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Extreme Bezüge

■ Als Leiter der Bielefelder Kunsthalle versucht Thomas Kellein, kulturpolitisch wie künstlerisch verschiedene Sparten zu vereinen

In der Kunsthalle Bielefeld korrespondieren zur Zeit drei parallel gezeigt Ausstellungen, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben. Einer der Klassiker des Minimalismus, der amerikanische Bildhauer Ronald Bladen (1918 bis 1988), Star und Wegbereiter dieser formal sehr nüchternen Kunstrichtung, wird in der Konzeption von Thomas Kellein zum ersten Mal in Europa mit einer großen Ausstellung realisiert.

Indem Kellein die ständige Bielefelder Sammlung zeitweilig ausgelagert hat und so alle drei Etagen des von Philip Johnson errichteten Kunsthallen-Kubus nutzen kann, gab es Platz für eine zweite Ausstellung: die Cibachrome-Fotos des jungen Fotografen Thomas Demand, der bereits medial bekannte Räumlichkeiten – Bill Gates' Arbeitszimmer etwa, Leni Riefenstahls Filmarchiv oder ein von Bürgern gestürmtes ehemaliges Stasi-Büro – auf fast virtuelle Art rekonstruiert. Als Ausstellung Nummer drei ist in der Studiengalerie ein tonloses, „Hysteria“ betiteltes Video der britischen Medienkünstlerin Sam Taylor-Wood zu sehen.

Dabei scheinen vor allem die Ausstellungen von Bladen und Demand die Kunsthalle als Raum zu strukturieren und zu erweitern. Das Museumsgefühl verschwindet, ein aktueller Kunsthallenbegegnungsraum ist entstanden, in dem sich die raumgreifenden, glatten, handwerklich gearbeiteten Objekte des Bildhauers Bladen und die irritierenden Foto-Objekte Demands in einer visuellen Kargheit ergänzen, die, so Kellein, „ganz dezidiert keinen Menschen“, aber „extreme Bezüge auf den Menschen“ zeige.

Für die kühle Auswahl sind in Bielefeld drei große Plastiken Bladens – „Curve“, „Three Elements“ und „Illusion“ – aus den USA importiert, renoviert und neu zusammengefügt worden. Die überdimensionalen Elemente transportieren Bladens Glauben an die Wirkungsmacht von Gegenständen, deren Starrheit durch die ästhetische Inszenierung ins Fließen gerät. Selbst plane Flächen, immer in Schwarz oder Weiß gehalten, vermitteln eine solcherart auf den Betrachter fixierte Dynamik.

Ein ähnlicher Kommunikationseffekt stellt sich beim Betrachten von Thomas Demands großformatigen Fotografien ein. Die Motive sind originalgetreu bis in Details wie Kaffeetasse oder Aschenbecher aus Papier und Pappe in lebensgroßen Rauminszenierungen nachgestellt worden, bevor Demand auf den Auslöser drückte. Die menschenleere Unbestimmtheit und Undefiniertheit der Ausstrahlung von Demands Raumbildern erscheint als modellhafte Reflexion über die Konstruktion und Dekonstruktion von Lebenswirklichkeit und deren immanenter Fiktionalität. Die vorgebliche Authentizität des Mediums Fotografie erscheint zu einer unheimlichen, überwirklichen Gegenwärtigkeit verfremdet.

Tatsächlich ist diese Korrespondenz zwischen Medien nicht am Reißbrett planbar. So zeigt die Gleichzeitigkeit der Ausstellungen auch den Erfolg einer künstlerischen Gratwanderung an, die ein Ausstellungsmacher zu leisten hat. Bielefeld besitzt in Kellein einen sensiblen und inspirierten Seiltänzer, der nicht nur zwischen Kunsthallen- und Museumscharakter disponieren muß. In „einer an kulturellen Leuchttürmen nicht gerade gesegneten Stadt“ – so ein lokaler Leserbrief – muß sich der „Leuchtturm“ Kunsthalle zunehmend nach Fremdfinanzierung umsehen. Die Lemgoer Statt-Stiftung hat unlängst Lücken in der Bielefelder ständigen Sammlung zu füllen geholfen, die augenblickliche Bladen-Schau ist kongenial von dem Bielefelder Sammler Egidio Marzona ermöglicht worden, der den Nachlaß des Bildhauers erworben hat. Schon die sehr erfolgreiche Caspar-David-Friedrich- Ausstellung war stiftungsfinanziert. Sie markierte in Bielefeld den Beginn einer Entwicklung, die das städtische Museumsengagement, bis auf die laufenden Unterhaltskosten, in die Arme einer privaten Betreibergesellschaft entlassen soll.

Zur letzten Eröffnung kam erstmals kein Vertreter der Stadt zu Wort. Kellein allein zu Haus? Der Eindruck drängt sich auf, immerhin sieht sich der städtische Angestellte Kellein, dem bei seinem Amtsantritt noch Zusagen von der Stadt gemacht wurden, im Stich gelassen. Nach einer öffentlichen Attacke gegen seinen Brötchengeber – vor dem Hintergrund eines gegen Null geschrumpften Produktionsetats, der Kellein für 1999 völlig im ungewissen läßt – stand seine Demission kurz bevor. Schließlich mußte Kellein einsehen, daß er als Angestellter „kein freier Bürger“ ist – und die Stadt mußte sich damit abfinden, daß ohne den umtriebigen Direktor alle fremdfinanzierten Ausstellungen gefährdet wären. „Leuchtturmwärter“ Kellein blieb an Bord.

Die Stadt ist jedoch nicht der einzige Partner bei Kelleins kulturpolitischem Eiertanz. Die Initiative „Leidenschaft für die Kunst“ empfindet den Untertitel der Kunsthalle Bielefeld – Richard- Kaselowsky-Haus – als Skandal (siehe taz vom 13.7.). Kaselowsky war im Nationalsozialismus Mitglied im exklusiven Förderkreis Heinrich Himmler. Unter Kelleins Vorgänger Ulrich Weissner war der Name des Stiefvaters von Kunsthallenstifter Oetker stillschweigend aus dem offiziellen Schriftverkehr verschwunden.

Ob das wiederaufgelebte Beharren auf die Verwendung des Beinamens einer von seiten Oetkers „versuchten Entschuldigung eines NS-Täters“ gleichkommt oder ob die Beibehaltung Bedingung ist für Oetkers Beteiligung am Stiftungskapital der geplanten Betreibergesellschaft – der Vorwurf, Kellein wolle „seine Kunst machen, und weiter interessiert ihn nichts“, ist zu kurz gedacht. Denn eine Erwartungshaltung, die Kunsthalle möge als Institution über die Region hinauswirken, läßt sich nur in Ausstellungskonzeptionen erfüllen, die die Museumsräume von missionarischer Gesinnungsästhetik freihalten.

Wie Kunst ernsthaft an Lebenswirklichkeiten rückkoppelbar ist, zeigt paradigmatisch das erstmals in Europa gezeigte Video von Sam Taylor-Wood. Der minutenlange hysterische Lach- und Weinanfall einer jungen Frau markiert deutlich den Umschlagpunkt, an dem sich das Rollenspiel und die Realität der Frau nicht mehr unterscheiden lassen. Thomas Kellein versucht mit seiner Konzeption für die Kunsthalle einen ähnlichen Spagat. Jörg Buddenberg

Ronald Bladen: Minimal Sculpture; Thomas Demand: Fotografien; Sam Taylor-Wood: „Hysteria“, bis 6.9. Bielefelder Kunsthalle

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