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Explosiv und elektrisiert

■ Ein Gespräch mit der mexikanischen Filmerin Maria Novaro

„Mexiko ist zur Zeit ein sehr bewegtes Land“, erzählt Maria Novaro nicht ohne Stolz. Die Leute würden seit den Zapatisten-Aufständen die wirtschaftspolitische Krise wie elektrisiert verfolgen und viele hätten das Gefühl, daß sich bald einiges ändern wird. „Es scheint sich so etwas wie eine Revolution anzubahnen, die über die Bewegung des 20. Jahrhunderts hinausgeht“, fährt sie fort.

Spätestens seit ihrem zweiten Film Danzón, mit dem sie vor fünf Jahren in Cannes Furore machte, zählt Maria Novaro zu den renommiertesten Filmemacherinnen der jungen Generation. Jetzt war sie erstmals in Hamburg zu Besuch, um die Retrospektive zu begleiten, die ihr das Kino 3001 im Rahmen der Mexikanischen Filmtage gewidmet hat – und um über das zu reden, was zahlreiche Künstler in ihrer Heimat bewegt: die Krise des Landes und das Ringen der mexikanischen Amerikaner um ihre kulturelle Identität.

Es würde noch immer von vielen ignoriert, daß Millionen von Mexikanern, die in den USA leben und sich selbst Chicanos nennen, eine eigene Kultur entwickelt haben und seit Jahrzehnten um Anerkennung kämpfen, erzählt Novaro. Sie würden in Kalifornien, das einst zu Mexiko gehörte, nach wie vor wie Emigranten traktiert, die sich der Assimilation widersetzen, derweil sie in Mexiko die Zielscheibe böser Witze wären.

Doch der Einfluß, den die Chicano-Kultur auf die mexikanische Gesellschaft nimmt, wächst, es wird sogar über die Zweistaatlichkeit debattiert, und – das ist laut Novaro für viele Künstler der spannende Moment – rigide Strukturen geraten ins Wanken. Denn jene Szene sei im Gegensatz zur mexikanischen offen, ja anti-aristokratisch und habe erstmals Kindern von Landarbeitern die künstlerische Arbeit ermöglicht. „Das ist genau der Punkt, wo mich die Bewegung packt“, erzählt Maria Novaro weiter. „Menschen, die bislang von der Kultur ausgeschlossen waren, erhalten endlich Zugang.“

Dennoch, was sich für Außenstehende so reibungslos unter das Chicano-Label fügen mag, stößt bei Insidern auf Skepsis. So kann Novaro beispielsweise Gregory Navas jüngstem Film My Family, der am Samstag seine deutsche Premiere feiern wird und von Francis Ford Coppola produziert wurde, nur wenig abgewinnen. Die Saga sei für Gringos gemacht, die keine Ahnung von lateinamerikanischen Akzenten hätten. „Er ist nicht für uns gemacht“, stellt sie unmißverständlich fest.

So selbstbewußt sie das Urteil fällt, so schonungslos benennt Novaro auch die Wunden der mexikanischen Filmindustrie, die nicht nur aus der Finanzkrise resultieren. „Es gibt meiner Meinung nach eine gravierende Änderung in der Kulturpolitik“, sagt sie. „Die demokratischen Instanzen haben dicht gemacht.“ Für Newcomer ist das Filmemachen seit zwei Jahren wieder zum Kraftakt geworden.

Doch die Stimmung in Mexiko ist explosiv, und wenn man Novaros Momentaufnahmen lauscht, gibt es keinen Zweifel – die jungen mexikanischen Filmemacher werden auch in Zukunft für Sprengstoff sorgen. Silke Kirsch

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