Ex-Leichtathletin Schüller über WM-Boykott: "So eine Prüfung ist lächerlich"
Sie hätte die Zuverlässigkeitsprüfung, wegen der die taz die Leichtathletik-WM boykottiert, auch verweigert, sagt Ex-Leichtathletin Heidi Schüller. Bei den Sportjournalisten gebe es zu viele Mitläufer.
taz: Frau Schüller, halten Sie als ehemalige Hürdensprinterin einen Boykott der Leichtathletik-WM durch die taz für gerechtfertigt, weil Journalisten durch die Polizei und den Verfassungsschutz überprüft werden?
Heidi Schüller: Die taz darf das. Die taz hat immer so eine bunte Farbe und geistreiche Hintergrundberichte, die ich nicht missen möchte. Eigentlich auch nicht bei diesem Event im Olympiastadion. Aber ich verstehe es sehr gut, dass Sie diesen Wisch nicht unterzeichnet haben. Ich hätte die Einverständniserklärung zur Zuverlässigkeitsprüfung auch nicht unterschrieben. Ich wundere mich, warum 3700 Journalisten minus 2 sich diesem Diktat unterwerfen.
Warum hätten Sie denn nicht unterschrieben?
Weil ich den Ton als eine Zumutung empfinde. Hier steht: "Ich erkläre mich ausdrücklich und ohne Vorbehalt einverstanden". Ich finde so eine Prüfung lächerlich und unangemessen. Dagegen muss man sich verwehren. Dass eine Datenübermittlung von Journalisten an Dritte so nebenbei erwähnt wird, widerspricht meinem Rechtsstaatsverständnis.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum nicht mehr die Unterschrift verweigert haben?
Ich sage mal so: Bis auf zehn Sportjournalisten, die ich kenne und die ich erlebt habe, macht der Rest doch 1:0-Journalismus.
59 Jahre, Leichtathletin, Olympiateilnehmerin 1972, Ärztin und Fernsehmoderatorin. Sie war die erste Frau, die den Olympischen Eid sprechen durfte.
Sie meinen, reinen Ergebnisjournalismus?
Ja, Tore, gewonnen, verloren, Medaillenspiegel. Hintergründe sind den meisten Sportjournalisten eigentlich wurscht.
Im Printbereich gibt es eine Menge Kollegen, die gerade daran interessiert sind.
Aber auch in den Qualitätszeitungen herrscht doch mittlerweile Existenzkampf pur. Und die freien Journalisten, die nach Zeile bezahlt werden, haben große existenzielle Sorgen. Die müssen gucken, wie sie über die Runden kommen. Für die ist so ein Event fast unverzichtbar, weil sie ihre Miete bezahlen müssen. Vor allem freie Journalisten werden also vom Organisationskomitee dieser WM fast erpresst. Sie sind nicht frei in ihrer Entscheidung, ob sie der Zuverlässigkeitsprüfung zustimmen oder nicht.
Das betrifft freilich nicht nur den Sport.
Ja, das ist überall so. In der Politik. Und im Medizinjournalismus läuft es auch nicht anders.
Was meinen Sie konkret?
Es gibt viele Zugangshürden und viele angepasste Mitläufer, "Journalisten", die sich der Pharmazie voll verschrieben haben. Viele, die sich den großen Unternehmen verpflichtet fühlen. Ich kenne mich in dem Bereich gut aus, weil ich hier über Jahre recherchiert habe. Kritische Berichterstattung ist auch da sehr schwierig. Aber eines will ich noch festhalten.
Bitte!
Die Berliner Polizei hat das Recht und die Pflicht, sich um die Sicherheit bei dieser WM zu kümmern.
Auch im Rahmen von verdachtlosen Ermittlungen, denn nichts anderes ist diese Zuverlässigkeitsprüfung?
Das geht aber natürlich nicht. Ich halte das für eine Machtdemonstration der Veranstalter. Ich bin zwar kein Jurist, aber nach meinem Rechtsempfinden darf doch die Exekutive in dieser Art einem privatwirtschaftlich geführten Unternehmen nicht zuarbeiten.
Hätten Sie Vertrauen in die Löschung der Daten, die im September erfolgen soll?
Nicht wirklich. Da, wo Daten bekannt sind, sind sie auch immer zugänglich - auch widerrechtlich. Und dann sind sie auch ganz schnell zu verwenden gegen den Betroffenen.
Haben Sie ein Beispiel hierfür?
Wenn sie psychisch krank sind oder ein Rückenleiden haben, und diese Leiden sind einer Betriebskrankenkasse bekannt, und die Daten gelangen irgendwie in die Chefetage, dann wäre ja jeder Chef schön dumm, die Betroffenen einzustellen, weil er weiß: Diese Leute werden womöglich chronisch krank und fallen später mal aus.
Wo Daten massenhaft erhoben werden, ist der Missbrauch nicht weit?
Ich denke schon.
Haben Sie sich als ehemalige Leichtathletin jemals bedroht gefühlt von Journalisten?
Nein. Bedroht habe ich mich eher von der Polizei und dem Nationalen Olympischen Komitee gefühlt. Anstelle von Journalisten sollten mal lieber VIPs und Ehrengäste kontrolliert werden, da summieren sich die Vorstrafen ja manchmal schnell zu einer dreistelligen Zahl. Die Ehrentribüne erscheint mir für eine Zuverlässigkeitsprüfung ergiebiger zu sein.
Sie spielen auf 1972 und die Umstände des Attentats im Olympischen Dorf an?
Ja, damals hat sich die Polizei dilenttantisch verhalten und alles verschlimmbessert. Auch das NOK verhielt sich unprofessionell. Denen ist nichts anderes eingefallen, als den Sportlern ein Ausgehverbot zu erteilen. Aber ich lasse mich nicht gern drangsalieren und gängeln. Und das sollten Sie heute auch nicht tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut