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FILM ODER LIEBE

■ „Kamikaze Hearts“ von Juliet Bashore im Sputnik im Wedding

Alle Pornos, aber auch tabuorientierte Beziehungsfilme wie noch Die Jungfrauenmaschine machen immer denselben Fehler: starrsinniges Gebastel an sowas wie der ultimativen Liebesszene. Entweder soll sie besonders geil oder „echt“ sein, aber derlei Authentizitätsansprüche bleiben leider ganz wirkungslos, solange das offene Geheimnis der Kamerapräsenz und des Spiels der DarstellerInnen nicht in die Szene mitaufgenommen wird. Ganz zu schweigen von der erdrückenden Langeweile angesichts der längst erschöpften Signaleffekte abspritzender Schwänze oder gespreizter Schenkel.

Juliet Bashore wollte in erster Linie die Liebesgeschichte von zwei Frauen, die beide im Pornogeschäft arbeiten, dokumentieren, nicht ganz zufällig endet diese Dokumentation mit einer Liebesszene: Tigr und Mitch setzen sich einen Schuß und erzählen dem Mutterauge Kamera von der Unmöglichkeit ihrer Beziehung. Mitch: „Das ist mein Schwanz!“ (Sie hält die Spritze in der Hand.) „Ich fickte sie mit meinem Schwanz, und sie liebte es.“ Tigr: „Ich wollte es auf Film, um es dann wegzustecken, liegenzulassen.“

Weil „Kamikaze Hearts“ von zwei Pornodarstellerinnen handelt, ist die Allgegenwärtigkeit der Kamera, die gerade das Intimste für sich beansprucht, gleichzeitig Thema des Films und seine Produktionsbasis. Bashores Betrachtungen setzen den Alltag bei der Arbeit, die Zurschaustellung, fort und erfüllen doch vielleicht endlich Mitchs und Tigrs Traum, einen ehrlichen erotischen Film zu machen, der ihr Zusammenleben festhält.

Dieses Zusammensein existiert gar nicht ohne Kamera, nicht nur weil Tigr und Mitch sich beim Drehen einer lesbischen Liebesszene kennengelernt haben, sondern weil Mitch sich nur als Projektionsfläche voyeuristischer Blicke zu verhalten weiß. Daß es hinter der vermeintlichen Oberfläche ihrer Rollen noch etwas zu geben hätte, etwas Unverkäufliches, das dementiert Mitch überzeugend. Das Fixen dürfte das einzige sein, das sie nicht der Öffentlichkeit preisgeben kann, das aber Tigrs beharrliche Forderung nach Intimität schließlich auch nicht befriedigt. Mitch ist nicht nur die perfekte Verkörperung einer Phantasie, die Frau, mit der man Sex haben kann ohne Verpflichtungen, wie eine Garderobiere sagt, sie scheint ein Wesen zu sein, das sich überhaupt nur aus Blicken zusammensetzt. Ihre Widerstandslosigkeit vor der Kamera und die Begeisterung darüber, das zu sein, was die Leute sehen wollen, macht sie nicht nur für Tigr abstoßend und machtvoll zugleich.

Indem Juliet Bashore die Abhängigkeit der Frauen von der Kamera aufdeckt und sie doch auch noch zu benutzen weiß, zieht sie der Liebe von Mitch und Tigr den letzten Boden unter den Füßen weg. Der Zweck dieser Beziehung erschöpft sich offenbar in ihrer filmischen Dokumentation - danach trennen Mitch und Tigr sich. Was die Kamera gibt, das nimmt sie auch wieder. Und Dokumentationen sind da sehr viel schamloser als übliche Pornofilme.

Nachdem die soundsovielte Sexszene abgedreht ist, wechseln sie die Position und halten Streitigkeiten, Tränenausbrüche und Privatgespräche fest. Der komplizierte Wechsel zwischen den bekannten Videobildern, Probeaufnahmen, Interviewtakes und und gar nicht mehr fiktiven Auseinandersetzungen, selbst über die Dokumentation, macht „Kamikaze Hearts“ zur totalen Bestandsaufnahme, die auch noch den letzten Rest, das Fixen, aufschreibt und erledigt.

Daß die ersten BesucherInnen beim schwul-lesbischen Filmfestival gar nicht glauben wollten, daß „Kamikaze Hearts“ kein Spielfilm ist, kann ich nur als Verweigerung verstehen, nun doch die ultimative Liebesszene gesehen zu haben. Aber so sieht sie aus.

Kolt

„Kamikaze Hearts“ bis 20.6., tägl. 21 Uhr 15 im Sputnik Wedding. Am Montag, dem 18. Juni, findet im Anschluß an die Vorstellung eine Diskussionsrunde mit Juliet Bashore statt.

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