piwik no script img

FDJ-DokumentationDie Blauhemden

Mit "Freundschaft!" versuchen die West-Filmer Lutz Hachmeister und Mathias von der Heide den großen FDJ-Rundumschlag. Der gelingt nur mithilfe vieler Ost-Zeitzeugen. (Di, 22.45 Uhr, ARD)

Fast alle waren drin. Auch Angela Merkel, die sich aber in ihren Erinnerungen eher "unterbetätigt" hatte. Bild: ndr/progress filmverleih gmbh

Die schönste Szene von "Freundschaft!" ist ein Film im Film: Da drückt ein zur Kundgebung befohlener Jungdemonstrant seine Fahne einer korrekt blaubehemdeten Schönheit in die Hand - "steht dir auch viel besser" - und verpisst sich.

Treffender als in dem Ausschnitt aus "Erscheinen Pflicht" von 1984 lässt sich die Haltung der meisten jungen Menschen in der DDR zum eigenen Staatsjugendklub namens Freie Deutsche Jugend (FDJ) nicht beschreiben.

Doch fast alle waren drin: "Unterbetätigt" hat sich auch Angela Merkel in der FDJ, womit sie meint, dass man in ihrer "Seminargruppe Dinge unternommen hat, die mit dem System wenig zu tun hatten". Allerdings: "70 Prozent war Opportunismus", merkt die heutige Kanzlerin an.

Mit "Freundschaft!" versuchen Lutz Hachmeister und Mathias von der Heide den großen FDJ-Rundumschlag: von der verlogenen Neugründung des Jugendverbands unter Erich Honeckers Aufsicht 1946 in Brandenburg, die die viel ältere Exil-FDJ in Prag, London und Paris souverän ignorierte - bis zum Abgesang beim gespenstischen Fackelzug der FDJ zum letzten realsozialistischen DDR-Geburtstag am 7. Oktober 1989.

Noch bei der Großdemonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November standen im Innenhof des FDJ-Zentralratsgebäudes Sondereinheiten der Armee, zum Ausrücken bereit, erinnert sich Petra Pau. Die Bundestagsabgeordnete der Linken war damals Mitarbeiterin der obersten FDJ-Führung.

Dass die Doku mit den Augen von Wessis daherkommt, gleicht sie dabei geschickt durch ihre Zeitzeugen aus. Der Regisseur Andreas Dresen und die Schauspielerin Anja Kling, "Feeling B"-Keyboarder Christian "Flake" Lorenz (heute "Rammstein"), der lieber einen "Osten ohne Mielke, bisschen cool mit Gysi" hätte, Kai-Uwe Kohlschmidt und Chris Hinze von "Sandow", Jan Carpentier vom DDR-Fernsehformat "Elf 99", Marion Brasch von DT 64: "Freundschaft" wird so auch zur spannenden Studie über Jugend, Musik, Film und Medien in der DDR.

Hier wird - endlich - nicht nur der Osten beackert, auch die 1951 in der BRD verbotene West-FDJ mit ihrem heute beinahe schon drollig anmutenden Exvorsitzenden Manfred Kapluck nimmt reichlich Raum ein. Der verhaftet Ulrike Meinhof zwar sehr platt für den staatstragenden Sozialismus, doch wie Kapluck Licht ins Dunkel der von der FDJ auch finanziell unterstützten Konkret-Gründung bringt, hat was: "Wo kriegen wir das Geld her, war gar nicht das Problem. Das Problem war: Wie machste das denn weiß?"

Doch schon damals war die FDJ gescheitert an ihrer eigenen Starrheit - "Die Jugend will aber Möbel rücken", sagt irgendwo gegen Mitte des Films Hans Modrow, der letzte Staatsratsvorsitzende der DDR.

Doch die Freie Deutsche Jugend hatte mit Freiheit wie jungen Menschen nicht eben viel am Hut. Und die nicht mit ihr. Wobei sich zum Schluss noch eine andere Parallele in Sachen Verlust der Jugend aufdrängt. Wir trauen uns das nur, weil "Freundschaft!" in der ARD läuft: Im Protzgebäude des FDJ-Zentralrats unter den Linden in Berlin residiert heute - das ZDF mit seinem Hauptstadtstudio.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • S
    saalbert

    "Allerdings: '70 Prozent war Opportunismus', merkt die heutige Kanzlerin an." "70 Prozent" sind, auch wenn "die Kanzlerin" das sagt, nach wie vor ein Plural, was taz-AutorInnen wissen sollten.