Experte zu Microsofts Strategiewechsel: "Eigene Interessen gehen vor"

Der Software-Experte Bernhard Reiter über Microsofts Rekordbußgelder, verstärkte Konkurrenz durch Google & Co und mehr Transparenz bei dem Software-Marktführer.

Microsoft kündigt einen Strategiewechsel an - solange die eigenen Interessen gesichert werden. Bild: dpa

Die EU-Wettbewerbshüter meinen es ernst: Am Dienstag wurde bekannt, dass der Softwarekonzern Microsoft fast 900 Millionen Euro zahlen muss, weil er Wettbewerbern ungerechtfertigt zu hohe Lizenzgebühren abverlangt haben soll.

Erst letzte Woche hatte das Unternehmen angekündigt, sich stärker gegenüber Konkurrenten zu öffnen und auch Entwicklern quelloffener, freier Software stärker unter die Arme zu greifen.

Im Interview mit taz.de erläutert Bernhard Reiter, Deutschland-Koordinator der Open-Source-Organisation Free Software Foundation Europe (FSFE), was er von den ersten Schritten des Softwareriesen hält, sich dem Markt gegenüber transparenter zu zeigen.

taz.de: Microsoft hat in der vergangenen Woche angekündigt, sich Konkurrenten künftig stärker zu öffnen und Dokumentationen samt einzelner Quellcodes bekannter Produkte wie Windows Vista oder Office freizugeben. Ist das aus Ihrer Sicht ein überfälliger Schritt?

Bernhard Reiter: Am Montag begann die Abstimmung über Microsofts Bürodatenformat OOXML - der Zeitpunkt der Mitteilung lässt also auch auf eine Pressekampagne schliessen. Überfällig wäre, die Schnittstelleninformationen für jeden Hersteller zu öffnen, was auch heißt, auf entsprechende US-Softwarepatente zu verzichten. Bisher lesen wir die Ankündigung nur als Schrittchen in diese Richtung. Die Details müssen wir noch prüfen.

Wie bewerten Sie den Strategiewechsel? Meint es der Softwareriese wirklich ernst?

Ob es sich hier wirklich um einen Strategiewechsel handelt, wird sich erst zeigen. Klar ist, dass es Microsoft ernst mit den eigenen Interessen meint. Dem gegenüber waren die Erwartungen der Gesetzgeber in Europa und den Nationalstaaten insgesamt bisher nachrangig - was auch für Kunden, Wettbewerber und die Gesellschaft an sich gelten dürfte. Dass sich dies von heute auf morgen geändert hat, würde ich bezweifeln.

Was motiviert Microsoft zu diesem Schritt?

Der Anlass scheint die erwähnte Abstimmung über das Datenformat "Office Open XML" (OOXML) als ISO-Standard zu sein - denn hier hat Microsoft im ersten Anlauf seine Interessen nicht durchsetzen können. Es gibt ein offenes Datenformat namens ODF, das den Rang eines internationalen Standards genießt. Microsoft fürchtet, dass sich dieser Standard bei öffentlichen Einrichtungen weltweit und der Wirtschaft generell durchsetzen könnte. Mittelfristig dürfte auch der Druck der EU Kommission und anderer Länder Wirkung zeigen.

Wie war die Situation bislang? Hat die Geschlossenheit Microsofts den Markt behindert?

Das hat jedenfalls der Europäische Gerichtshof festgestellt. Unserer Meinung nach ist die Verwaltung von Anwendern in gemischten Netzen aus Windows- und Nicht-Windows-Betriebssystemen heute mehrfach so teuer wie sie sein müsste.

Microsoft sagt auch, dass man Open-Source-Entwickler vor Klagen schützen möchte. Wo drohten die bislang?

Die drohen nach wie vor - bei einer tatsächlichen (oder auch nur behaupteten) Verletzung von Microsofts Urheberrecht. Aber auch bei tatsächlichen (oder nur behaupteten) Verletzungen von Softwarepatenten. Hier liegt die Gefahr für kommerzielle Entwickler (wie die von freier Software) vor allem darin, dass ihnen eine Klage wegen einer solchen Verletzung vorgeworfen wird - gleichgültig, ob der Vorwurf berechtigt ist, oder nicht. Wird dann posthum festgestellt, dass der Vorwurf unberechtigt war, bringt das einem beklagten Unternehmen wenig, wenn es das Ende des Verfahrens mangels finanzieller Mittel nicht erlebt hat.

Was wird sich durch die Initiative für Programmierer freier Software ändern?

Es bleibt abzuwarten, ob sie die angekündigten Dokumentation erhalten und ob sie nützlich ist. Immerhin ist dann vielleicht erkennbar, wo Microsoft glaubt, Patent zu haben. Dass kann in Einzelfällen zu einer erfolgreichen Umgehung des Patents und damit zu besserer Software führen. Insgesamt erwarten wir, dass sich wenig ändert. Die großen Schritte müssen noch kommen.

INTERVIEW: BEN SCHWAN

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