluß. Sid auch, er leitet jetzt eine eigene Sonntagsschulklasse. Die Bibel ist gottdiktiert, wissen die Baptists, und deshalb ist jedes Kapitel wichtig. Bible Studies sind unerläßlich.

Die Kirche gibt Sid und Betsy Halt: Pfarrer George predigt seinen ZuhörerInnen in regelmäßigen Abständen, ihr Leben sei ein Geschenk Gottes. Dear Lord wolle, daß es den weißen und protestantischen AngelsächsInnen besonders gut gehe. Deshalb gehen Betsy und Sid jeden Sonntag in die Messe. Mittwoch abends auch. Betsy singt im Chor. Jedesmal findet sie es wieder schön. Und die Kinder haben ihre Jugendgruppe, die sich jeden zweiten Sonntag trifft, nach der Abendandacht. Zum Eisessen, oder zum Pizzaessen, oder zum Hamburgeressen. Manchmal grillen sie auch. Und einmal haben sie einen Kleinbus gemietet und sind übers Wochenende nach Kansas City gefahren, zu den Worlds of Fun, einem Freizeitpark. Pfarrer George betreut die Gruppe. Betsy ist froh, daß es die Youth Group gibt: so rutschen ihre Kids nicht in undurchsichtige Drogenkreise ab.

Ohne Auto geht es nicht

Steve Price steht bei Burger King, verkauft Fritten und Milchshakes. Für drei Dollar fünfzig die Stunde, nach dem täglichen Football- Training. Alle Zwölftkläßler jobben. Ein Auto kostet, und ohne Auto geht es nicht. Zur Schule fahren zwar Busse, aber die sind voller Freshmen, NeuntkläßlerInnen. Im ersten Jahr Highschool haben die gar nichts zu sagen und sogar im SchülerInnenrat weniger Rechte. Im ersten Jahr Highschool kann man den richtigen Spirit noch gar nicht haben. Es ist also ziemlich peinlich, sich als Senior, in der Zwölf, im Bus unters Jungvolk zu mischen.

In die Schule können die Ami- Kids also nur theoretisch mit dem Bus fahren, woandershin auch praktisch nicht. Zwei Linien gibt es vielleicht in Chesterfield. Aber die Haltestellen sind weit weg, und öffentliche Verkehrsmittel sowieso zu gefährlich. Das sagen fast alle besorgten Eltern. Bahnfahren wäre stillos, würde es eine Bahn geben. Busfahren gehört sich nicht für gehobene Gesellschaftsschichten. Ohne Auto ist das Leben unpraktisch: Wie will man in der Drive-Thru-Bank Geld holen? Aus dem Busfenster läßt sich kein Cheeseburger ordern, Klimaanlagen gibt es im öffentlichen Transportwesen auch nicht. Der Sommer im Mid-West ist heiß und schwül.

Traditionelle Rollenverteilung

Montags, wenn sie tiefgekühlte Frühstücksstrudel in den Mikrowellenherd legt, beginnt für Betsy Price der Wochenalltag. In der Glotze auf dem Küchensims läuft die erste Seifenoper. Sid und Steve joggen wieder: wie jeden Morgen zwischen sechs und sieben, und wie so viele ihrer NachbarInnen. Bewegung ist gesund. Betsy arbeitet, wie die meisten Frauen. Als sie nach St. Louis gezogen ist, hat sie sich einen Job in der Bank gesucht. Am Computer hat sie angefangen, jetzt besucht sie am späten Nachmittag Fortbildungskurse, drei Mal die Woche. Sie ist eigentlich Lehrerin und hat mal eine Fernsehsendung für Kindergartenkids moderiert. Irgendwann will sie wieder an die Uni, um ihre Masters Degree zu bekommen, einen besseren Abschluß. Aber in St. Louis wollte sie erst mal was anderes ausprobieren. Sie ist weiß, reich und klug, da ist es recht leicht, einen neuen Job zu finden.

Sid hilft zwar nicht beim Kochen und Spülen, Steve auch nicht, aber zu sehr belastet fühlt sich Betsy nicht. Warum sollte sie sich Sorgen machen? Life is Fun. Samstags wischt Steve Staub, Allyson saugt, Sid mäht den Rasen und sie selbst putzt den Rest. Eine Sache von eineinhalb Stunden. Traditionelle Rollenverteilung ja, aber... na und? Donnerstags fährt Betsy nach der Arbeit zum Supermarkt und kommt mit zehn vollen Tüten zurück. Kochen geht schnell, weil's Dosen und Tiefkühlkost gibt, und einmal pro Woche bringt Sid Burger mit oder Kentucky fried Chicken. Oder er grillt und es gibt Hot Dogs. Jeden Montag gehen Betsy und Sid zum Square Dance. Mittwochs ist Kirche. Für die restlichen Abende steht der Fernseher im Family Room, mit Video und Movie Channel. Sid leiht nach der Arbeit oft Filme aus.

Die Prices sind eine normale Mid- West-Familie. Am vierten Juli, dem Nationalfeiertag, decken sie ihren Tisch blau-rot-weiß und sehen sich abends das Feuerwerk an. Sonntags, nach der Kirche, essen sie Sandwiches und Kartoffelchips von Styroportellern, weil das ein bißchen Barbecue-Feeling vermittelt und sie hinterher kein Geschirr in die Spülmaschine räumen müssen. Zu Halloween höhlen sie einen Kürbis aus und backen Pumpkin-Pie. Die Prices sind eine durchschnittliche Mid- West-Familie. Vor ihrer Haustür stehen drei Autos, im Vorgarten ein Basketballkorb. Vor dem Essen halten sie sich an den Händen und beten, hinterher schmeißen sie die leeren Cola-Dosen weg. So wie die Prices leben viele im Mid-West. Zum Glück nicht alle. Zum Trost: neben dem Mittleren Westen gibt es in den USA noch zwei Küsten.

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