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Aus taz FUTURZWEI

Ex-Ministerin Wara Wende im Interview Fehler und Sexismus in der Politik

Wara Wende wurde als Quereinsteigerin im politischen Betrieb Ministerin – und am Ende zum Rücktritt gezwungen. Was war der Fehler?

»Wer die Möglichkeit hat, politisch zu gestalten, sollte den Mut haben, diese zu ergreifen.« Wara Wende in Berlin Foto: Anja Weber

Interview: PETER UNFRIED und HARALD WELZER

Wara Wende war von Juni 2012 bis September 2014 Ministerin für Bildung und Wissenschaft des Landes Schleswig-Holstein im Kabinett des SPD-Ministerpräsidenten Torsten Albig. Sie war Quereinsteigerin, zuvor Präsidentin der Europa-Universität Flensburg und nicht mal Parteimitglied. Über ein politisches Netzwerk verfügte sie nicht. Die Spielregeln des politischen Diskurses kannte sie allenfalls aus Beobachtung, nicht aus Erfahrung. Als Ministerin hatte Wende klare Ziele, sie wollte das Schulwesen neu ausrichten und sie wollte das damit verbundene Lehramtsstudium grundlegend reformieren. Schnell wurde sie zur Lieblingsfeindin der Opposition aus CDU und FDP. Dass und wie sie am Ende ihrer politischen Laufbahn entlassen wurde, erschien uns ideal, um mit ihr über Fehler zu reden. Es wurde dann aber viel mehr als eine Fehleranalyse, es wurde ein offenes Gespräch über das Leben in der exekutiven Spitzenpolitik.

WARA WENDE

Die Frau: Professorin, Germanistin, Kultur- und Medienwissenschaftlerin, Malerin. War Präsidentin der Europa-Universität Flensburg. Davor Lehrstuhl für deutschsprachige Literatur, Kultur und Medien in Groningen. Habilitation über die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Goethes.

Jahrgang 1957. Geboren in Birkelbach, NRW. Lebt als Künstlerin in Berlin.

Die Politik: Parteilose Ministerin für Bildung und Wissenschaft in der sogenannten Küsten-Koalition aus SPD, Grünen und SSW in Schleswig-Holstein (Juni 2012 bis September 2014).

taz FUTURZWEI: Frau Wende, Sie waren hoch angesehene Uni-Präsidentin. Warum sind Sie als Frau von außen in die Politik gegangen?

WARA WENDE: Ich habe den Weg in die Politik nicht aktiv gesucht. Vielmehr wollte ich als Präsidentin der Uni Flensburg den damaligen Wahlkämpfer Albig kennenlernen, um mir ein besseres Bild vom Spitzenkandidaten der SPD machen zu können. Ich wollte wissen, was die Uni von einem Ministerpräsidenten Albig zu erwarten hätte. Unsere erste Begegnung, für eine halbe Stunde geplant, dauerte anderthalb Stunden. Wir hatten viele inhaltliche Schnittstellen und fanden uns auf den ersten Blick wohl ganz sympathisch. Kurz danach hat er mich an der Uni besucht und mich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, Ministerin zu werden. Ich war zunächst skeptisch, sagte mir dann aber, dass man es sich zu einfach macht, Politiker immer nur zu kritisieren, ohne selbst in die Verantwortung zu gehen. Wer die Möglichkeit erhält, politisch zu gestalten, sollte den Mut haben, diese zu ergreifen.

Das ehrt Sie.

Tja, damit kommen wir aber schon zu meinem ersten Fehler, der mir damals freilich nicht bewusst war. Ich hätte vor Antritt des Ministeramtes sagen müssen: Lieber Herr Albig, wenn Sie mich als Ministerin haben wollen, dann regeln Sie vorab, dass ich nach Beendigung meiner politischen Laufbahn wieder eine Professur erhalte. Das aber habe ich nicht getan. Stattdessen habe ich die Sicherung meiner beruflichen Zukunft selbst in die Hand genommen. So wie ich es mein ganzes Leben getan habe: Ich habe nie andere gebeten, meine Probleme zu lösen.

Sie haben sich eine Rückkehroption als Professorin bestätigen lassen.

Lassen Sie mich das kurz erklären: Ich war im Jahr 2010 aus der Position einer Lehrstuhlinhaberin an der renommierten Reichsuniversität Groningen zur Präsidentin der Uni Flensburg gewählt worden. Als Präsidentin wird man für sechs Jahre gewählt, dann steht die Wiederwahl an. Wird man nicht wiedergewählt, erhält man – sofern man vor dem Präsidentenamt eine Professur hatte – automatisch erneut eine Professur. Das Gehalt dieser Professur muss der Professur entsprechen, die man vor dem Präsidentenamt innehatte. So ist es in § 23 des Kieler Hochschulgesetzes festgelegt, und so war es mir vor Übernahme des neuen Amtes vom Wissenschaftsministerium bestätigt worden.

Dann wäre doch alles klar gewesen?

»Es war ihnen egal, ob ich schuldig oder unschuldig war.«

Nein, leider nicht. Nicht im Hochschulgesetz bedacht ist, dass eine Unipräsidentin bereits nach zwei Jahren Amtszeit in ein Kabinett wechselt. Ich habe deshalb einen bundesweit renommierten Verwaltungsjuristen um Rat gefragt. Seine Antwort: Kein Problem. Wenn Sie aus der Präsidentschaft in ein höheres Amt berufen werden und Sie verlieren dieses höhere Amt irgendwann wieder, dann fallen Sie automatisch in ihre alte Position zurück. Da das Präsidentenamt dann neu besetzt sein wird, müssen Sie eine Professur erhalten – so wie es auch bei einer Nicht-Wiederwahl im Präsidentenamt geschehen würde. Mit dieser Antwort fühlte ich mich abgesichert. Da ich in Groningen eine sehr gut dotierte Professur innehatte, habe ich meine beiden Vizepräsidenten, den Kanzler und den Senatsvorsitzenden gebeten, mir ebenfalls zu bestätigen, dass ich nach Beendigung meiner Ministertätigkeit eine an der Besoldung meines Groninger Lehrstuhls orientierte Professur erhalten würde. Ich wollte nicht Gefahr laufen, bei einer eventuellen Rückkehr an die Uni Gehaltsverhandlungen führen zu müssen.

War es nicht, wie wir heute wissen. Aber anfangs war erstmal Honeymoon?

Überhaupt nicht. Schon während der Koalitionsverhandlungen gab es erste Differenzen. Als ich erleben musste, in welcher Tonlage man mit mir umspringt, hätte ich mir die ganze Sache noch einmal überlegen müssen. Beruflich sozialisiert im liberalen Arbeitsumfeld einer Uni hätte ich mich fragen können: Ertrage ich den autoritären Umgangston von Albig und Stegner? Und bin ich bereit, Vorgaben umzusetzen, auch wenn ich anderes für besser halte?

Sie sprechen vom SPD-Ministerpräsidenten und seinem Rivalen, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden.

Ja, obwohl sich Albig und Stegner durchaus nicht immer einig waren, haben sie mit Blick auf die Ausbildung der Lehrkräfte an einem Strick gezogen. Es sollte zukünftig nur mehr eine Ausbildung für Lehrkräfte an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen geben. Und das sollte bereits im Koalitionsvertrag so festgeschrieben werden. Dabei interessierte es weder Albig noch Stegner, dass eine solche Festschreibung eine kaum zu lösende Herkulesausgabe war. Kompliziert war das Ganze vor allem deshalb, weil die Ausbildung der Gymnasiallehrkräfte und die der Sekundarstufen-I-Lehrkräfte an unterschiedlichen Unis stattfand, die eine in Kiel, die andere in Flensburg.

Wo standen Sie als Parteilose denn politisch?

Heute bin ich distanzierter, aber wenn ich damals in eine Partei eingetreten wäre, dann wären das die Grünen und nicht die SPD gewesen. Nachhaltigkeit, der achtsame Umgang mit Ressourcen, Umwelt-, Tier- und Klimaschutz, ökologische Energie- und Mobilitätskonzepte, all das waren und sind Herzensthemen für mich. Daraus habe ich auch kein Geheimnis gemacht. Andererseits habe ich im Bereich der Schul- und Wissenschaftspolitik sozialdemokratisch gedacht. Und in diesen Bereichen sollte ich ja Ministerin werden.

Warum haben Sie sich aber von Albig und Stegner bereits vor Übernahme des Ministeramtes derart bestimmen lassen?

Je mehr ich damals darüber nachgedacht habe, desto interessanter fand ich die Gestaltungschancen, die sich mir mit dem Ministeramt bieten würden. Ich wollte für mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit und für mehr Ressourcen im Bereich von Schule und Wissenschaft eintreten.

Wie sah dann die Ministerrealität aus?

Ich habe gleich zu Beginn meiner Ministertätigkeit – und ich wüsste nicht, in welchem Bundesland schon einmal Vergleichbares auf die Beine gestellt wurde – landesweite Bildungs- und Wissenschaftskonferenzen ins Leben gerufen, um die von meiner Politik Betroffenen in meine Entscheidungen einzubeziehen. Danach habe ich zahlreiche Gesetze auf den Weg gebracht. Der Kieler Sonderweg der Regionalschule – ein Synonym für die frühere Hauptschule – wurde beendet. An zahlreichen Gemeinschaftsschulen wurde eine eigene Oberstufe mit Abiturmöglichkeit eingerichtet. Forschungsstarken Fachhochschulprofessoren wurde das Promotionsrecht verliehen. Den Grundschulen wurde freigestellt, ob sie weiterhin mit Ziffernnoten oder – was viel aussagekräftiger ist – mit ausführlichen Berichtszeugnissen arbeiten wollten. All dies waren gestalterische Erfolge.

Sie konnten also erst einmal ihren Amtsgeschäften in Ruhe nachgehen?

Wie man es nimmt. Ich war nicht lange im Amt, da wurde landesweit getuschelt, ich hätte ein Verhältnis mit Stegner. Das Getuschel zog sich über Monate hin. Dann hatte ich angeblich sowohl ein Verhältnis mit Stegner wie mit Albig und schließlich nur noch eins mit Albig. Die Gerüchteküche brodelte – und das über zwei Jahre hinweg. Es war irre!

Wie haben Sie davon erfahren?

Ich wurde von Bekannten angesprochen, man habe gehört, eine Schulrätin hätte mich mit Stegner in flagranti im Wohnwagen erwischt. Oder auch: Man hätte Stegner in meiner Wohnung in Kiel gesehen, wo er mit nacktem Oberkörper aus dem Schlafzimmerfenster geschaut habe. Nebenbei: Ich hatte gar keine Wohnung in Kiel.

Aber einen Wohnwagen?

Ich hatte auch keinen Wohnwagen. Die ganze Geschichte war wirklich skurril. Zunächst stand der Wohnwagen angeblich im Garten der Stegners, seine Frau habe das gemeinsame Wohnhaus verlassen und wohne jetzt dort, während ich ins Haus zogen sei. Dann wurde geraunt, dass wir den Wohnwagen an der Förde abgestellt hätten, um uns dort heimlich zu treffen.

Ist denn in Schleswig-Holstein sonst nichts los oder was sollte das?

Es war ein Paralleldiskurs: Man konnte mich auf fachlicher Ebene nicht zu Fall bringen, weil die Gesetze handwerklich sauber auf den Weg gebracht waren. Also versuchte man, mich als Privatperson zu demontieren.

Hielt man Sie als Quereinsteigerin für leichte Beute?

Das mag das eine gewesen sein, das zweite war, dass da die Professorin kommt.

Sie sprechen Professorin in Anführungszeichen?

Ja, mir ist früher nicht klar gewesen, welche Vorbehalte es gegenüber der Professorenschaft gibt.

Welche sind das?

Abgehobenheit, Überheblichkeit, Eloquenz … Eloquenz, wohl bemerkt, als etwas Negatives. Reden, die mir wichtig waren, habe ich mir nicht schreiben lassen, sondern die habe ich grundsätzlich selbst geschrieben, weil ich argumentieren wollte. Ergebnis waren Kommentare wie: Jetzt redet sie wieder so eloquent, jetzt hält sie wieder eine Vorlesung. Kubicki, der mich außerhalb des Landtages nicht einmal gegrüßt hat ...

Wara Wende mit ihren Norfolk Terriern Wolpino und Pepsinella Foto: Anja Weber

... damals FDP-Fraktionsvorsitzender und Platzhirsch ...

… war in seinen Zwischenrufen häufig unterirdisch. Er versuchte immer mal wieder, mich mit teilweise sehr zotigen Zwischenrufen aus dem Konzept zu bringen. Gelungen ist es ihm nie.

Wie lief es zu der Zeit fachlich?

Die mit der Ministerrolle verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten haben mir viel Spaß gemacht. Vor allem aber schien mein anspruchsvollstes Projekt, die gesetzliche Neuordnung des Lehramtsstudiums, zu gelingen. Das Gesetz, das den Schulpraktika eine zentrale Rolle im Lehramtsstudium zuweist, wurde sowohl von der Uni Kiel wie von der Uni Flensburg mitgetragen. Darauf war ich ganz besonders stolz. Im Sommer 2014 war es dann so weit, das Gesetz sollte in die zweite Lesung gehen. Doch dann geschah das Unerwartete. Vier Tage vor der entscheidenden Landtagssitzung wurden meine beiden Staatssekretäre, die Abteilungsleiterinnen und ich, kurzfristig in die Staatskanzlei bestellt.

Sie ahnten nichts Gutes?

Ich befürchtete Schlimmes, aber dass es dann so schlimm kommen würde, darauf war ich nicht gefasst. Seit Beginn meiner Ministertätigkeit war ich regelmäßig zum Rapport in die Staatskanzlei bestellt worden. Permanente Kontrollen und Eingriffe in meine Arbeit war ich also gewohnt.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Gerne. In den Grundschulen gibt es ein Fach, das nennt sich in 14 Bundesländern: »Sachunterricht«. Nur in Bayern und Schleswig-Holstein heißt das in den Inhalten identische Fach »Heimat- und Sachunterricht«. Das Ministerium fand es sinnvoll, den Namen des Faches an die Namensgebung der anderen Bundesländer anzupassen. Ich habe dem Wunsch zugestimmt, dabei aber nicht bedacht, dass es in SH einen Heimatbund gibt. Und der protestierte lautstark. Unterstützt wurde der Prostest von der Opposition sowie von regionalen und überregionalen Journalisten. Tenor war: Die aus den Niederlanden kommende Ministerin hat keine Sensibilität für das Heimatgefühl der Schleswig-Holsteiner. Wohlgemerkt, wir haben inhaltlich keine Veränderungen vorgenommen, nur den Namen eines Schulfaches an die Namensgebung der anderen 14 Bundesländer angepasst. Ergebnis der Proteste war, dass ich unter Androhung meiner Entlassung von Albig gezwungen wurde, das Fach wieder in Heimat- und Sachunterricht umzubenennen.

Wie ging es mit dem Gesetz zum Lehramtsstudium weiter?

Albig hatte sich den Gesetzesentwurf angeschaut und war zu der irrwitzigen Ansicht gekommen, dass das Gesetz die Flensburger Uni privilegiere. Das machte er daran fest, dass Flensburg zukünftig lediglich in den geisteswissenschaftlichen Fächern, in Sport und in Mathematik, nicht aber in den Naturwissenschaften die Möglichkeit erhalten sollte, Studienangebote für den späteren Unterricht im Sekundarstufenbereich II – also im Bereich der schulischen Oberstufe – anzubieten. Albig vertrat die Ansicht, dass wir mit dieser Einschränkung des Flensburger Studienangebots der Faulheit des dortigen Lehrpersonals nachgegeben hätten.

Was taten Sie?

Wir haben ihm erklärt, dass die naturwissenschaftliche Ausstattung der Uni Flensburg nicht ausreiche, um dort Lehrveranstaltungen im Bereich der Sekundarstufe II anzubieten. Daraufhin diktierte uns Albig seine Lösung: Der Jahreshaushalt der Flensburger Uni werde um 1,2 Millionen Euro erhöht, um damit zusätzlich Professuren einzurichten. Wir waren sprachlos. Durch Albigs Eingriff war Flensburg zum Gewinner der Reform geworden. Erhöhung des Haushaltes und zusätzliche Professuren – der lautstarke Protest der Kieler ließ nicht lange auf sich warten. Und genau dieser Protest war der Anfang meines Endes.

Können Sie das ausführen?

Die Empörung der Kieler über die zusätzlichen Gelder für Flensburg war genauso gewaltig wie ihr Zorn auf die scheinbar dafür verantwortliche Ministerin. Zum Skandal wurde das Ganze aber erst, als die Kieler Nachrichten über meine Rückkehroption an die Uni Flensburg berichteten. In der Folge stellten mich sämtliche Medienvertreter – flankiert von lautstarken Protesten der Opposition – an den Pranger. Dass es bundesweit ein übliches Prozedere ist, dass Professoren nach einer politischen Tätigkeit an ihre Universität zurückkehren, interessierte niemanden.

Wie haben die Koalition und der Ministerpräsident reagiert?

Eigentlich wäre es ganz einfach gewesen: Albig hätte gleich zu Beginn der Diskussion erklären können, dass erstens er der Auslöser für die zusätzlichen Professuren in Flensburg war und dass zweitens im Hochschulgesetz festgelegt ist, dass eine Unipräsidentin am Ende der Präsidentschaft ein Anrecht auf eine Professur hat. Beides hat er nicht getan. Stattdessen hielt er im Landtag eine Rede, in der er den Abgeordneten erklärte, dass mein Wunsch, am Ende der Ministerzeit wieder Professorin werden zu wollen, keine rechtliche Basis habe. Ja, er ging sogar noch einen Schritt weiter und behauptete, der bundesweit anerkannte Verwaltungsjurist, den ich um Rat gefragt hatte, habe sich geirrt.

Hatte der Ministerpräsident das zuvor mit Ihnen abgestimmt?

Nein, das hatte er nicht! Es wurde aber noch schlimmer: Nachdem es endlich zu einem Face-to-face-Gespräch zwischen uns kam, unterstellte mir Albig, ich hätte meine beiden Vizepräsidenten, den Unikanzler und den Senatsvorsitzenden unter Druck gesetzt, um deren Unterschrift auf der Rückkehroption zu erhalten. Er werde alle vier um eidesstattliche Erklärungen zu diesem Sachverhalt auffordern. Sollte auch nur einer der Herren von Druck reden, dann würde er mich feuern. Ergebnis: Ich hatte keinen Druck ausgeübt, ich blieb im Amt.

Und wie haben Sie dann doch Ihr Amt verloren?

Die Sache wurde immer verrückter: Nachdem mich die eidesstattlichen Erklärungen entlastet hatten, erklärt Albig gegenüber Pressevertretern, er stehe loyal an meiner Seite und werde mich selbst dann nicht entlassen, wenn die Staatsanwaltschaft zu ermitteln beginne oder gar Anklage erhebe. Das hörte sich oberflächlich betrachtet gut an, wurde dann aber zu meinem Sargnagel. Die entscheidenden Stichworte waren: Staatsanwaltschaft, Ermittlung, Anklage. Stichworte, die in der öffentlichen und politischen Debatte um mich eine neue Eskalationsstufe einleiteten. Warum steht Albig noch immer zu der Ministerin? Wie lange bleibt sie noch im Amt? Wann wird die Staatsanwaltschaft zu ermitteln beginnen? Wann erfolgt die Anklage?

Hat das ausgelöst, dass die Staatsanwaltschaft schließlich Ermittlungen aufgenommen hat?

Albig, die Presse und die Opposition haben zusammen die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen herbeigeredet. Ich möchte hier noch einmal betonen: Ich wollte nach meinem Ministeramt wieder als Professorin arbeiten. Dieser Wunsch war erstens vom Hochschulgesetz abgesichert, zweitens von einem renommierten Verwaltungsjuristen als juristisch legitim bestätigt und drittens von vier hochrangigen Mitgliedern der Flensburger Univerwaltung als rechtmäßig anerkannt worden. Das alles aber schien im politischen Diskurs ohne jede Bedeutung; mit dem Resultat, dass die Staatsanwaltschaft dann tatsächlich ein Ermittlungsverfahren gegen mich eröffnete.

Können Sie dazu ein wenig mehr sagen?

Das Ermittlungsverfahren begann mit einem Paukenschlag: Am ersten Schultag nach den Sommerferien durchsuchten Vertreter der Kieler Staatanwaltschaft mein Flensburger Haus, meine Berliner Wohnung, mein Ministerium, die Verwaltungsräume der Uni Flensburg, die Staatskanzlei, meinen Dienstwagen und sogar die Aktentasche meines Fahrers. Was genau mit dieser öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzten Aktion erreicht werden sollte, blieb unklar: Glaubt man dem Durchsuchungsbeschluss, dann ging es um die Rückkehroption. Was jedoch seltsam war, denn die Rückkehroption war bereits vor den Sommerferien im NDR-Magazin veröffentlicht worden.

Wieso hatte man die Rückkehroption im Fernsehen veröffentlicht?

Ich selbst hatte sie den Pressevertretern zur Verfügung gestellt. Der genaue Inhalt der Rückkehroption war also allgemein bekannt, die Staatsanwaltschaft hätte dafür keine Hausdurchsuchungen machen müssen. Ganz offensichtlich verfolgte man also eine andere Agenda: Man wollte mich demontieren und meiner Politik ein Ende setzen. Vor allem die Gleichstellung von Gemeinschaftsschulen und Gymnasien, aber auch das Promotionsrecht für Fachhochschulprofessoren wurden von konservativen Kräften des Establishments als Angriff auf die bestehende Ordnung gesehen.

Die Ermittlungen haben am Ende zu Ihrer Entlassung geführt?

Nein, zunächst nicht. Es gab zuvor noch eine weitere Eskalationsstufe. Universitätsinterne Unterlagen, die die Staatsanwaltschaft bei ihren Durchsuchungen beschlagnahmt hatte, wurden der Presse zugespielt. Und eine neue, wiederum hitzige Debatte begann. Jetzt ging es um meine Rolle bei der Kanzlerwahl der Uni Flensburg. Es gehört zu den Aufgaben einer Präsidentin, die Bewerbungen auf das Kanzleramt der Uni zunächst zu sichten und dann dem Senat der Uni mindestens zwei Kandidaten zur Wahl vorzuschlagen. Und genau das hatte ich getan. Ich hatte dem Senat zwei Bewerber vorgeschlagen, einer davon war der amtierende Kanzler.

Worin liegt das Problem?

Meine politischen Gegner stellten die Behauptung auf, der Kanzler habe meine Rückkehroption nur deshalb unterschrieben, weil ich ihn zur Wiederwahl vorgeschlagen hatte. Dass die Kanzlerstelle weit vor der Landtagswahl ausgeschrieben worden war, dass ich die Bewerberunterlagen nicht allein, sondern gemeinsam mit dem Vizepräsidenten gesichtet hatte, dass es lediglich drei Bewerber gab, und dass es last but not least üblich ist, den amtierenden Kanzler mit auf die Vorschlagsliste für den Senat zu setzen, all das interessierte genauso wenig wie die Tatsache, dass ich dem Senat nicht nur den amtierenden Kanzler, sondern auch noch eine weitere Person zur anstehenden Kanzlerwahl vorgeschlagen hatte. Medien und Opposition konstruierten aus dem üblichen Prozedere der Kanzlerwahl einen Fall von Korruption.

Ralf Stegner hat im Fall von Susanne Gaschke, die als SPD-Oberbürgermeisterin von Kiel zurücktreten musste, gesagt: » Politik ist ein hartes Geschäft, da muss man auch sein Handwerk verstehen.« Wie hat er sich bei Ihnen verhalten?

»Als ich Stegner erklärte, dass ich nicht zurückzutrete, wurde die im kameradschaftlichen Duktus begonnene Unterredung eisig.«

Oh, der hat vor allem im Hintergrund die Fäden zu ziehen versucht. Wenige Tage bevor ich tatsächlich vom Ministerpräsidenten entlassen wurde, war ich von Stegner unter Druck gesetzt worden: Er habe von einem meiner Ministerkollegen erfahren, dass die Staatsanwaltschaft kurz vor der Anklageerhebung stehe. Dem müsse ich unbedingt mit meinem sofortigen Rücktritt zuvorkommen. Als ich ihm erklärte, dass ich nichts Illegales getan habe und deshalb auch nicht daran denke, zurückzutreten, änderte sich das Klima schlagartig. Die im kameradschaftlichen Duktus begonnene Unterredung wurde eisig. Übrigens: Als ich den besagten Ministerkollegen am nächsten Tag auf die Geschichte angesprochen habe, wusste dieser von nichts. Er habe weder mit Stegner geredet noch wisse er etwas von Anklageplänen der Staatsanwaltschaft. Ich solle mich nicht kirre machen lassen.

Wie haben die anderen Frauen in der Regierung sich verhalten?

Ich erinnere mich noch gut an einen Ministerinnen-Abend in der Wohnung von Finanzministerin Heinold. Im Vorfeld war davon gesprochen worden, dass es mir sicher guttun werde, wenn wir uns mal ganz ungezwungen von Frau zu Frau über meine Situation unterhalten. Der Abend verlief schrecklich: Die Damen legten mir nahe, dass es für mich und vor allem auch für die Koalition am besten wäre, wenn ich jetzt freiwillig zurücktreten würde. Tenor: Du willst unsere tolle Politik doch sicherlich nicht durch die Diskussionen um deine Person in Misskredit bringen. Die hatten sich wohl überlegt: Da essen wir jetzt mal ein bisschen Käse miteinander, trinken einen Schluck Wein und überzeugen – so ganz nebenbei – Wara davon, dass jetzt Schluss sein muss.

Was haben Sie gesagt?

Ich habe sehr deutlich meine Enttäuschung artikuliert. Weder die anwesenden Ministerinnen noch meine männlichen Ministerkollegen und auch nicht die Staatssekretäre hatten sich bis dato die Mühe gemacht, sich inhaltlich mit den gegen mich erhobenen Anschuldigungen auseinanderzusetzten. Im Kabinett haben wir nicht ein einziges Mal über die gegen mich erhobenen Vorwürfe gesprochen. Stattdessen hatte man in sicherer Distanz zu mir abgewartet und reagierte nun auf Stimmungen. Es war ihnen gleichgültig, ob ich schuldig oder unschuldig war, ich sollte zurücktreten, damit wieder Ruhe einkehre. Als ich diesem Ansinnen nicht nachgegeben wollte, war der Abend gelaufen.

Sie sind dann ja tatsächlich zurückgetreten? Warum?

Ich bin nicht freiwillig zurückgetreten, ich wurde von Albig dazu genötigt.

Offiziell nicht.

Ja, offiziell. Lassen Sie mich das Finale kurz zusammenfassen: Der letzte Tag in meinem Ministeramt war ein Tag voller Überraschungen. Am Morgen des besagten Tages habe ich eine Rede im Landtag gehalten. Thema war die bauliche und finanzielle Sanierung des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Nach dieser Rede wurde ich für das von mir vorgestellte Sanierungskonzept allgemein beglückwünscht – sogar von Vertretern der Opposition. So etwas war in den vergangenen Monaten nie passiert. Ich war sprachlos. Und auch Albig und sogar der Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikums haben mir gratuliert. Der Ministerpräsident hat mich sogar in den Arm genommen.

Und dann eine Entlassung am gleichen Tag?

Ja, wenige Stunden später wurde mir von meiner Büroleiterin mitgeteilt, dass ich sofort in die Staatskanzlei kommen solle. Ein Grund war ihr nicht mitgeteilt worden.

Sie wussten, was kommt?

Nein, ich habe aber nichts Gutes erwartet. Und so war es dann auch. Albig überreichte mir die Kopie eines Schreibens, das ich Jahre zuvor – im Kontext meiner Berufungsverhandlungen ins Amt der Präsidentin – an den Kanzler der Universität Flensburg gerichtet hatte. Ich hatte damals den Kanzler darum gebeten, mir schriftlich zu bestätigen, dass – sollte ich nach meiner ersten Amtszeit als Präsidentin nicht wiedergewählt werden – die Besoldung der mir dann zustehenden Professur meiner früheren Professur in Groningen entsprechen werde.

Was war das Neue für Albig?

Aus seiner Sicht werde die Opposition diesen Brief instrumentalisieren, um mich erneut in Misskredit zu bringen. Ich war perplex und sprachlos. Und es wurde noch verrückter! Für Albig stand fest, dass es jetzt nur mehr eine Alternative für mich gebe: Rücktritt oder Entlassung? Gleichzeitig schob er mir eine bereits ausformulierte Rücktrittserklärung zu, die ich unterschreiben sollte. Und – ich weiß bis heute nicht warum – ich habe unterschrieben. Ich denke, das war ein riesiger Fehler. In der Rücktrittserklärung stand, dass ich zurücktrete, weil ich das Amt durch die Diskussionen um meine Person nicht beschädigen wolle. Der Höhepunkt kam dann aber noch: Als ich – am ganzen Körper zitternd – gehen wollte, nahm er mich in den Arm. Er sei traurig, es tue ihm leid, mich zu verlieren. Ich sei die kompetenteste und auch fleißigste Ministerin im ganzen Kabinett. Wahnsinn – oder?

»Für mich ist es wie ein Lottogewinn, dass ich heute in Berlin leben darf.« Malerin Wara Wende Foto: Anja Weber

Wie haben sich die anderen Kollegen der SPD verhalten?

Bis die Staatsanwaltschaft zu ermitteln begann, hatte ich ein sehr gutes Verhältnis zur Fraktion. Dann aber wurde ich sehr schnell alleingelassen. Man suchte Abstand, wollte sich nicht infizieren. Wenn ich Parteimitglied gewesen wäre, wäre die Solidarität möglicherweise größer gewesen.

Aus der Rückbetrachtung: Was war der Hauptfehler?

Ich habe vor Amtsbeginn nicht ausreichend darüber reflektiert,was es bedeutet, Ministerin unter einem weisungsbefugten, die Regierungspolitik bestimmenden Ministerpräsidenten zu sein. Ein Ministerpräsident sucht sich seine Minister aus, und er kann sie jederzeit wieder entlassen. Daraus ergeben sich fatale Abhängigkeiten.

Gab es noch andere Fehler?

Ja, aus heutiger Sicht habe ich in den Kontroversen mit dem Ministerpräsidenten zu schnell nachgegeben. Vermutlich hätte er mich wohl kaum entlassen, weil ich einem Schulfach einen seiner Meinung nach falschen Namen gegeben habe. Hier war ich zu wenig mutig. Auch bin ich inzwischen davon überzeugt, dass ich – wenn ich die von Albig vorformulierte Rücktrittserklärung nicht unterschrieben hätte – nicht entlassen worden wäre, zumindest nicht an diesem Tag. Mit dieser Unterschrift habe ich einen Fehler gemacht.

Lassen Sie sich schnell einschüchtern?

Eben nicht. Ich habe schon als Schülerin die Kontroverse mit meinen Lehrern gesucht, wenn ich nicht mit deren Standpunkt einverstanden war. Und auch als Studentin und natürlich erst recht als spätere Wissenschaftlerin habe ich mich nicht von Status höheren Personen einschüchtern lassen. Beeindruckt hat mich immer nur Sachkompetenz. Warum ich es zugelassen habe, dass ich von Albig immer wieder bevormundet wurde, kann ich nicht erklären. Möglicherweise, weil ich die Klaviatur des politischen Feldes nicht ausreichend beherrscht habe.

Haben die Umgangsformen der politischen Opposition Sie verunsichert?

»Vor allem Kubicki versuchte immer wieder, mich mit teilweise sehr zotigen Zwischenrufen aus dem Konzept zu bringen.«

Nein, eben nicht. Es war mir sehr schnell egal, ob die Abgeordneten der Opposition während meiner Landtagsreden demonstrativ Zeitung lasen oder lautstarke Gespräche führten. Genauso wie ich mich von unflätigen, gelegentlich sexistisch aufgeladenen Zwischenrufen nicht habe irritieren lassen. Vor allem Kubicki, der mich außerhalb des Landtages nicht einmal gegrüßt hat, versuchte immer mal wieder, mich mit teilweise sehr zotigen Zwischenrufen aus dem Konzept zu bringen. Gelungen ist es ihm nie.

Als Wissenschaftlerin waren Sie andere Umgangsformen gewohnt.

Schwer für mich wurde es immer erst, wenn sich der Ministerpräsident eingemischt hat. Einmal hat er mich sogar dazu gezwungen, mich für etwas zu entschuldigen, das ich – wie jeder im Landtagsprotokoll nachlesen konnte – überhaupt nicht gesagt hatte. Da lagen meine Nerven blank. Da standen mir die Tränen in den Augen.

Wie fällt Ihre Gesamtbilanz aus heutiger Perspektive aus?

Wenn ich heute auf meine Zeit in Kiel zurückschaue, dann muss ich sagen, dass es beruflich trotz allem eine sehr befriedigende Zeit war. Es hat mir Freude gemacht, die Schul- und Hochschulpolitik voranzubringen. Ich möchte diese Zeit nicht missen.

Sie müssen bei uns nichts schönreden, Frau Wende.

Das tue ich nicht: Ich bin Präsidentin in Flensburg geworden, weil ich dort das Lehramtsstudium verbessern wollte. Als Ministerin hatte ich dann die Chance, die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte im ganzen Land zu reformieren. Im Spiegel war zu lesen, dass die unter meiner Federführung verabschiedete Lehramtsreform ihresgleichen in ganz Deutschland sucht. Das ist ein schönes Kompliment.

Das hört sich jetzt etwas zu positiv an.

Da haben Sie vielleicht recht. Auf die Angst, die ich nach Beginn der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hatte, auf diese Erfahrung könnte ich gut verzichten. Hierzu noch ein kurzer Nachtrag: Nachdem die Staatsanwaltschaft keinen Anhaltspunkt für ein Fehlverhalten in Sachen Rückkehroption gefunden hat, wurden zehn andere Ermittlungsverfahren gegen mich eröffnet. Man wollte – gesichtswahrend für die Staatsanwaltschaft – unbedingt etwas finden. Geprüft wurde unter anderem, ob ich meine Reisekosten korrekt abgerechnet habe, wie mein Trampolin bezahlt wurde, ob es korrekt war, dass ich mir von Schülern ein selbst gemaltes Bild habe schenken lassen. Ich wurde wie ein Schwerverbrecher behandelt. Via Handydaten wurde recherchiert, wann ich mich wo aufgehalten hatte. Über Bankabfragen wurden Kontobewegungen – von mir und sogar von meinem Lebensgefährten – überprüft. Die Situation war kafkaesk. Ich habe kaum noch geschlafen, und wenn doch, dann hatte ich Alpträume.

Am Ende hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen eingestellt. Aber das hat keinen mehr interessiert?

Die Staatsanwaltschaft hat immerhin zwei Jahre ermittelt, bis das Verfahren schließlich geräuschlos eingestellt wurde. Ergebnis der umfangreichen Ermittlungen war, dass ich eine einzige Reisekostenabrechnung nicht belegen konnte. Als die Ermittlungen eingestellt wurden, ist alle Angst schlagartig von mir abgefallen. Geblieben ist – wenn auch nur kurz – der Zorn: Zorn auf eine Staatsanwaltschaft, die ohne Rücksicht auf Verluste ein Menschenleben aus der Bahn wirft. Zorn auf das Justizministerium, das diese Staatsanwaltschaft nicht beaufsichtigt. Zorn auf ehemalige berufliche Weggefährten, die zwei Jahre lang im Untergrund verschwunden waren, um mir nach Einstellung der Ermittlungen mitzuteilen, dass man sich mit mir freue.

Nach solchen Erfahrungen, da zweifelt man an allem?

Ja, vor allem am Rechtstaat.

Wie geht es Ihnen heute?

Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt, lese viel, male, fotografiere. Ich genieße das freie und unabhängige In-der-Welt-sein. Für mich ist es wie ein Lottogewinn, dass ich heute in Berlin leben darf und als frühpensionierte Beamtin des Landes Schleswig-Holstein keiner geregelten Berufstätigkeit mehr nachgehen muss. Das ist wunderbar!

Harald Welzer wurde von der damaligen Präsidentin Wara Wende an die Uni Flensburg geholt. Zusammen gründeten sie dort das Norbert Elias Center for Transformation Design & Research (NEC).

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°15 erschienen.