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„Expo '92“—Mammutspektakel in Sevilla

Die Vorbereitungen für die Weltausstellung 1992 in Sevilla laufen auf vollen Touren/Ein Riesenprojekt von zweifelhaftem Nutzen für die Bewohner dieser Region/Regierung hofft auf Investitionsanreize/Die 500-Jahr-Feier der sogenannten „Entdeckung“ Amerikas wurde zum Anhängsel der Expo  ■ Aus Sevilla Antje Bauer

„Sevilla war im 16. Jahrhundert aufgrund seines Handelsmonopols mit Amerika eine der reichsten Städte der Welt. Als dieses zerfiel, verging auch der Reichtum und die wirtschaftliche Stoßkraft der Stadt. Die Weltausstellung '92 und die damit verbundenen Investitionen stellen eine großartige Herausforderung dar, um Jahrzehnte der Vernachlässigung zu überwinden...“ So optimistisch wird in einem der zahlreichen Prospekte getextet, mit denen über die für 1992 im andalusischen Sevilla geplante Weltausstellung informiert werden soll. Das Zentrum solcher hochfliegenden Erwartungen ist bislang nicht viel mehr als eine gigantische Baustelle: Auf der „Kartäuserinsel“, dem inmitten des Guadalquivir gelegenen künftigen Standort der Ausstellung, hinterlassen Bagger breite Schlammspuren, Stahlgerüste für Gebäude ragen surrealistisch in die Luft, dünner Rasen beginnt schüchtern zu wachsen.

Im Planungszentrum, das in einigen weißen Baracken untergebracht wurde, vor denen Dutzende von Flaggen aus aller Herren Länder wehen, ist jedoch bereits das Ambiente der künftigen Ausstellung zu spüren. Uniformierte junge Damen geleiten die Besucher gewandt ins klimagekühlte Innere, wo zwischen Grünpflanzen junge Menschen an Computern arbeiten. „107 Länder haben inzwischen ihre Teilnahme angekündigt“, schwärmt der jungdynamische Pressechef Javier de la Puerta, „das ist mehr als auf jeder früheren Weltausstellung.“ Dieser Expo komme besondere Bedeutung zu, da sie die letzte in diesem Jahrhundert sei.

Für soviel Zukunftsmusik werden Mühe und Kosten nicht gescheut. Und so entsteht vor den Augen des Besuchers — bislang anhand von Videos, Zeichnungen und Modellen — eine futuristische Stadt: Auf 215 Hektar werden sich die Pavillons der einzelnen Länder breitmachen, in denen der neueste Stand der Technik und des Wissens ausgebreitet werden soll. Der „Pavillon der Entdeckungen“ wird dem Motto der Weltausstellung „Das Zeitalter der Entdeckungen“ gewidmet sein. Dort werden die spektakulärsten Entdeckungen vom 16. Jahrhundert bis heute dargestellt. Die Ausstellung im „Pavillon der Zukunft“ soll die neuesten Errungenschaften auf dem Gebiet der Energieerzeugung, der Kommunikationstechnik und der Weltraumtechnologie zeigen.

Für die 20 Millionen Besucher, die für den Zeitraum der Weltausstellung vom 20. April bis zum 12. Oktober '92 erwartet werden, sind auch Entspannungspausen vorgesehen: Restaurants und Cafés laden zum Ausruhen ein, ein künstlicher See kann berudert werden, und unter grünen Pergolas läßt sich eine Siesta halten. Die neue Welt der Telekommunikation, der sauberen Technik, der Geschwindigkeit und der Lösbarkeit aller Probleme richtet hier einen Vorposten ein.

Sevilla im Umbruch

Just gegenüber der Kartäuserinsel, ab '92 durch sieben neue Brücken zu erreichen, liegt das alte Sevilla, Gastgeberin für das futuristische Spektakel. Zur Zeit kann man in der Stadt nicht herumgehen, sondern nur herumhüpfen: Alle paar Meter öffnet sich in Bürgersteig oder Straße ein großes Loch, in dem Angestellte der Gas- oder der Elektrizitätswerke, der Telefongesellschaft oder des Straßenbaus arbeiten. Das Zentrum von Sevilla muß schließlich zur Weltausstellung funktionierende Telefone, eine kontinuierliche Stromversorgung und schlaglochfreie Straßen haben. Aber das ist nur eine vorübergehende Auswirkung der Expo-Vorbereitung. Schlimmer ist die Immobilienspekulation: Die Grundstückspreise in Sevilla, einer Provinzkleinstadt, sind mittlerweile so hoch wie in Madrid oder Barcelona. In den vergangenen zweieinhalb Jahren sind die Wohnungspreise um über fünfzig Prozent gestiegen, die Mieten sogar noch weiter. Und das in einer Stadt, die mit 28 Prozent Arbeitslosen als europäische Hauptstadt der Arbeitslosigkeit bezeichnet wird. Eine Wohnung zu finden, ist für Normalbürger zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden.

Auch im Verkehrsbereich hat sich einiges geändert. Im Hinblick auf die Expo '92 wird eine Ausfallstraße um die Stadt herumgebaut, eine neue Autobahn soll Sevilla mit dem Norden Spaniens verbinden. Die beiden Bahnhöfe werden durch einen neuen ersetzt, in dem die neuen Hochgeschwindigkeitszüge verkehren sollen, mit denen Sevilla von Madrid aus in drei Stunden erreichbar sein wird — im Moment sind es mehr als sechs. „Die Expo '92 ist der Anlaß, um Investititionen nach Andalusien zu ziehen“, kommentiert Pressechef Javier de la Puerta, „die Bedingungen dafür werden in Andalusien besser sein, als je zuvor, wenn all diese Arbeiten beendet sind.“

Damit hat der Yuppie vermutlich recht. Die Frage ist nur, für wen sich die Bedingungen verbessern. Zwar zieht die Ringstraße Verkehr aus der Innenstadt ab, jedoch wird sich andererseits die Zahl der Autos in der Stadt erhöhen. Zwar wird die Hauptstadt Andalusiens durch den Hochgeschwindigkeitszug stärker an den Rest Europas angeschlossen, doch die Isolation der Dörfer im Landesinneren wird dadurch eher verstärkt. Auch in Zukunft wird in viele dieser Dörfer nur einmal am Tag ein Bus fahren, und es werden noch mehr unrentable Bahnstrecken stillgelegt — schließlich muß das Geld für den neuen Hochgeschwindigkeitszug mitsamt neuer Gleisanlagen irgendwoanders eingespart werden.

Auch das Argument, die Expo schaffe Arbeitsplätze, ist fragwürdig. High-Tech-Firmen wie IBM, Fujitsu und Siemens, die angekündigt haben, auch nach '92 auf der Kartäuserinsel zu bleiben, brauchen qualifizierte Arbeitskräfte und keine Leute aus dem Heer ungelernter andalusischer Arbeitsloser. „Die Expo ist ein Symbol für das ökonomische Modell der spanischen Sozialisten“, kommentiert Luis Pizarro, Stadtrat der Linksunion „Izquierda Unida“ in Sevilla, „Investitionen werden auf eine bestimmten Raum konzentriert in der Hoffnung, daß das einen wirtschaftlichen Aufschwung nach sich zieht.“ Pizarro bezweifelt, daß dieses Verfahren Erfolg haben wird. „Die Infrastruktur, die hier aufgebaut wird, dient nicht zur innerandalusischen Vernetzung, sondern zur Verbindung der großen Städte mit der Außenwelt. Gleichzeitig werden nicht Industrie und Handwerk Andalusiens gefördert, sondern es werden völlig fremde Unternehmen hierhergelockt.“

Skeptisch zeigt sich Pizarro auch bezüglich der Kosten, die auf Sevilla aufgrund der Expo zukommen. „1929 gab es hier schon einmal eine Weltausstellung und Sevilla hat die bis vor ganz wenigen Jahren abbezahlt. Hier herrscht inzwischen Angst, daß uns mit der Expo das selbe passiert.“ Die Expo-Leitung weist diese Befürchtungen allerdings weit von sich: Zwischen den Einkünften aus Firmenverträgen und den Eintrittsgeldern sei die Finanzierung der Weltausstellung völlig abgedeckt, versichert sie. Nicht verleugnen kann sie allerdings, daß die Kosten 1988 auf 106.665 Millionen Peseten (ca. 1.600 Millionen DM) veranschlagt worden waren und im Februar dieses Jahres bereits auf 144.082 Millionen korrigiert werden mußten.

Spanien: Europäisches Südkorea

Auch wenn hie und da Bedenken geäußert werden — eine öffentliche Kritik an dem futuristischen Mammutprojekt inmitten einer der ärmsten Gegenden Spaniens gibt es kaum. Unter den politischen Gruppierungen haben sich allein „Los Verdes de Andalucia“, die andalusischen Grünen, dezidiert dagegen ausgesprochen. In einer Erklärung zur Expo vom Frühsommer dieses Jahres heißt es: „Weder die Technologie noch die Investitionen geschweige denn der Markt sind von Andalusien aus kontrollierbar. Sie bilden somit ein abhängiges (Dritte- Welt-) Wirtschaftsprojekt.“ Statt eines europäischen Kalifornien, wie erhofft, wird sich Andalusien in ein europäisches Südkorea verwandeln, so die Befürchtungen der Grünen.

Doch mit ihren Unkenrufen stehen die spanischen Grünen weitgehend allein. Im Stadtrat sind sie nicht vertreten, und auch ihre aktiven Mitglieder sind nicht eben zahlreich. So ist es kaum verwunderlich, daß sie sich mit Initiativen gegen die Weltausstellung weitgehend zurückhalten. „Wir wollen vielleicht einen Gegenkongreß abhalten, aber sicher ist das noch nicht“, erklärt Jose Maria Garcia Perez gegenüber der taz. Zu mehr reichen die Kräfte nicht.

500-Jahr-Feier mit schlechtem Gewissen

Wenn schon die geplante Weltausstellung, deren Auswirkungen immerhin schon jetzt konkret spürbar sind, in Spanien nur wenig politische Auseinandersetzung auslöst, so gilt das erst recht für die 500-Jahr-Feier der „Entdeckung Amerikas“. Dazu haben die Organisatoren natürlich das Ihre beigetragen: Ursprünglich sollte die „Entdeckung Amerikas“ das Motto einer großen nationalen Veranstaltung sein. Doch nun taucht dieses Motiv in der Weltausstellung nur mehr verschämt, als „Zeitalter der Entdeckungen“ verschleiert, auf. Das Zentrum der Organisatoren der 500-Jahr-Feier befindet sich in Madrid.

Während sich Spanien mit der Weltausstellung brüstet, wirken die Vorbereitungen für die 500-Jahr- Feier fast wie ein peinlicher Akt, dem zahlreiche Entschuldigungen vorausgehen müssen. Denn zum einen hat die Eroberung Spaniens von den Mauren und die sich anschließende Ausbeutung Lateinamerikas zu Spaniens „goldenem Zeitalter“ geführt, das noch immer Objekt von nostalgischer Verklärung und geschichtlicher Identifikation ist. Zum anderen haben zwar die Staatsoberhäupter der meisten ehemaligen Kolonien in eine Kooperation mit Spanien zum Zwecke der Feier eingewilligt, dennoch kommt es immer wieder zu unschönen Szenen: So verließen erst kürzlich bei einer Konferenz in Norwegen zahlreiche Vertreter von Indios aus Mexiko, Bolivien, Argentien und El Salvador den Saal aus Protest gegen eine Rede von Luis Yanez, Staatssekretär für internationale und lateinamerikanische Kooperation und oberster Chef der 500-Jahr-Feier-Organisation. Das Programm für die 500-Jahr-Feier oder das „Treffen zweier Welten“, wie die Feier offiziell auch gerne genannt wird, spiegelt den Widerspruch zwischen spanischem Nationalstolz und schlechtem historischem Gewissen wider: Neben der Finanzierung der Restauration von Bauten, archäologischen Ausgrabungen in Lateinamerika und breitgefächertem Kulturprogramm gibt es eine Arbeitsgruppe „Sefarad '92“ die die Spuren der Juden verfolgen soll, die vor 500 Jahren aus Spanien vertrieben wurden, und eine Arbeitsgruppe „Al-Andalus '92“ soll die vergangene Blüte des maurischen Andalusien wieder bewußt machen.

Zu Beginn dieses Jahres verabschiedete die spanische Regierung einen „Plan 500 Jahre“, der eine kulturelle, wissenschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit mit den lateinamerikanischen Ländern anstrebt und dafür 500 Millionen Dollar zur Verfügung stellt. Verzichten wollen sie nicht auf die Feier — dann wird sie eben ein bißchen verbrämt.

Der Hysteriker Bartolome de las Casas

Kritik an der spanischen Bereitschaft, den 500. Jahrestag des Beginns der Ausrottung der amerikanischen Ureinwohner zu feiern, kommt vor allem aus Lateinamerika selbst und vereinzelt von spanischen Intellektuellen. So formulierte Quechua Wankar aus Bolivien gegenüber der Tageszeitung 'El Mundo‘: „Verbrechen werden nicht gefeiert, sondern bestraft. So etwas zu feiern ist wie die Einrichtung der KZs zu feiern.“ Bekannte Maler wie der Altkommunist Rafael Alberti, Schriftsteller wie Rafael Sanchez Ferlosio und Uniprofessoren wie Agustin Garcia Calvo organisieren Kunstausstellungen oder Podiumsdiskussionen gegen die 500-Jahr-Feier. Doch eine breite innerspanische Diskussion ist das noch lange nicht. So kann es sich der Nobelpreisträger Camilo José Cela leisten, gegen das schlechte Gewissen zu Felde zu ziehen: „Die Eroberer haben den Eroberten immer einen Tritt in den Hintern gegeben. Selbst die Engländer sperrten die Indios in Käfige. An all dieser Reue wegen der spanischen Eroberung ist der Mönch Bartolome de las Casas schuld, das war ein Hysteriker.“ Der genannte Hysteriker war einer der wenigen spanischen Kirchenleute, die den Umgang der Conquistadores mit den Indios heftig kritisierten.

Der Hysteriker Bartolome de las Casas

Kritik an der spanischen Bereitschaft, den 500. Jahrestag des Beginns der Ausrottung der amerikanischen Ureinwohner zu feiern, kommt vor allem aus Lateinamerika selbst und vereinzelt von spanischen Intellektuellen. So formulierte der Quechua Wankar aus Bolivien gegenüber der Tageszeitung 'El Mundo‘: „Verbrechen werden nicht gefeiert, sondern bestraft. So etwas zu feiern ist wie die Einrichtung der KZs zu feiern.“ Bekannte Maler wie der Altkommunist Rafael Alberti, Schriftsteller wie Rafael Sanchez Ferlosio und Uniprofessoren wie Agustin Garcia Calvo organisieren Kunstausstellungen oder Podiumsdiskussionen gegen die 500-Jahr- Feier. Doch eine breite innerspanische Diskussion ist das noch lange nicht. So kann es sich der Nobelpreisträger Camilo José Cela leisten, gegen das schlechte Gewissen zu Felde zu ziehen: „Die Eroberer haben den Eroberten immer einen Tritt in den Hintern gegeben. Selbst die Engländer sperrten die Indios in Käfige. An all dieser Reue wegen der spanischen Eroberung ist der Mönch Bartolome de las Casas schuld, das war ein Hysteriker.“ Der genannte Hysteriker war einer der wenigen spanischen Kirchenleute, die den Umgang der Conquistadores mit den Indios heftig kritisierten.

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