Ex-RAF-Terroristin Verena Becker: Tatverdacht im Fall Buback
Mehr als 32 Jahre nach dem Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback steht die frühere RAF-Terroristin Verena Becker nun doch unter dringendem Tatverdacht.
Für Michael Buback, den Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts, ist es vermutlich nur ein halber Triumph. Verena Becker wurde zwar verhaftet, aber nicht weil sich Bubacks Hypothesen als richtig herausgestellt haben. Die Frage, wer seinen Vater einst erschossen hat, ist nach wie vor völlig ungeklärt.
Buback vermutet, dass Verena Becker 1977 als Sozia auf dem Tatmotorrad saß und seinen Vater sowie zwei Begleiter erschoss. Seitdem sei sie von den Sicherheitsbehörden gedeckt worden. Diesen Verdacht hat der Göttinger Chemieprofessor auch in seinem Buch "Der zweite Tod meines Vaters" beschrieben.
Die Bundesanwaltschaft hat nun aber keine neuen Erkenntnisse, dass Becker geschossen hat. Ein DNA-Test ergab nur, dass sie bei zehn Bekennerschreiben die Briefmarken und Klebestreifen abgeleckt hatte. Die Ankläger schließen daraus, dass sie "wesentliche Beiträge zur Vorbereitung und Durchführung des Anschlags" geleistet habe. Solche DNA-Tests waren vor 30 Jahren noch nicht möglich.
Das Attentat auf Siegfried Buback war Auftakt der "Offensive 77", mit der die untergetauchten Mitglieder der Roten Armee Fraktion die Freilassung der in Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Gründer um Andreas Baader und Gudrun Ensslin erzwingen wollten.
Am 3. Mai 1977, nicht einmal vier Wochen nach dem Mord von Karlsruhe, wird Verena Becker zusammen mit dem RAF-Mitglied Günter Sonnenberg nach einer wilden Schießerei im baden-württembergischen Singen festgenommen. Bei dem Feuergefecht wird Becker leicht und Sonnenberg schwer verletzt. Im Gepäck der Festgenommen: die Waffe, aus der die tödlichen Schüsse auf Buback abgefeuert worden waren.
Ende November 1977 kommt es in Stuttgart-Stammheim zum Prozess gegen Verena Becker. Das Verfahren findet im Schatten des "Deutschen Herbstes" statt, der wenige Wochen zuvor mit der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer seinen Höhepunkt gefunden hatte. Als am 18. Oktober die in Stammheim inhaftierten Gefangenen Baader, Ensslin und Jan-Carl Raspe tot aufgefunden werden, sitzt Verena Becker in einem Seitentrakt des Gefängnisses - "unter verschärften Haftbedingungen", wie ihre Anwälte beklagen.
Gegen Verena Becker wird bereits unmittelbar nach ihrer Festnahme wegen des Verdachts der "mittäterschaftlichen Beteiligung" an der Ermordung Bubacks und seiner Begleiter ermittelt. Der Bundesanwaltschaft zufolge führen die Untersuchungen aber nicht zu der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit. Das Verfahren wird am 31. März 1980 eingestellt.
Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilt Becker Ende Dezember 1977 wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe - Anlass ist die Schießerei bei ihrer Verhaftung. Becker, die sich Anfang der 80er-Jahre dem Verfassungsschutz anvertraut, wird 1989 begnadigt und am 30. November 1989 aus der Haft entlassen. WG
Als vor wenigen Tagen Beckers Wohnung durchsucht wurde, scheint aber noch kein dringender Tatverdacht bestanden zu haben, sonst hätte man die 57-Jährige damals gleich verhaften können. Erst die dort aufgefundenen Unterlagen scheinen jetzt den Ausschlag gegeben zu haben. Gerüchte, wonach Becker an einem Buch über ihre Vergangenheit schreibe und die Manuskripte beschlagnahmt wurden, wies die Bundesanwaltschaft gestern zurück.
Festgenommen wurde Becker in Berlin. Sie war aber wohl nicht auf dem Weg zum Flughafen oder sonst ins Ausland. Dennoch nahm die Bundesanwaltschaft Fluchtgefahr an. Da als zweiter Haftgrund aber auch ein Mordvorwurf im Raum steht, genügen schon geringe Hinweise auf eine mögliche Flucht, um einen Haftbefehl zu rechtfertigen.
Gegen Becker könnte nun eine neue Anklage erhoben werden. Die Einstellung der Ermittlungen im Jahr 1980 gilt nicht als Freispruch - und Mord verjährt nicht. Grundsätzlich steht auf Mord "lebenslänglich". Falls Becker andere RAFler belastet, könnte sie aber einen Kronzeugenrabatt erhalten. Erst vor wenigen Wochen hat der Bundestag eine allgemeine Kronzeugenregelung für alle schweren und mittelschweren Delikte eingeführt. Eine lebenslange Haftstrafe kann dann auf bis zu zehn Jahre Haft abgemildert werden.
Doch auch ohne Lebensbeichte oder Verrat würde bei einem neuen Prozess berücksichtigt, dass Becker zwischenzeitlich bereits zwölf Jahre in Haft saß. Es ist kaum damit zu rechnen, dass sie noch einmal für Jahrzehnte ins Gefängnis muss.
Vor wenigen Tagen wurde Becker von einem Reporter der Bild-Zeitung aufgestöbert. Auf dessen Frage: "Haben Sie Siegfried Buback erschossen?", sagte sie nur: "Nein, das wissen Sie doch, die Sache ist für mich erledigt."
Anfang der 80er-Jahre, während ihrer Haftzeit, hatte Becker zeitweise mit dem Verfassungsschutz kooperiert. Dabei soll sie den Ex-RAF-Mann Stefan Wisniewski als Schützen benannt haben, gegen den derzeit ein separates Ermittlungsverfahren läuft. Die Verfassungsschutzakten blieben mehr als 25 Jahre geheim und waren auch nur einzelnen Bundesanwälten bekannt. Sie durften auch nicht in die damaligen Prozesse gegen Klar und Folkerts eingeführt werden.
Inzwischen hat Innenminister Schäuble die Akten offiziell gesperrt, weil sonst das Wohl des Bundes gefährdet sei. Wenn Informanten sich nicht mehr auf Zusagen des Verfassungsschutzes verlassen könnten, so die Logik im Schäuble-Ministerium, wäre die Arbeit des Geheimdienstes erschwert. Michael Buback hat jüngst erneut gefordert, Beckers Verfassungsschutzakten offenzulegen.
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