FDP-Abgeordneter Oetjen über Verfassungsänderung: „Politik lebt von Symbolen“
Der FDP-Innenpolitiker Jan-Christoph Oetjen will die niedersächsische Landesverfassung ändern: Das Wort „Rasse“ soll aus Artikel 3 verschwinden
taz: Herr Oetjen, die FDP-Landtagsfraktion fordert die Streichung des Begriffs „Rasse“ aus der niedersächsischen Verfassung. Ist das nicht reine Symbolpolitik?
Jan-Christoph Oetjen: Natürlich ist die Verwendung des Wortes „Rasse“ ein Symbol: Es steht für die überkommene, aus dem 19. Jahrhundert stammende Vorstellung, die Menschen überhaupt in verschiedene Rassen unterscheiden zu können – denen dann noch positive und negative Eigenschaften zugeordnet werden. Deshalb ist es gut, wenn dieser Begriff verschwindet.
In der Landesverfassung taucht das Wort „Rasse“ nur ein einziges Mal auf: in Artikel 3, der die Grundrechte regelt.
Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens benachteiligt oder bevorzugt werden, heißt es da. Aber: Die Streichung soll natürlich nicht bedeuten, dass wir Rassismus tolerieren!
Sondern?
Deutlich machen, dass keine Form von Rassismus akzeptabel ist. Wir glauben, dass Artikel 3 auch ohne das Wort „Rasse“ jede herkunftsbezogene Diskriminierung ausschließt. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte, wegen des mörderischen Rassismus im Nationalsozialismus sollten wir uns hüten, solche Begriffe unreflektiert weiterzuverwenden. Auch das Europarlament empfiehlt die Streichung des Wortes aus allen amtlichen Texten. Die Länder Finnland, Schweden, Österreich und jetzt auch Frankreich sind dem bereits gefolgt oder wollen es tun. Auch die Verfassungen der Bundesländer Hessen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern kommen bereits ohne diesen Begriff aus.
Gleichzeitig wollen Sie den Grundrechtsartikel um den Begriff der „sexuellen Identität“ ergänzen. Was meinen Sie damit?
In der niedersächsischen Verfassung findet sich kein Verbot, jemanden aufgrund seiner sexuellen Orientierung zu diskriminieren. Das wollen wir ändern, wie es Bremen, Berlin und das Saarland bereits getan haben. Denn natürlich werden noch immer Menschen wegen ihrer sexuellen Identität diskriminiert. Bis zur wirklichen Gleichberechtigung ist es noch ein langer Weg.
36, ist innenpolitischer Sprecher der niedersächsischen FDP-Landtagsfraktion. Der Betriebswirt hat ein Kind.
Und der wird durch die Änderung einer Landesverfassung leichter?
Natürlich wirkt auch das erst einmal als Symbol. Die Politik lebt von Symbolen. Wenn der Tierschutz Verfassungsrang genießt, sollte dies auch für die sexuelle Identität von Menschen gelten!
Trotzdem bleibt der Eindruck, als wolle die FDP-Landtagsfraktion Werbung in eigener Sache machen. Wird ihre Partei auch auf Bundesebene versuchen, den gleichlautenden Artikel 3 des Grundgesetzes zu ändern?
Das ist im Moment schwer möglich – wir sind ja nicht im Bundestag vertreten. Aber: Das Verbot sexueller Diskriminierung gehört auch ins Grundgesetz.
Ganz konkret: Auf dem Weißekreuzplatz in Hannover gibt es seit Wochen ein Flüchtlingscamp. Dessen Bewohner beklagen eine systematische, rassistische Diskriminierung durch deutsche Behörden. Kennen Sie diese Vorwürfe?
Die Fraktion hat sich im Camp informiert und beobachtet die Situation sehr genau. Die Abschaffung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge hat meine hannoversche Landtagskollegin Sylvia Bruns auch bereits öffentlich gefordert.
Und Sie persönlich?
Ich setze mich bereits seit Langem für die Abschaffung des Arbeitsverbots ein.
Ihre Partei hat Niedersachsen zusammen mit der CDU bis 2013 zehn Jahre lang regiert. Warum haben Sie die Verfassungsänderung nicht schon längst in Angriff genommen?
Ganz ehrlich: Weil ich erst durch die Verfassungsänderung in Berlin auf die Problematik aufmerksam geworden bin.
Es lag also nicht an ihrem Koalitionspartner mit dem CDU-Hardliner Uwe Schünemann als Innenminister?
Die Differenzen zur CDU waren gerade in der Innenpolitik groß, keine Frage. Trotzdem: Die jetzt von uns geforderte Verfassungsänderung war nie Thema – auch nicht bei SPD, Grünen oder Linken.
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