: FAHNENTRAGEN UND HELDENMUSTERN
■ Bilder von DDR-Fotografinnen in West-Berlin
Die Generaldirektion des Kombinats Berlin-Kosmetik sitzt mit energischem Gesichtsausdruck inmitten einer Herrenriege. Plastikdecke auf dem Tisch, Blümchentapete an den Wänden. „Was mich so unglücklich macht, ist dieses Unästhetische“, sagt die Ostberliner Fotografin Katja Worch, aber „wir haben uns so daran gewöhnt“.
Worch hat die Directrice für die DDR-Frauenzeitschrift 'Für Dich‘ abgelichtet. Bei vielen der in der Ausstellung „Einblicke in das Leben der DDR“ im Rathaus Schöneberg gezeigten Fotos von DDR-Fotografinnen handelt es sich um Auftragsarbeiten für Zeitschriften, um Bilder also mit dokumentarischem Charakter. Da ist zum Beispiel die Gemeindeschwester Gertrud aus Suhl zu sehen, dann die rundliche Oberbürgermeisterin von Erfurt vor Gewächshäusern
-und, ganz großartig: eine selbstvergessen rauchende Dame mit Pelzkragen und angebissener Stulle vor sich auf dem plastikbedeckten Katinentisch. Bildtitel: Die Präsidentin des VEB-Kombinats für Unterhaltungskunst in der DDR.
Das sind keine inszenierten Bilder mehr, die in schrill -bunten Tönen den Sieg der Arbeiterklasse propagieren. Diese Fotos entlarven, ohne deshalb denunziatorisch zu wirken. Hier geht es nicht um Klischees oder um Entwürfe dessen, was in Wirklichkeit zu sein habe. Im Gegenteil: Ganz unspektakulär wird hier auf Alltägliches, auf Menschen in ihrem Arbeits- und Privatleben aufmerksam gemacht. Die Fotografin Monika Schulz-Figuth hat zum Beispiel den DDR -Physiker Jürgen Treder mit der Kamera begleitet; vor seinem Namen steht der Titel: Prof. Dr. habil. Dr. h.c. mult. Dieser sitzt dann an einem gedeckten Tisch, während ihm seine Frau die Kartoffeln schneidet. Auf dem nächsten Bild schreitet dieser ellenlange Mann gebeugt und vor Einsicht besessen vor einer Schiefertafel auf und nieder. Da wird einer gewürdigt, ohne posenhaft zum Held der Kopfarbeit stilisiert zu werden.
Alles andere als heroisch wirken auch die Frauen, die in den Betrieben des VEB Kosmetik arbeiten. Die Bildreportage von Barbara Köppe trägt den Titel: „Aus der Serie: Frau, Schönheit, Schicht“. Hier ist nichts mehr mit Aufbaupathos oder glättender Ästhetik - erschreckend geradezu die unretuschierte Härte des industriellen Alltags, in dem diese Frauen mit Gleichmut zu bestehen scheinen.
Daß es neben der von der Al und der NGBK arrangierten Ausstellung im Rathaus Schöneberg zur Zeit noch eine weitere zum Thema „DDR-Fotografinnen“ in der Stadt zu sehen gibt (und zwar in der Galerie Pommersfelde), scheint auf den ersten Blick ein Zufall zu sein. Dabei hat sich das Interesse an den Fotografinnen von drüben tatsächlich enorm gesteigert.
Fest steht, daß sich dort im Lauf der letzten zehn Jahre ein neuer Umgang mit dem Medium Fotografie entwickelt hat, und daß die Fotografinnen einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung haben. Während man bis in die 70er Jahre hinein die Kamera „als effektive Waffe im Dienste der werktätigen Klasse“ verstand und dementsprechend agitatorischer Bildjournalismus angesagt war, hat sich jetzt eine eher kunstfotografische Praxis durchgesetzt. Die Bilder, die ich gesehen habe, zeigen Menschen als Subjekte, nicht als idealtypische Repräsentanten des sozialistischen Arbeiterkampfes. Diese Bilder werben für nichts - vielmehr liegt, wie Gabriele Muschter in der Anthologie treffend sagt, „unter den Aufnahmen immer noch eine Schicht, eine Erfahrung“ von manchmal „schmerzhafter Direktheit“. Daß hier Subjekte in ihren Realerfahrungen ernstgenommen werden, das überrascht angesichts der „bei uns“ üblichen fotografischen Praxis, die von Effekten, durchgestylter Ästhetik und perfektem Design bestimmt wird.
Es bleibt die Frage, inwieweit sich die Wiederkehr des Subjekts in der DDR-Fotografie der weiblichen Wahrnehmung der Fotografinnen verdankt. Spekulationen wie die von Muschter, daß die Sicht von Frauen „durch historische und biologische Erfahrungen ganzheitlich bestimmt“ und gar noch von vornherein „ökologisch“ ausgerichtet sei, scheinen mir mehr als dubios. Dann schon lieber folgendes Statement der Ostberliner Fotografin Ursula Arnold: „Wenn ich frage, ob es für mich eine andere Wirklichkeit als für Männer gibt, heißt die Antwort: nicht zu den Herrschenden zu gehören. Meine Sympathie gehört denen, die nicht zu den Herrschenden gehören.“
Insa Eschenbach (begleitet von Kristina Strauß)
„Einblicke in das Leben der DDR, vorgestellt von sieben Fotografinnen der DDR“ im Foyer des Rathauses Schöneberg, täglich von 9 bis 19 Uhr (17.10 bis 6.11.). „Sechs Fotografinnen aus der DDR“ in der Galerie Pommersfelde, 1/12, Knesebeckstr. 97, Di bis Fr 9 bis 19 Uhr, Sa 11 bis 14 Uhr (15.10 bis 10.11.). Fotos und Zitate aus: DDR-Frauen fotografieren. Lexikon und Anthologie, herausgegeben von G. Muschter, Berlin (West), 1989, 58 Mark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen