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Experimentelle georgische MusikKann sich ein Saxophon erinnern?

In Georgien leiden auch die Künste unter Repression. Bei TSA: in transmission fand die experimentelle Musikszene für einen Abend lang ein neues Zuhause.

Die Painistin Tamriko Kordzaia mit Alexandre Kordzaia bei einem Auftritt im Klanghaus Toggenburg im Mai 2025 Foto: Gian Ehrenzeller/picture alliance

Reso Kiknadze steht im silent green, legt seine Lippen ans Saxophon. Eine schmerzhafte Tonfolge, durchwoben von inneren Rissen, dringt bis in die Kuppel der Aussegnungshalle des früheren Weddinger Krematoriums. Kurze Toninseln erinnern an Jazz. Das Ohr möchte sich daran festhalten, aber Kiknadze bricht das Spiel immer wieder abrupt ab.

Und erneut ist man der dystopischen Klangwelt, die Mess_Montage auf dem Synthesizer komponiert, komplett ausgeliefert. Der international bekannte Tilfliser Saxophonist und der in Georgien geborene, in Berlin lebende Klangkünstler sind das Auftakt-Duo des ersten Abends von „TSA – in transmission“, einer neue Reihe mit experimenteller georgischer Live-Musik.

TSA, eine 2019 ins Leben gerufene georgische Musik-Community-Plattform, hat sich in wenigen Jahren zum digitalen Archiv der georgischen Musikszene entwickelt. Eigentlich wollte TSA 2024 mit den ersten Live-Acts in Georgien beginnen, um so an einem neuen georgischen Sound zu basteln. Fakt ist, dass inzwischen die repressiven politischen Verhältnisse vor Ort auch den Spielraum von MusikerInnen empfindlich einschränken.

Das manifestiert sich konkret im Wegfallen von Orten, um physisch vor Publikum aufzutreten. TSA hat sich so entschlossen, georgische Musik unzensiert im Ausland weiterzuentwickeln, um auf diese Weise die kulturelle Widerstandsfähigkeit zu stärken.

Temporäre Duos finden sich

Der Startpunkt dafür ist Berlin. Sechs KünstlerInnen haben sich im silent green zu drei temporären Duos zusammengefunden. Synthesizer trifft auf Saxophon, trifft auf Drums, trifft auf Klavier. Mit der Pianistin Tamriko Kordzaia und der Elektronikkünstlerin Natalie Beridze haben sich zwei georgische Musikgrößen zusammengetan.

Kordzaia nutzt den Flügel als Tast-, Schlag- und Streichinstrument. Sie entlockt den in den Flügel gespannten Audiokassetten-Bändern sphärische Töne, traktiert die tiefsten Molltasten mit einem extrem beunruhigenden Tremolo und erklopft sich mit Sticks und Klangschalen ihr Instrument.

Beridze umrahmt das furiose Spiel mit einem Klangteppich, der Kordzaias musikalische Ausflüge wie ein symbiotisches Netz auffängt. Wenn Beridze a cappella ins Mikrofon haucht, scheinen sich die Töne in der plötzlich eingetretenen Stille in den Raum zu hängen. Eine extrem spannende Komposition, in der zwei herausragende Künstlerinnen Können und Neugier potenziert haben. Demnächst erscheint der Act bei TSA Records auf Vinyl.

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