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Ex-SS-Mann in den USA identifiziertDas geheime Leben des Herrn Karkoc

Ein ehemaliger SS-Offizier lebt offenbar seit mehr als 60 Jahren im US-Staat Minnesota. Seine Einheit war im Zweiten Weltkrieg in der Ukraine an Gräueltaten beteiligt.

Der heute 94-jährige Michael Karkoc im Sommer 1990 in Lauderdale, Minnesota. Bild: ap

BERLIN/NEW YORK ap | In den USA lebt nach Informationen der Nachrichtenagentur AP seit Jahrzehnten unbehelligt ein ehemaliger SS-Offizier, dessen Einheit im Zweiten Weltkrieg in Osteuropa an Gräueltaten beteiligt war. Der inzwischen 94-jährige Michael Karkoc hatte 1949 mit falschen Angaben die Einreise in die USA erschlichen. Nun könnte ihm die Ausweisung und eine Strafverfolgung in Deutschland oder Polen drohen. Deutsche Staatsanwälte zeigen bereits Interesse.

AP hat in diesem Fall zahlreiche Dokumente aus Deutschland, der Ukraine, Polen und den USA ausgewertet und Interviews geführt. Karkoc selbst, der 1949 mit seinen beiden Kindern in die USA einwanderte und später offenbar für eine Baufirma arbeitete, lehnte ein Interview zu seiner Kriegsvergangenheit ab. „Ich glaube nicht, dass ich das erklären kann“, sagte er.

In seinen 1995 auf ukrainisch erschienen Memoiren gibt er sich jedoch als Mitgründer der SS-geführten sogenannten Ukrainischen Selbstschutz-Legion zu erkennen, die mit den NS-Besatzern kollaborierte. Später diente er nach AP-Informationen in der sogenannten SS-Freiwilligen-Division Galizien.

Angehörigen beider Organisationen verwehrten die USA nach dem Krieg wegen möglicher Verstrickung in Verbrechen der NS-Zeit die Einreise. Karkoc hatte jedoch 1949 gegenüber US-Behörden angegeben, er habe nie im Militär gedient. Stattdessen behauptete er, er habe bis 1944 für seinen Vater und von 1944 bis 1945 in einem Arbeitslager gearbeitet.

Massaker auf sein Kommando?

Aus den vorliegenden Dokumenten geht nicht eindeutig hervor, ob Karkoc direkt an Kriegsverbrechen beteiligt war. Erklärungen von Männern seiner Einheit und andere Dokumente belegen jedoch, dass die ukrainische Einheit unter seinem Kommando Massaker an Zivilisten verübt hat und dass Karkoc dabei anwesend war. Aus Akten der SS ist zudem ersichtlich, dass er mit seiner Einheit an der Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 beteiligt war.

Einer von Karkocs Männern, Wasil Malaschenski, äußerte sich 1967 gegenüber sowjetischen Ermittlern, wie aus einem von AP in einem Warschauer Archiv entdeckten Dokument hervorgeht. Demnach hatte die von Karkoc kommandierte Einheit 1944 Befehl, im Dorf Tschlaniow „alle Einwohner zu liquidieren“. Es habe sich um einen Vergeltungsschlag für die Tötung eines SS-Offiziers gehandelt. „Später, als wir durch das zerstörte Dorf marschierten, konnte ich die Leichen der getöteten Bewohner sehen: Männer, Frauen, Kinder“, sagte Malaschenski. Er gab allerdings nicht an, wer den Befehl erteilt hatte.

Karkoc wurde nach amerikanischen Dokumenten 1919 in der Stadt Lutsk geboren und hatte die ukrainische Staatsbürgerschaft. Die Region gehörte später bis zum Zweiten Weltkrieg zu Polen. Karkoc schloss sich nach eigener Darstellung in seinen Memoiren nach dem deutschen Feldzug gegen die Sowjetunion 1941 zunächst der deutschen Wehrmacht an und kämpfte an der Ostfront in der Ukraine und Russland. Demnach bekam er sogar für seine Tapferkeit das Eiserne Kreuz.

Das US-Justizministerium hat in anderen Fällen falsche Angaben über eine Kriegsbeteiligung, die bei der Einwanderung gemacht wurden, zum Anlass für Abschiebungen genommen. Ministeriumssprecher Michael Passman machte auf Anfrage keine Angaben, ob Karkoc dem Ministerium je aufgefallen ist.

Interesse bei deutschen Staatsanwälten

Die von AP entdeckten Hinweise auf Kakocs Kriegsverstrickung hat allerdings das Interesse der deutschen Behörden geweckt. Hierzulande können Altnazis mit Führungsverantwortung wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden, selbst wenn ihnen persönlich keine direkte Beteiligung nachgewiesen werden kann. Sofern ein Anfangsverdacht vorliegt, muss ermittelt werden.

Der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständige Staatsanwalt Thomas Will in Ludwigsburg erklärte auf Anfrage, es gebe keine Hinweise, dass in Deutschland schon einmal gegen Karkoc ermittelt wurde. Die von AP gefundenen Belege könnten jedoch Anlass sein für eigene Nachforschungen, sagte er. Diese könnten womöglich in einem strafrechtlichen Verfahren enden.

Efraim Zuroff, ein führender Nazi-Jäger des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, sagte voraus, dass die von AP entdeckten Hinweise vermutlich für eine Abschiebung aus den USA und ein Strafverfahren in Deutschland ausreichen. "In Amerika ist das ein relativ leichter Fall", sagte Zuroff. Bei Offizieren einer Einheit, die Gräueltaten verübt habe, gebe es kaum eine Debatte. „Selbst in Deutschland..., wenn der Mann der Kommandeur der Einheit war, dann trägt er Verantwortung, sogar wenn man nicht nachweisen kann, dass er persönlich den Finger am Abzug hatte.“

2009 wurde der frühere deutsche Wehrmachtsoffizier Josef Scheungraber - wie Karkoc ein Oberleutnant – wegen Mordes verurteilt, weil er nach Feststellung des Gerichts bei einem Massaker in Italien als verantwortlicher Offizier an Ort und Stelle war.

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5 Kommentare

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  • D
    Deutsch-Pole

    Das ich nicht lache. Der ist doch bestimmt mit Hilfe der US-Behörden damals davon gekommen, so wie diese tausenden Nazis und SS-Angehörigen die Flucht nach Nord- und Südamerika verhalfen. Dieses verlogene Pack!

  • S
    sputnik

    Ihr seid Helden. Sich nicht den Tatsachen, den verübten Verbrechen stellen zu wollen ist schlicht feige. Sie zu verleugnen ist wahlweise kriminell oder psychopathisch.

    In der Öffentlichkeit einen auf großen Macker zu machen ist dämlich.

    Sucht Euch aus, wofür Ihr plädiert. In jedem Fall empfehle ich Euch - zum Nachempfinden von "Blut-und-Boden" einen "erholsamen Spaziergang" quer durch die Pripjet-Sümpfe.

  • MM
    Moral Moral...imer wie es so gerade passt

    Am gleichen Tag ein lustiger Artikel über die nette Linkspartei, die mit den zehntausenden Toten, gefolterten und anderen Gräuletaten der SED nichts zu tun hat, mit dem 180 000 000 Ermordeten des Sozialismus sowieso nicht und deren Täter dicke Renten kassieren und dann entdeckt die taz dann doch wieder die Moral. Links sein ist einfach schön. Man ist halt immer gut. Das denken sich die nationalen Sozialisten von der SS bestimmt auch bis zum Tod. Letztendlich auch Linke.

  • G
    Georg

    Ich werds wahrscheinlich noch erleben, daß dieses Rentnerausgraben schlicht an der mangelnden Unsterblichkeit der Betroffenen scheitern wird. Denn um Gerechtigkeit geht es nicht, sondern um Politik. Denn auf der richtigen Seite stehend, konnten man damals soviel Menschen umbringen wie man wollte, man blieb unbehelligt oder wurde mit einem Denkmal geehrt.

  • P
    pusteblume

    Nicht nur eine schreckliche Gestalt, auch eine dumme. Schreibt ein Buch über seine "Heldentaten". Das erinnert mich an Pinochet, der mal eben 1998 glaubte, seine Verbrechen hätte die Welt vergessen und nach London shoppen ging.