Experte über Antisemitismus im Südwesten: "Kinder müssen Demokratie erleben"
Nicht nur im Osten, auch im Südwesten Deutschlands ist Rechtsextremismus ein Problem, so eine neue Studie der Ebert-Stiftung. Wie man das ändern könnte, überlegt Stephan Braun.
taz: Herr Braun, wie kommt es, dass Antisemitismus im reichen Baden-Württemberg derart verbreitet ist?
Stephan Braun: Diese Ergebnisse waren für mich nicht sonderlich überraschend. Sie zeigen doch nur, dass es falsch ist, rechtsextreme Einstellungen als Randphänomen zu begreifen. Insbesondere antisemitische Einstellungen hängen eben nicht davon ab, ob es um eine Jugendliche oder um einen Arbeitslosen geht. Es ist auch unfruchtbar, an dieses Phänomen allein mit dem Blick auf Straftaten heranzugehen. Das sind eingeschränkte Sichtweisen, und wer sich allein auf die verlässt, der wird bei genauerer Betrachtung des Rechtsextremismus immer unangenehme Überraschungen erleben.
Die Forscher sagen aber auch selbst, dass Arbeitslosigkeit oder mangelnde Bildung das Risiko rechtsextremer Einstellungen erhöhen. Warum also haben ausgerechnet die beiden wohlsituierten Länder Bayern oder Baden-Württemberg hier stellenweise ein ähnlich großes Problem wie das abgehängte Mecklenburg-Vorpommern?
Zunächst einmal ist Arbeitslosigkeit für Antisemitismus - anders als für Ausländerfeindlichkeit - kein entscheidender Faktor. Und wenn man sich unsere Geschichte anschaut, dann wird man sehen, dass die "Republikaner" zweimal im Stuttgarter Landtag saßen und die NPD zumindest einmal. Das zeigt ein Potenzial von rechtsextremen Einstellungen, das nicht verschwunden ist, auch wenn es sich im Wahlverhalten nicht äußert. Man darf nicht vergessen, dass es der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß war, der die Parole ausgab, es dürfe rechts neben der CSU nichts geben.
Franz Josef Strauß ist lange tot.
Es war doch nicht Strauß allein. Hier im Südwesten mangelte es des Öfteren an der Abgrenzung in Richtung Rechtsextremismus. Nehmen Sie die CDU-nahe Ausbildungsstätte Weikersheim, die über Jahre hinweg die Abgrenzung nicht schafft. Baden-Württemberg hatte einen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, der als Richter bei Hitlers Marine noch 1945 Todesurteile gegen Deserteure beantragte und deswegen später nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben wollte. Und unser derzeitiger Ministerpräsident Günther Oettinger hat für diesen Mann auch noch eine lobende Grabrede gehalten.
Oettinger ist ein verkappter Rechtsextremer?
Natürlich nicht. Aber er wollte mit seiner Rede eine gewisse Zielgruppe erreichen und dafür hat er grundlegende Prinzipien verletzt. Und die Reaktionen aus der hiesigen CDU auf die Aufregung nach Oettingers Rede waren erschreckend. Da hat man versucht zu beschönigen und zu verteidigen. Ganz anders hat die Bundes-CDU reagiert. Dort waren viele von Oettingers Rede entsetzt und haben versucht, auf ihn einzuwirken.
Und was können Baden-Württemberg und Bayern jetzt tun?
Diese Studie und die vorhergehende Erhebung der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigen uns das ganz genau. Wir müssen die politische Bildung und die Demokratieerziehung ganz anders anlegen. Schon Kinder müssen Demokratie erleben können, dafür eine Leidenschaft entwickeln, Mehrheiten organisieren und auch mal verlieren. Dafür müssten jedoch unsere Schulen ganz anders aussehen. Derzeit gibt es dort nur ein absolutes Minimum an Mitbestimmung. Kinder brauchen mehr Teilhabe, mehr Macht, damit sie lernen, wie kompliziert der Umgang damit sein kann. Gute Modelle haben wir in Baden-Württemberg durchaus. Aber diese gehen bisher nie in Serie. Und deshalb können sie gar nicht die Breitenwirkung erreichen, die sie bräuchten, um erfolgreich zu sein.
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