Extra-Schulklassen für deutsche Kinder: Migranten müssen draußen bleiben
Eine Berliner Grundschule begegnet ihrem Migrantenanteil auf streitbare Weise. Mit einer Extra-Klasse für deutsche Kinder umwirbt sie deren Eltern.
Bauplanen und Gerüste versperren die Sicht auf den Eingang. Die Fassade des alten, roten Schulgebäudes wird gerade saniert. An den Wänden im Flur hängen Gedichte und von Kindern gemalte Bilder. Vor dem Amtszimmer 008 sitzen zwei Männer und warten. Drinnen laufen die Anmeldungen für das Schuljahr 2010/11. Saniert wird innen nicht, jedenfalls nicht das Gebäude. In der Gustav-Falke-Grundschule wird es ab dem kommenden Schuljahr eine Spezialklasse geben: die Hälfte der Kinder müssen deutsche Muttersprachler sein und die andere Hälfte muss in dem Sprachtest "Bärenstark" sehr gut abschneiden.
Die Schule hat einen Anteil von Migrantenkindern von 90 Prozent, das scheint viele deutsche Eltern abzuschrecken. Die Eltern des angrenzenden Bezirks Altmitte hatten sich dagegen gewehrt, ihre Kinder hierher zu schicken. Es besteht die Angst, das Unterrichtsniveau könnte zu niedrig sein. 64 Prozent der Kinder haben im vergangenen Jahr Empfehlungen für Realschulen oder Gymnasien bekommen. "So schlecht kann das Niveau ja dann nicht sein", sagt Karin Müller, die Rektorin der Grundschule. Aber es sei wichtig, eine "Durchmischung" der Kinder zu bewahren, damit das Sprachniveau nicht zu sehr sinke. Zum Teil seien Migrantenkinder auch seltener vor der Grundschule in Kitas gewesen: "Denen fehlen dann haptische und motorische Fähigkeiten", so Müller.
Berlin: Laut der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung gibt es in den 1. bis 6. Schulklassen 51.064 Kinder "mit nichtdeutscher Herkunftssprache".
NRW: Im gesamten Bundesland haben nach Angaben des Landesbetriebs für Information und Technik 195.055 Grundschulkinder im Alter von 6-10 Jahren eine "Zuwanderungsgeschichte", in Köln sind es 13.713, in Duisburg 9.022.
Baden-Württemberg: Das Statistische Landesamt verzeichnet für Baden-Württemberg insgesamt 191.000 Personen mit Migrationshintergrund im Alter von 5-10 Jahren. Das Stuttgarter Schulamt hingegen erfasst an den städtischen Grundschulen nur die Nationalität. Im Schuljahr 2008/09 waren es 17.669 ausländische Grundschülerinnen.
Bayern: In Bayern ist es anders herum: Während Münchens Schulamt an seinen Grundschulen auch die Kinder mit Migrationshintergrund zählt (13.460), erfasst das Statistische Landesamt bayernweit nur die ausländischen Grundschülerinnen (33.830).
Deutschland: Laut Mikrozensus 2007 gibt es in Deutschland 1,139 Millionen Personen im Alter von 5-10 Jahren mit "Migrationshintergrund im weitesten Sinne".
Die Eltern aus Altmitte forderten beim Senat ein höheres Niveau bei den Deutschkenntnissen der Schüler, eine kleine Klasse für ihre Kinder und Englischunterricht von Anfang an. Die Eltern setzten sich durch und die Schulleitung gab noch eine Extra-Stunde in naturwissenschaftlichen Fächern für die Deutschklasse hinzu. "Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt worden wären, hätten wir uns umgemeldet oder an einer anderen Schule eingeklagt", sagt eine Mutter, die namentlich nicht genannt werden will.
Der türkische Elternverband Berlin-Brandenburg kritisierte an dem Vorhaben, dass damit eine Elite innerhalb einer Schule gebildet wird und die Kinder selektiert werden. Das lässt die Mutter aus Altmitte nicht gelten: "Wir wollen ja gerade nicht an eine Eliteschule - sonst hätten wir unseren Sohn jetzt auch an einer der Grundschulen in Altmitte anmelden können."
Der Einzugsbereich der Gustav-Falke-Grundschule war, nachdem die Eltern aus Altmitte wegblieben, wieder verkleinert worden. Jetzt können die Eltern ihre Kinder wieder in ihrem Viertel zur Schule schicken. "Hier gibt es auch genügend Privatschulen, aber wir wollten eine gute kommunale Schule", sagt die Mutter.
Die Schule hat mit ihrem Konzept der Deutschklasse bei den Bildungsbürgern in Altmitte geworben. Und wie es aussieht mit Erfolg: "In den vergangenen Jahren wollten die Eltern von uns die Ummeldung, damit sie ihre Kinder auf die Schulen in Altmitte schicken können. Heute sitzen hier viele, die sich bei uns anmelden wollen", so Müller. An den ersten zwei Tagen haben zwölf Eltern ihr Kind für die Klasse angemeldet - insgesamt werden 25 Kinder dort aufgenommen, die Anmeldungen gehen bis zum 13. November. Angst, dass sich die Migranteneltern ausgeschlossen fühlen könnten, hat sie nicht: "In der Schulkonferenz sitzen ja nur Eltern mit Migrationshintergrund, und sie haben für die Deutschklasse gestimmt."
In anderen deutschen Städten mit ähnlich hohem Migrantenkinderanteil hat man das Projekt einer Deutschklasse bereits hinter sich gelassen: "Das hatten wir vor 15 Jahren mal, haben es aber wieder abgeschafft, weil das unserem Ziel der Integration nicht entspricht", sagt Gabi Stöver, die Konrektorin der Freiligrathschule im westfälischen Ahlen. Integration sei Alltag an ihrer Schule.
Um die bildungsnahen Eltern für sich zurückzugewinnen, sucht die Schule nach anderen Wegen: "Wir tun eine ganze Menge mehr als die Sprachförderung, auch für die deutschen Kinder." Zum Beispiel lege die Schule einen Schwerpunkt auf die Ausbildung der Kinder im Umgang mit Computern.
Bereits ab der ersten Klasse sitzen die Kinder zum Teil vorm Bildschirm. Am Ende der Grundschule machen alle eine Prüfung im Zehnfingertippen. "Das müssen wir den deutschen Eltern vermitteln, wir müssen regelrecht Werbung für uns machen." Bisher haben sie damit keinen Erfolg - im Gegenteil: "Wir haben nur 28 Anmeldungen für das kommende Schuljahr, normalerweise sind es mindestens doppelt so viele", so Stöver. Von den 28 Kindern seien 95 Prozent türkischer Herkunft.
Auch für Duisburg ist eine Deutschklasse keine Alternative: "So ein Anliegen gibt es hier nicht, und es ist auch noch nie an mich herangetragen worden", sagt Brigitta Kleffken, die Leitern des Schulaufsichtsamts. Es gebe aber immer mehr türkische Eltern, die ihre Kinder an katholische Schulen schickten, da dort das Lernniveau als höher gelte. "Wir haben in Duisburg katholische Schulen mit 70 Prozent Migrantenkinderanteil", sagt Kleffken. Auch in Berlin-Wedding ist es nicht so, dass die Eltern kein Interesse an der Schulbildung ihrer Kinder hätten: "Wir haben hier genug bildungsnahe Eltern mit Migrationshintergrund", sagt Schulrektorin Müller.
Ein Gefühl der Ausgrenzung gibt es nicht nur in der einen Richtung: In dem wöchentlichen Elterncafé an der Freiligrathschule in Ahlen hätten sich die türkischen Mütter zu Beginn nur auf Türkisch unterhalten, die deutschen wären davon abgeschreckt gewesen, sagt Schulleiterin Stöver. "Wir haben jetzt erklärt, dass Deutsch unsere Schulsprache ist." Das sei für viele türkische Mütter schlichtweg schwierig, da gerade die jungen, die erst seit ein paar Jahren in Deutschland sind, kein Deutsch könnten.
In Stuttgart, wo der Anteil von Migrantenkindern im Grundschulalter bei 58 Prozent liegt, werden diese Mütter gezielt angesprochen. In dem Programm "Mama lernt Deutsch" lernen Mütter zum Beispiel, wie sie eine Entschuldigung für ihr Kind schreiben, was ein Elternabend ist und wie sie sich besser in der Schule einbringen können.
"Leider laufen hier viele Programme noch in Projektform und mit begrenzter Finanzierung", sagt Martha Aykut, die für die Integrationspolitik der Stadt zuständig ist. Ein wichtiges Ziel sei es, die Eltern dazu zu bringen, mit den Kindern zu reden, sie in deutsche Vereine zu geben, mit ihnen in die Bücherei zu gehen.
Sprachkurse reichen nicht
Deutsch-Vorkurse und Förderstunden für Migrantenkinder sind mittlerweile in vielen Bundesländern üblich. Das sei aber ungenügend, meint Thomas Jaitner vom Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration in Köln. "Der herkömmliche Unterricht muss sich ändern", sagt er. Die Mehrsprachigkeit bei Kindern komme in den bisher gängigen Unterrichtsmethoden nicht vor. "Dabei hat zum Beispiel in Köln fast jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund, bei den Neugeborenen liegt der Anteil schon darüber." Didaktik und Schulalltag müssten sich grundlegend ändern, meint Jaitner: "Wir müssen einsehen, dass wir eine der Einwanderungsgesellschaft entsprechende Didaktik brauchen."
In Köln werde zum Beispiel an einigen Schulen die Herkunftssprache der Kinder in den Unterricht miteinbezogen. Das Konzept dazu komme ursprünglich aus Berlin. Dafür müssen in einer Klasse zwei Lehrer mit zwei verschiedenen Muttersprachen eingesetzt werden. "Dadurch erreichen wir, dass die Kinder nicht ständig einen Teil ihrer Identität verbergen müssen", so Jaitner. Und es sei längst bekannt, dass Kinder Deutsch besser lernen, wenn sie ihre Herkunftssprache gut können, und dass sich das Lernniveau der ganzen Klasse verbessere.
In Entscheidungen wie an der Gustav-Falke-Schule im Wedding sieht Jaitner eine falsche Entwicklung: "Mit bürokratischen Schritten wie Kinderverschiebungen wird die Schere nur noch größer." Die Mutter aus Altmitte sieht sich nicht als Teil einer solchen Entwicklung. Die Einrichtung der Klasse sei eine Entscheidung für diese spezielle Schule, die an der Grenze zwischen zwei sozial sehr unterschiedlichen Bezirken liegt. "Wir wollen damit kein Modell für ganz Deutschland vorschlagen", sagt sie. Außerdem gehe sie nicht davon aus, dass die Kinder der Deutschklasse isoliert von den anderen Kindern der Schule sein werden: "Die Kinder gehen ja alle nebeneinander auf die gleiche Schule, es geht nicht um Elitenbildung."
Auch die Rektorin Müller sieht in der Deutschklasse nur eine Reaktion, um ein bereits bestehendes Problem zu lösen. Was von Seiten der Politik getan werden könnte, kann sie nicht so recht sagen: "Da hätte früher was passieren müssen."
Seit 1987 ist Müller Rektorin der Gustav-Falke-Grundschule. Über die Jahre sei ihre Schule allein gelassen worden, sagt sie. "Wir hatten ja ein Inseldasein direkt an der Mauer, da kam nicht oft jemand von außen auf uns zu."
THOMAS JAITNER, PÄDAGOGE
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