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FDP 1971 : 1988 - ein Vergleich

Über Grundbegriffe der „Freiburger Thesen“ und der „Wiesbadener Erklärung“ / „Reform des Kapitalismus“ 1971 / 1988 kommt der Kapitalismus nicht mehr vor /1971 versucht die FDP historische Ableitung ihrer Position / 1988; Diarrhöe des Wortes „Freiheit“  ■  Von Klaus Hartung

Berlin (taz) - „Freiburger Thesen“ 1971, „Wiesbadener Erklärung“ 1988: fast zwei Jahrzehnte innenpolitische Geschichte dazwischen. Ein großer Abstand zwischen programmatischen Versuchen einer Partei, deren stabilste geistige Grundlage ein von der Fünf-Prozent-Hürde bedrohter Opportunismus ist. 1971, im zweiten Jahre der sozialliberalen Koalition, versucht die FDP ihr Defizit an innenpolitischen Reformkonzepten zu kompensieren. Der ideologische Druck der antiautoritären Bewegung war mit mehrjähriger Verspätung in den Parteivorständen angekommen. Praktischer Kern der Thesen: eine zusammenhängende Programmatik zu entwickeln, um das sozialdemokratische Reformziel einer erweiterten Mitbestimmung abwehren zu können. 1988: die FDP braucht eine Programmatik für eine allgemeine Koalitionsfähigkeit, um sich vom Sog der scheiternden Kohl-Regierung freischwimmen zu können. Beidesmal unterschiedliche Anlässe zur Rhetorik. Was also sprechen die Sprachregelungen?

1971 wird der „Liberalismus“ definiert, 1988 die „liberale Politik“. 1971 versucht sich die FDP in einer historischen Ableitung ihrer Position: angloamerikanische Verfassungstradition, Französische Revolution, Kant, Wilhelm von Humboldt, John Stewart Mill, Friedrich Naumann. 1988: Eine Diarrhöe des Wortes „Freiheit“ im allgemeinen Teil, ergänzt durch „Weltoffenheit“ und „Toleranz“. Historische Ortsbestimmung 1971: „Reform des Kapitalismus„; 1988 kommt der Kapitalismus nicht mehr vor, stattdessen die „Renaissance der Individualität“ im Übergang von der „Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft“. 1988 will die FDP „die Gestaltungskraft radikal freilegen“, „die Kreativität und Leistungsbereitschaft autonomer Individuen“ nutzen, während 1971 Rechte verhandelt werden. „Freiheit und Glück“ verlangten vor achtzehn Jahren einen „sozialen Liberalismus“, die „Ergänzung der bisherigen liberalen Freiheitsrechte durch soziale Teilhaberrechte und Mitbestimmungsrechte“. Folgerichtig wird 1971 die „Demokratisierung des Staates“ gefordert, während 1988 nur „weniger Staat“ gewünscht wird. Überhaupt herrscht 1988 der Komparativ, während 1971 noch Forderungen formuliert werden. Vor allem aber: 1988 taucht des Wort von der „Demokratisierung“ überhaupt nicht mehr auf, nicht einmal der Begriff „Demokratie“. Ausnahme: der „demokratische Rechtsstaat“ wird erwähnt, wenn auf das Verdienst der FDP verwiesen werden soll, daß sie denselben erkämpft und bewahrt habe. Statt Demokratie will die FDP die „Bürokratisierung“ bekämpfen. Allerdings hält sie 1988 eine Verteidigung der „labilen demokratischen Kultur“ für notwendig. Während sich die FDP 1971 im historischen Prozeß anzusiedeln versucht, setzt sie sich 1988 schlicht in die „Mitte“ der Wählerschaft.

In der „Wiesbadener Erklärung“ nimmt die FDP indirekt zur sozialliberalen Koalition (die sie wegen der Ostpolitik und dem Mehr-Demokratie-Wagen unterstützt haben will) Stellung: sie wendet sich gegen die „umfassende staatliche Daseinsvorsorge“. Als besonderen Erfolg der jetzigen Koalition schreibt sich die FDP die Steuerreform zugute: erstaunlicherweise definiert sie diese Reform als einen „ersten Teilerfolg für den ... umfassenden Subventionsabbau“. Wiewohl die Steuerreform geradezu beweist, daß die Koalition weder Kraft noch Konzept hat, einen ernstzunehmenden Subventionsabbau einzuleiten.

Bei den „liberalen Freiheitsrechten“ behauptet die FDP, auf eine erfolgreiche Politik gegen „staatliche Über(!)reaktionen“ zurückzublicken. Als ob das Bremsen von Zimmermann schon liberale Politik sei. Alle anderen Probleme der Gegenwart sind praktisch schon im „autonomen Individuum“ gelöst. Konkret wird die FDP nur, wenn es beispielsweise um die Regionalisierung der Tarifpolitik geht.

Mit besonderen Stolz verweist die FDP 1988 darauf, daß sie 1971 den Umweltschutz erfunden habe. Stimmt. Allerdings heißt es 1971: „Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen“. Zu den Menschenrechten gehöre das „Recht auf Umwelt im besten Zustand“. Es gelte des Verursacherprinzip; ökologische Kosten sind Produktionskosten. „Ebenso wie Brandstiftung gehört Umweltschädigung zu den gemeingefährlichen Straftatbeständen“, weil Umweltzerstörung die Menschenwürde bedrohe. 1988 muß Umweltschutz für die Industrie nur zum „spürbaren Kostenfaktor“ werden. Zwar fordert sie allgemein „ein neues Umweltstrafrecht“, aber nicht verschärfte Straftatbestände, sondern lediglich ein „ständiger ökonomischer Impuls“ soll der Schlüssel für den „Umbau zu einer umweltfreundlichen Gesellschaft“ sein.

Wie stark die Angst der FDP '88 ist, sich auf rechtspolitischem Terrain zu profilieren, zeigt sich darin, daß sie sich ausgerechnet für die „Sachverständigenkommission über die Ursachen der Gewalt in der Gesellschaft“ lobt. Bezeichnend auch, daß sie sich auf diesem Terrain nur eine „Wächterfunktion“ statt eigenen Gestaltungswillen zubilligt. Die FDP 1988 fühlt sich in der Sphäre des Rechts nicht mehr wohl.

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