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FDP in BerlinDie Boompartei wider Willen

Die FDP tut viel dafür, um Neumitglieder und Wähler zu vergraulen. Und doch wächst sie stärker als alle anderen Parteien. Sie hat sogar mehr Zuspruch als die Bundes-FDP, von der sie deutlich profitiert.

Wer sind die Liberalen? In Zeiten der Krise symphatisieren überraschend viele Berliner mit der FDP Bild: REUTERS

Parteitage von FDP uind CDU

Um Wahlen geht es bei den Parteitagen der FDP und der CDU am Samstag. Die Liberalen stellen ihre Landesliste für die Bundestagswahl auf, bei der sie 2005 zwei Mandate holten. Beim aktuellen Stimmungshoch gelten dieses Mal drei als realistisch. Auf Platz 1 fordert Fraktionschef Martin Lindner Landeschef Markus Löning heraus. Der warnt vor einer erneuten Zerreißprobe - Lindner hatte vor einem Jahr bereits vergeblich versucht, ihn als Parteichef abzulösen. Die CDU wiederum wählt einen neu formierten Vorstand und wird dabei voraussichtlich den seit Herbst amtierenden Frank Henkel bestätigen. STA

Sie streitet wie eh und je. Doch statt Wähler zu vergraulen, ist die Berliner FDP derzeit die Boompartei der Stadt. In nackten Zahlen steht sie in Zeiten der Krise noch besser da als ihre gerade so gehypte Bundespartei. Keine andere Partei verzeichnet in Berlin seit dem vergangenen Sommer höhere Zuwächse in Umfragen und bei den Mitgliederzahlen.

Die Liberalen waren bei der Abgeordnetenhauswahl 2006 auf kaum mehr als als 7 Prozent abgerutscht und kamen noch im Frühjahr 2008 nicht darüber hinaus. Inzwischen aber hat sich ihr Umfragewert laut dem Institut Forsa auf 14 Prozent verdoppelt. Am nächsten kommen dem noch die Grünen, die seit der Wahl um 3 Prozentpunkte auf 16 Prozent zulegten.

Noch viel deutlicher aber liegt die FDP bei der Mitgliederentwicklung vorn. Vom vergangenen Sommer bis Anfang März wuchs der Landesverband um mehr als 4 Prozent. Selbst die Mutterpartei im Bund liegt unter 3 Prozent Zuwachs. Unter den Landesverbänden der anderen Parteien können allein die Grünen ein Wachstum vorweisen. Sie legten in diesem Zeitraum um 1,5 Prozent zu. Bei SPD und CDU bewegen sich die Veränderungen im Promille-Bereich, die Linkspartei stagniert.

Zur Erinnerung: Die Berliner FDP, das ist die Partei, die zeitweise mit einem sogenannten national-liberalen Flügel an den rechten Rand gerückt war und 1995 aus dem Parlament flog; die erst dank Exbundeswirtschaftminister Günter Rexrodt wieder salonfähig wurde, der sie 2001 nach dem Bankenskandal quasi im Alleingang wieder ins Abgeordnetenhaus brachte. Es ist die Partei, die auch danach oft mehr mit kruden Anträgen im Parlament und Personalquerelen statt mit Inhalten auffiel. Wegen unüberbrückbarer Streitigkeiten musste 2005 sogar ein Parteitag abgebrochen werden.

2008 entzweite der Führungsstreit zwischen dem letztlich erfolgreichen, eher sozialliberalen Landeschef Markus Löning und dem wirtschaftsliberalen Fraktionschef Martin Lindner den Landesverband. Gleiches droht beim Parteitag am Samstag: Lindner will Löning die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl streitig machen - angeblich entgegen früheren Absprachen. "Völlig idiotisch", sagte Löning kürzlich zu Lindners Kampfkandidatur.

Wer also sind die Menschen, die sich neuerdings eine solche Partei antun, die in absoluten Zahlen mit über 3.200 Mitglieder die kleinste in Berlin bleibt, hinter SPD (rund 15.900), CDU (12.600), Linkspartei (9.000) und Grünen (4.100)?

Der 47-jährige Dieter Schröder etwa, Informationstechniker aus Kreuzberg, ist gar nicht der Typ aalglatter Wirtschaftsliberaler, wie ihn Fraktionschef Lindner mit seinen zurückgegelten Haaren verkörpert. Sozialdemokratisch ist sein Hintergrund, auch wenn er nie SPD-Mitglied war. In die FDP trieb ihn im Januar eine Art Abwehrreflex: "Dem Staat zunehmend mehr aufzubürden und die Eigeninitiative immer kleiner zu schreiben - das gefiel mir einfach nicht mehr", sagt Schröder. Aber FDPler ausgerechnet in Kreuzberg? "Ich war bei den ersten Treffen überrascht, wie bunt die Partei ist. Ich hätte nie gedacht, da FDP-Leute vor mir zu haben, eher Grüne."

Gegen den Zeitgeist

Um den Auftritt des Berliner Landesverbands ging es bei Schröders Eintritt hingegen kaum, genauso wenig wie bei Torsten Grau, dem 44-jährigen Geschäftsführer einer kleinen Firma für Medientechnik und zu Hause in Friedrichshagen. FDP-nah sei er zwar schon immer gewesen. Dennoch war eigentlich für ihn ausgeschlossen, überhaupt in irgendeine Partei zu gehen. Wenn man ihm zuhört, klingt durch, dass der bundesweite Höhenflug der FDP den letzten Anstoß gab.

Torsten Grau erklärt sich den Boom in Zeiten der Verstaatlichung damit, dass die FDP anders als die Union ihren Stiefel durchzieht: "Für viele Konservative ist die CDU nur noch eine schwarze SPD." Nina Gaertner-Bick kam hingegen über Veranstaltungen der parteinahen Naumann-Stiftung im Februar in die Reinickendorfer FDP. Für die 43-Jährige ist der freiheitliche Ansatz entscheidend, weit über das Marktliberale hinaus: "Die FDP vermittelt das Zugeständnis, auch anders sein zu können."

Nimmt man diese drei Neumitglieder als Maßstab, dann ist die Berliner FDP zu ihrem Boom gekommen wie die Jungfrau zum Kind: ohne eigenes Zutun. Bei Wählern und Neumitgliedern scheint sie allein von der florierenden Bundespartei zu profitieren. Für den Landesparteitag am Samstag ist das eine verhängnisvolle Botschaft. Denn wenn der interne Streit öffentlich nicht schadet, kann man sich ja ruhig fetzen bis zum Gehtnichtmehr.

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