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Ex-Linker Innenminister in BrandenburgZuhören statt zuspitzen

Mit seinem Politikstil hat René Wilke Aufbruchstimmung erzeugt. Nun ist der OB von Frankfurt (Oder) Innenminister von Brandenburg. Kann das gut gehen?

Immer ein offenes Ohr: Rene Wilke (rechts) nach seiner Wahl zum OB Foto: Arne Immanuel Bänsch

Berlin taz | Es war wohl der schwerste Moment seiner Amtszeit: Als nicht der Favorit Frankfurt (Oder), sondern Halle den Zuschlag für das ersehnte „Zukunftszentrum deutsche Einheit und Europäische Transformation“ bekommt, lädt Oberbürgermeister René Wilke im Februar 2023 spontan zu einem Treffen: „Lasst uns heute und morgen trauern“, heißt es in der Einladung. „Und dann stehen wir wieder auf und machen weiter.“

Das Foyer im Coworking-Café BlokO ist zum Bersten voll. Dass die Oder-Stadt in der Bewerbung für die 200 Millionen Euro schwere Investition des Bundes noch vor Jena und Leipzig gelegen habe, sei ein Erfolg, betont Wilke. „Dass wir als Stadt so daran wachsen, hätte ich nicht für möglich gehalten. Deshalb spüre ich große Dankbarkeit.“

Und dann sagt Wilke etwas, das fast eine Überschrift sein könnte für seine Art, Politik zu machen: „Ich habe mir gedacht, es ist besser, zusammenzukommen, als allein zu sein mit dem, was passiert ist.“

Als Wilke, damals 33 Jahre alt, im Frühjahr 2018 zum Oberbürgermeister der Universitäts- und Grenzstadt gewählt wurde, titelte die taz: „We love Frankfurt (Oder)“. „Die Leute wollen, dass die Bedeutung zurückkommt“, wird eine Frankfurterin zitiert, die zum ersten Mal in ihrem Leben mit Flüchtlingen arbeitete. Das Wichtigste für sie: „Das Gefühl, gebraucht zu werden. Das Gefühl, gehört zu werden.“

Wilke und der „Frankfurter Weg“

Ein Gefühl, das René Wilke seit seiner Wahl zum Frankfurt-Gefühl gemacht hat. Mit fast 63 Prozent hatte er sich in der Stichwahl gegen seinen Konkurrenten durchgesetzt. Aus der Not eine Tugend zu machen, das hieß plötzlich nicht mehr Flickschusterei, sondern „Frankfurter Weg“. Und das in einer Stadt, die seit der Wende von 86.000 auf unter 60.000 Einwohner geschrumpft war.

Die spürbare Aufbruchstimmung hatte vor allem mit dem Politikstil Wilkes zu tun. Obwohl vom Habitus eher Intellektueller als Kumpeltyp, zeigte sich schnell, dass da ein kluger und ausdauernder Moderator ins Rathaus eingezogen war. Einer, der die Kultur der runden Tische neu erfinden sollte. „Die da oben“ zu brüllen und wütend mit dem Finger zu zeigen, läuft bei Wilke ins Leere.

Rückschläge wie beim Zukunftszentrum waren fortan die Niederlage nicht allein der Politik, sondern aller, die Verantwortung übernommen haben. Das Gleiche gilt für Erfolge, wie etwa den Erwerb des lange leerstehenden „Lichtspieltheaters der Jugend“. Die „kommunale Familie“, die in Sonntagsreden von Bürgermeistern oft beschworen wird, in Frankfurt ist sie quicklebendig.

Als Innenminister ist René Wilke nun für diese Familie zuständig. Am Donnerstag wurde er im Brandenburger Landtag vereidigt. Mit seiner Art, möglichst viele mitzunehmen, muss der ehemalige Linken-Politiker, der 2024 wegen des Russlandkurses seiner Partei austrat, jetzt auch zeigen, dass er AfD-Wähler zurückholen kann. Für die anderen ist er ein Hoffnungsträger, quasi die letzte Patrone beim Versuch, die Rechtsextremen politisch zu stoppen.

Vermutlich hat Wilke nach den Baseballschlägerjahren etwas gelernt, was nicht nur in der Politik selten wurde: nicht nachtragend zu sein. Nicht sich selbst und seine Erfahrungen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern darauf zu schauen, was geht. Er ist keiner, der mit Problemen punkten will. Statt schlecht zu machen, richtet er lieber auf.

Es hätte auch anders kommen können. Wie viele seines Jahrgangs musste der gebürtige Frankfurter als Jugendlicher die Beine in die Hand nehmen, um seine Haut zu retten. Für Wilke waren die Baseballschlägerjahre kein abstraktes Kapitel ostdeutscher Nachwende-Exzesse, sondern selbst erfahrener Alltag.

Und so einer schüttelt dann alles ab und hört zu, nimmt die Sorgen ernst? Nur eines kann er nicht leiden, hat er in einem Interview mit der taz einmal verraten: „Vom Spielfeldrand zu kommentieren und von sich selbst zu glauben, man könnte alles besser.“ Ein Merksatz, den er nicht nur den Schreihälsen hinter die Ohren schrieb, sondern auch seien Kollegen in der Politik, die lieber an die Karriere denken als nach parteiübergreifenden Lösungen suchen.

Natürlich eckt Wilke an, trifft auch unpopuläre Entscheidungen. Wenige Monate nach seiner Wahl hatte eine Gruppe syrischer Geflüchteter den Jugendclub „Frosch“ überfallen, war mit Messern und Eisenstangen auf die Gäste losgegangen. Wilke wollte prüfen, ob straffällig gewordene Flüchtlinge ausgewiesen werden können. Seine Begründung: „Als Oberbürgermeister habe ich einen Eid geschworen, die Menschen der Stadt zu schützen.“

Es war wohl der Moment, in dem Wilke hätte nach rechts abbiegen, ein Brandenburger Boris Palmer werden können. Empörte Aufschreie, die ihn in die rechte Ecke stellten, gab es viele.

Doch es ist nicht Wilkes Art, sich in Ecken stellen zu lassen, er will nicht zuspitzen, sondern zuhören. „Er ist jemand, der lieber einen Prozess ordentlich aufsetzt, als drei Interviews mit unausgegorenen Lösungen zu geben“, schrieb ein Weg­gefährte auf Facebook. Wer so in sich ruht, braucht kein Boris Palmer zu werden.

Als Innenminister kommen neue Herausforderungen auf ihn zu. Mehr, als ihm lieb sein mag, wird er lernen müssen, im Potsdamer Haifischbecken zu schwimmen. Er selbst sagt: „Ich gehe nicht weg. Ich gehe einen Schritt weiter.“

Einen solchen Hoffnungsträger hatte Brandenburg nicht mehr seit Matthias Platzeck.

Die Fallhöhe ist enorm.

Als erste Amtshandlung kündigte René Wilke am Donnerstag an, den Fortbestand des erst im März gestarteten Rückführungszentrums für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt zu überprüfen.

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