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Exekutionen werden zur Normalität

Im „Kampf gegen den Terrorismus“ macht die türkische Polizei kaum noch Gefangene  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Die Razzia der Polizei im Istanbuler Stadtquartier Aksaray verlief wie gehabt. Polizisten stürmten die Vereinsräume des „Vereins für Rechte und Freiheiten“ und des „Frauenverbandes für Demokratie“. Die Vereine wurden auf Anordnung des Gouverneurs kurzerhand verboten. Rechtsanwalt Bedii Yarayici, der sich zum Zeitpunkt der Razzia in den Vereinsräumen aufhielt, schilderte später den Einsatz: „Rund 20 Zivilpolizisten, ihre Maschinenpistolen im Anschlag, stürmten hinein. Wir wurden — insgesamt zwölf Personen, unter uns zwei Kinder im Alter von zwölf und 14 Jahren — allesamt zur politischen Polizei gebracht.“ Für den Rechtsanwalt ist die Situation nicht außergewöhnlich: „Hier zählen keine Gesetze. Die Polizei hat ihre eigenen Gesetze. Sie beschuldigen, sie verurteilen, sie richten Menschen hin.“ Die Razzia war nur ein kurzes Zwischenspiel im Zuge der polizeilichen Operationen, die die Zerschlagung der verbotenen, linken Terrororganisation Dev-Sol (Revolutionäre Linke) zum Ziel haben. Beiden Vereinen werden Beziehungen zur Dev-Sol nachgesagt.

Ein dreckiger Krieg tobt auf Istanbuls Straßen. Es vergeht keine Woche in der Acht-Millionen-Metropole, in der nicht Terroristen „tot gefangengenommen“ werden oder im Gegenzug Polizeibeamte bei Attentaten sterben. Einer der blutigen Höhepunkte der vergangenen Zeit war der 17.April. Elf mutmaßliche Angehörige der Dev-Sol, unter ihnen Sinan Kukul, eines der führenden Organisationsmitglieder, wurden „im Zuge des Gefechtes“ — so die offizielle Darstellung — von Sonderteams der Polizei erschossen. Die Polizei hatte in Istanbul zeitgleich Operationen gegen mehrere „konspirative Wohnungen“ gestartet. Beispielhaft war das barbarische Schauspiel im Stadtteil Selamicesme, wo drei der insgesamt elf Dev-Sol-Anhänger getötet wurden. „Ihr Polzisten seid Angehörige einer Mafia-Organisation, die von Steuergeldern einer Bordellbesitzerin lebt. Nieder mit dem Faschismus. Es lebe unser Kampf“, schrie einer der eingekesselten Militanten. Die Flagge der Dev-Sol wurde gehißt. Über acht Stunden dauerte der Schußwechsel, an dessen Ende drei von Kugeln durchlöcherte Körper den Pressefotografen präsentiert wurden. Die Anwohner des Quartiers klatschten Beifall, und gemeinsam mit den Polizisten wurde die Nationalhymne angestimmt. Der angesehene „Verein für Menschenrechte“ spricht davon, daß „Exekutionen ohne Gerichtsurteil institutionalisiert“ werden. „Falls man es gewollt hätte, wäre es möglich gewesen, die elf Personen lebend gefangen zu nehmen. Doch der Staat sieht es offensichtlich als Sieg an, diejenigen, die als Staatsfeinde gebrandmarkt werden, zu vernichten.“ Die Todesschüsse der Polizei haben unter der liberal-sozialdemokratischen Regierungskoalition, die das Ende von Menschenrechtsverletzungen, das Ende von Folter und „gläserne Polizeiwachen“ angekündigt hatte, kein Ende genommen. Das berüchtigte Anti- Terror-Gesetz, das trotz gegenteiliger Versprechungen der Koalition immer noch in Kraft ist, hat der polizeilichen Willkür erst recht die Tür geöffnet. Dutzende Menschen wurden unter zweifelhaften Umständen „tot gefangengenommen“. Selbst nach offiziellen Angaben sind seit dem Amtsantritt der Koalition im „Kampf gegen linksradikale Organisationen“ 54 Militante, 32 Beamte und zwölf Zivilisten ums Leben gekommen.

„Ob Parlament, Regierung, Öffentlichkeit oder Presse — alle gehen Hand in Hand im Kampf gegen den Terrorismus“, verkündete der Polizeichef von Istanbul, Necdet Menzir, nach der letzten Razzia gegen Dev-Sol. In der Tat gibt es kaum kritische Töne gegenüber dem polizeilichen Vorgehen. Daß die Polizei jenseits von Rechtsstaatlichkeit agiert, wird in den türkischen Medien nicht thematisiert. Jedes Mittel im Kampf gegen die Dev-Sol, deren politische Praxis sich im wesentlichen auf Attentate reduziert, erscheint recht. Auch vermeintliche Sympathisanten sind Ziel der Offensive. Am Mittwoch wurden Mitglieder der Musikgruppen „Grup Yorum“ und „Grup Ekin“, die von einer Tournee in Europa in die Türkei zurückkehrten, kurzerhand auf dem Istanbuler Flughafen verhaftet.

Die Hysterie, die den Polizeiapparat erfaßt hat, schlägt sich in puren Rachewünschen nieder. „Killt ihn, macht in fertig“, wurde im Polizeifunk von den Staatshütern geschrien, als nach der Ermordung eines Polizisten im Istanbuler Industriebezirk Sirintepe der Attentäter lebendig gefaßt wurde. Die Gefahr für Leib und Leben betrifft nicht nur Dev-Sol- Mitglieder und Polizisten. Der Polizeibeamte Musa Agyar, der in der Abteilung „Terrorbekämpfung“ beschäftigt ist, erschoß am 27.April vor seiner Wohnung einen Arbeiter der Wasserwerke. Er habe den Mann, der auf der Straße seiner Arbeit nachging, für einen „Terroristen gehalten“, gestand er. Nur zehn Tage zuvor war ein 14jähriger Schüler von einem Gendarmerieposten in Istanbul erschossen worden. Auch dieser er hatte in dem Schüler einen Terroristen erblickt.

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