Experten fordern rezeptfreie "Pille danach": Gestatten, Gestagen
Die "Pille danach" dient als Verhütung für den Notfall. Experten sind der Meinung, man sollte sie längst einfach in der Apotheke kaufen können.
Kondome machen eben einfach manchmal Probleme. Sie reißen, verrutschen, gehen kurzzeitig im Innern des Körpers verloren. Nach so einem Malheur begeben sich viele Frauen auf die Suche nach der "Pille danach". Meist ist es Nacht, oft ist es Wochenende. Und vor dem Schlucken der Tablette kommen die Fragen: Welcher Arzt hat Notdienst? Wie komm ich da hin? Muss ich noch auf den Stuhl oder kann ich das Rezept einfach mitnehmen?
Dass man in solchen Momenten nicht einfach in die Apotheke gehen und sich die Pille kaufen kann, kann die Gesundheitswissenschaftlerin Daphne Hahn nicht verstehen. "Es gibt dafür keine sachlichen Gründe", sagt die Vorsitzende von Pro Familia. Schon seit Jahren fordert der Verband die Befreiung der Rezeptpflicht für eine spezielle "Pille danach", ein Präparat mit dem Wirkstoff Levonorgestrel.
So könnten Mädchen und Frauen im Notfall schneller an die Tablette kommen, was ihre Wirksamkeit erhöht: Bis 24 Stunden nach so einem Kondom-Debakel kann sie mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit eine Schwangerschaft verhindern, danach sinkt die Quote.
Weil Levonorgestrel nur leichte Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Kopfschmerzen hat, empfehlen selbst Institutionen wie die Weltgesundheitsorganisation, diese Pille rezeptfrei zugänglich zu machen. In den 16 Ländern der EU kann man sie mittlerweile frei in der Apotheke kaufen, alle deutschen Nachbarländer außer Polen und Tschechien sind darunter.
Viele weitere spannende Texte lesen Sie am 25./26. Februar in der Sonntaz. Erhältlich am Kiosk, eKiosk oder gleich im //www.taz.de/zeitung/abo/wochenendabo/:Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
***
Späte Verhütung
Die Pille: In Deutschland gibt es seit acht Jahren die "Pille danach" auf Basis von Levonorgestrel und seit 2009 eine mit dem Wirkstoff Ulipristal. Letztere wirkt bis zu fünf Tage nach dem Sex, ist aber mit rund 35 Euro etwa doppelt so teuer. Online bekommt man die Tabletten rezeptfrei, aber für ein Vielfaches des Apothekenpreises.
Die Frauen: 13 Prozent aller 18- bis 29-jährigen Frauen haben schon mal eine "Pille danach" genommen, nur 3 Prozent davon mehrmals. Grundsätzlich, stellt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fest, nutzen dabei eher Frauen mit höherer Schulbildung die "Pille danach".
Lobby der Frauenärzte
Auch der in Deutschland für eine solche Gesetzesänderung zuständige Ausschuss, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, hat sich schon im Jahr 2003 dafür ausgesprochen, Levonorgestrel aus der Rezeptpflicht zu entlassen. Warum also ist das noch nicht geschehen?
"Entweder ist die Lobby der Frauenärzte so stark oder das Unwissen über die Funktionsweise der Pille danach", sagt die Pro-Familia-Expertin Hahn. Wahrscheinlich sei es beides. Christian Albring ist Vorsitzender des Berufsverbandes der Frauenärzte. Er schrieb vor kurzem im Fachblatt Frauenarzt ein Pamphlet gegen die Rezeptbefreiung.
Eines seiner Argumente: "Frauen kommen durch die ärztliche Verordnung gleichzeitig auch immer in den Genuss einer kontrazeptiven Beratung, die ihnen auch für die Zukunft weiterhilft", sagt Albring. "Und das streben wir bewusst an." Die Frauen würden in so einer Situation die fachliche Kompetenz, Neutralität und professionelle Distanz der Ärzte schätzen.
In Befragungen von Pro Familia berichten jedoch ein Drittel der Frauen davon, sich in solch einer Beratung abschätzig, respektlos oder herablassend behandelt gefühlt zu haben. Manche scheiterten komplett und bekamen die "Pille danach" gar nicht. "Wir haben festgestellt, dass die Versorgung oft mit großen Hürden verbunden ist", sagt Hahn.
Vermehrte Kosten
Die Rezeptpflicht kann für Frauen auch vermehrte Kosten bedeuten: Einige Ärzte machen nachts Ultraschall- und andere gynäkologische Untersuchungen oder Schwangerschaftstests, die privat bezahlt werden müssen. Nach internationalen Richtlinien ist das bei Einnahme von Levonorgestrel unnötig - nicht mal der Berufsverband der Frauenärzte sieht im vorangehenden Schwangerschaftstest einen Sinn.
So bleibt die Frage, ob das Bestehen auf dem Gang zum Arzt nicht vor allem dazu dient, Geld zu verdienen und neue Kundinnen zu gewinnen. Levonorgestrel ist ein Wirkstoff auf Basis des Hormons Gestagen, dem Gelbkörperhormon. Er unterdrückt oder verzögert den Eisprung.
Spermien befruchten das Ei oft erst Stunden oder Tage nach dem Geschlechtsverkehr - wenn eben eine Eizelle reif ist. Wenn frau also Levonorgestrel nimmt, sollte sie sie so schnell wie möglich einnehmen: Denn in der Zwischenzeit könnte der Eisprung stattfinden.
Ist die Eizelle erst einmal befruchtet und hat sich in der Gebärmutter eingenistet - wenn die Frau also schon schwanger ist -, passiert gar nichts: Levonorgestrel kann keine bestehende Schwangerschaft abbrechen. Entgegen vielen Mythen ist es also keine Abtreibungspille.
Mythos von der Abtreibungspille
Doch dieser Mythos von der Abtreibungspille dürfte eine Rolle in der bestehenden Rezeptpflicht spielen. Soll das Gesetz geändert werden, muss der Bundesrat zustimmen - doch weil schnell klar war, dass eine solche Gesetzesänderung dort keine Mehrheit finden würde, kam es trotz Empfehlungen dort gar nicht auf den Tisch. Besonders CDU/CSU-Länderministerien verhindern wohl die Rezeptbefreiung.
Dabei ist keine Änderung in Sicht. Auch Albring weist in seinem Artikel darauf hin, dass lediglich einige rot-grüne Bundesländer die Freigabe unterstützen würden. "Es hat schon mit christlich-konservativen Werten zu tun", sagt Daphne Hahn von Pro Familia. "In kirchlichen Krankenhäusern wird die Pille danach oft nicht ausgegeben, insbesondere in denen mit katholischer Trägerschaft."
Die "Pille danach" bringt den Zyklus der Frau durcheinander, sie ist demnach sicher kein Medikament zur Dauerverhütung. So wird sie aber in den europäischen Ländern, in denen Frauen diese "Pille danach" nun frei in der Apotheke kaufen können, auch nicht genutzt, ergaben Studien.
Dass mittlerweile die meisten Länder in der EU Levonorgestrel freigegeben haben, zählt für den Frauenarzt Albring nicht: "Wir haben eben das beste Gesundheitssystem der Welt", sagt er. Diese Länder hätten nicht die Mittel für eine gesundheitliche Versorgung, wie sie in Deutschland möglich sei.
Chrashkurs über den Zyklus
Für ihn gibt es weitere Gründe, den Gang der Frauen zum Arzt zu fordern: "Viele Frauen und Mädchen können im Notfall nicht einschätzen, ob und wann sie die Pille danach nehmen sollen", sagt Albring. Neunzig Prozent aller Frauen würden sich mit ihrem Zyklus nicht auskennen und brauchten fachmännische Hilfe. Sperma, Eisprung - solche Dinge seien einfach zu kompliziert.
Für Daphne Hahn gleicht so einer Aussage einer Entmündigung der Frauen. "Frauen können ihren Zyklus oftmals sehr gut einschätzen", sagt sie. Also, für alle Mädchen, Frauen, Jungs und Männer mit verrutschten Kondomen, hier noch einmal ein Crashkurs: Ein durchschnittlicher Monatszyklus dauert - vom ersten Tag der Periode bis zum ersten Tag der nächsten - 28 Tage.
Zyklen können aber auch 25 oder 35 Tage dauern, jede Frau sollte sich ihren selbst ausrechnen. In der Mitte findet der Eisprung statt. Heißt in der Regel: Erster Tag der Periode plus 14. Nun ist die Eizelle 12 bis 24 Stunden Stunden lang befruchtbar. Der Zeitpunkt des Eisprungs kann schwanken, etwa wenn frau gerade die Pille abgesetzt hat.
Und: Das Sperma kann bis zu fünf Tage im Körper auf ein befruchtungsfähiges Ei warten. Wer heute Sex hat, kann also auch noch zwei Tage später schwanger werden. Die "Pille danach" hilft deshalb eigentlich nur vor dem Eisprung. Wann der genau ist, kann eine Frau aber grundsätzlich ebenso gut selbst ausrechnen wie mit ihrer Ärztin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus