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Ex-Titanen aus der Gruft

Brachial-Metaller zu Kultur-Botschaftern: Sepultura im Docks  ■ Von Volker Peschel

Im brasilianischen Pavillon auf der letztjährigen EXPO wurde dem interessierten Besucher unter anderem eine Wand mit Kopfhörern angeboten: Hörproben von ausgewählten Musikern des Landes. Nichts Ungewöhnliches, doch reihte sich dort in die Tafel aus volkstümlichen Klängen ein Hörbeispiel von Sepultura (portugiesisch für „Gruft“) ein. Zunächst vielleicht unerwartet, weniger beim genaueren Hinhören: Der Kopfhörer bot (ob gerade zufällig oder ausschließlich) statt beinharter Gitarren „ethno“-lastige Trommeln zu tiefem Bass-Gewummer.

Überhaupt nicht unerwartet ist die Tatsache, dass sich eine Nation mit einer der (einst) härtesten Gitarrenbands des Globus präsentiert, hat sie doch mit Sepultura eine höchst vitale Combo zur Verfügung – sehr erfolgreich in Südamerika, noch erfolgreicher im Export. Immerhin: Die Gastgebernation schickte bei der Gelegenheit die kreativen Halbleichen der Scorpions mit einer desaströsen „Hymne“ ins Rennen.

Vor gut 15 Jahren hätte sich Brasilien wohl eher geschämt für seine vier Söhne aus Belo Horizonte, der drittgrößten Stadt des Landes. Phasen unterschiedlicher Kreativität durchliefen die Gebrüder Cavalera in ihrer Karriere. „Nicht schön“, aber „geil und laut“ waren die Anfänge, als Sänger Max und Schlagzeug-Bruder Igor Cavalera mit Paulo Jr. und Jairo T. an den Gitarren 1986 in zwei Tagen das Debut Morbid Visions einspielten. Unerfahren klangen sie, nicht besonders firm an ihren Instrumenten und eher auf der Suche nach dem Vorbild des euro-amerikanischen Metal dieser Zeit – der nur schwer erhältlich war in einem Land, das sich von Jahrzehnten der Militär-Herrschaft erholte.

Sepultura strebten nach Höherem, zogen in die Metropole São Paolo und wechselten den Gitarris-ten. Andreas Kisser brachte Können in die Band, und mit drei weiteren Alben – bis zu Arise, dem kommerziellen Durchbruch 1991 – erkämpfte sie sich den internationalen Erfolg. Ihre Texte änderten sich: Die eher apokalyptischen Visionen etwa des von MTV verbannten „Dead Embryonic Cells“ wurden politischer. Und Sepultura damit noch weit erfolgreicher. Die Single „Refuse/Resist“ erhielt mit seinem Video über Polizei- und Militär-Gewalt ein Airplay wie sonst nur Popbands. Der dazugehörige Longplayer Chaos A.D. wurde zum vielleicht besten Metal-Album der Neunziger, unbestritten in punkto Wut und Energie aber auch als Erneuerung des verquasten Achtziger-Metal.

Sepultura wurden zu Trendsettern der aggressiven Musik, zu Giganten des Metal, als diese Phrase schon fast antiquiert war. Mit Roots zementierten sie drei Jahre später ihren Anspruch, bauten die tribalis-tischen Trommelpassagen aus, sangen und brüllten über die sozialen Zustände der Favelas ihres Kontinents. Und wurden zu umjubelten Titanen ihrer Nation.

Danach die Selbstdemontage, eingeleitet durch den Schock beim Monsters of Rock-Festival in England: Bei einem Autounfall starb der Sohn von Max Cavaleras Frau – und Bandmanagerin – Gloria Bujnowski. Die beiden flogen zurück nach Brasilien, der Rest der Band trat zu dritt auf. Angeblich eröffnete die Band Max wenig später, dass sie Gloria nicht mehr das Management überlassen wolle. Wutschnaubend verließ er daraufhin Sepultura. Nahe der Auflösung fanden sie nach einiger Zeit bösen Blutes Ersatz am Mikrofon: Derrick Green, ein Sänger – aber kein Bandleader. Die Fan-Loyalität blieb bei Max, schenkte man den Albumverkäufen Glauben: Das Debüt seiner neuen Band Soulfly verkaufte mehr als doppelt so viele Kopien wie das Sepultura-Nachfolge-Werk Against.

Nun können sie sich auch in Besucherzahlen messen. Nach der Soulfly-Tournee vor einigen Monaten gastieren nun die reduzierten Ex-Titanen mit ihrem zweiten Max-losen Werk Nation im Docks. Und wollen beweisen, dass sie kein Wrack ihrer selbst sind.

Mittwoch, 20 Uhr, Docks

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