Ex-Lehman-Banker Sony Kapoor: "Eine neue Krise ist jederzeit möglich"
Vor zwei Jahren ging die US-Investmentbank Lehman Brothers pleite. Sony Kapoor war dort Banker - und stieg mit 29 Jahren aus. Ein Gespräch über Boni, Basel III und nicht-essbares Gold.
taz: Herr Kapoor, früher waren Sie ein gut verdienender Investmentbanker. Jetzt sind Sie ein Kritiker des Finanzsystems. Warum sind Sie ausgestiegen?
Sony Kapoor: Mir hat nicht gefallen, was ich gesehen habe. Dabei glaube ich an die Marktwirtschaft. So finde ich es richtig, dass gute Zahnärzte hervorragend verdienen. Aber bei ihnen gibt es eine physische Grenze: Sie können nur eine bestimmte Zahl von Patienten behandeln.
Was ist bei Banken anders?
Sony Kapoor, 36, stammt aus Indien und absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Chemie-Ingenieur an einer Eliteuniversität in Neu-Dehli. Anschließend studierte er Betriebswirtschaft und ging, mit einem Stipendium gefördert, an die London School of Economics. Danach heuerte er bei der späteren Pleitebank Lehman Brothers an. Es folgte eine Station bei einer US-amerikanischen Firma, die mit Energie-Derivaten handelte. 2005 stieg er aus. Heute leitet er den Thinktank re-define. Dort kann man sein Buch "The financial crisis - causes and cures" kostenlos herunterladen.
Dort gibt es fast keinen Zusammenhang zwischen Anstrengung und Belohnung. Mit Geld wird nur mehr Geld gemacht. Ein Mausklick reicht, um ein riskantes Geschäft über 100 Millionen mit einem Gewinn von 10 Millionen abzuschließen. Funktioniert das Geschäft, fällt ein Millionen-Bonus an. Geht es schief, verliere ich höchstens meinen Job - während die Verluste der Steuerzahler trägt. Und wer riesigen Schaden anrichtet, schreibt hinterher ein Buch und wird berühmt.
Ihr Lebenslauf war rasant. Sie waren bereits vier Jahre im Investmentbanking, als Sie mit 29 Jahren ins Lager der Kritiker wechselten. Wie haben Ihre Exkollegen reagiert?
Inzwischen nehmen sie mich ernst. Aber in meiner neuen Tätigkeit als Berater war es schon ein Problem, so jung zu sein. Denn ob in den Parlamenten, Regulierungsbehörden oder Chefetagen der Banken: Dort sitzen vor allem 60-Jährige. Ich habe extra aufgehört, mich täglich zu rasieren, damit ich älter aussehe.
Der Einfluss von Kritikern scheint aber begrenzt. Trotz der Finanzkrise haben sich die Banken wenig verändert. Selbst Boni fließen wieder üppig.
Die hohen Boni sind der größte Einzelsieg der Bankenlobby. Dabei ist das individuelle Gewinnstreben der Banker der zentrale Motor der Finanzkrise gewesen.
Die meisten Wähler hätten es doch begrüßt, wenn die Boni beschnitten worden wären. Warum haben die Politiker darauf verzichtet, sich bei ihren Bürgern beliebt zu machen?
Der Trick der Lobbyisten war, das Bonussystem nur zu einem Randaspekt der Krise zu erklären. Hinzu kommt, dass in der Politik und bei den Regulierungsbehörden ein intellektueller Snobismus herrscht. Man fühlt sich als Teil der Finanzwelt und glaubt, man gehöre zu einer verschworenen Gemeinschaft von Experten, die anders als die dummen Massen eine komplexe "Zukunftstechnologie" verstehen würden. Also wurde den Politikern eingeredet, es wäre plumper Populismus, der öffentlichen Empörung nachzugeben und die Boni zu begrenzen.
Das Investmentbanking scheint aber tatsächlich sehr komplex zu sein. Es würden doch keine Millionenboni an die Banker gezahlt, wenn jeder erfolgreich mit Derivaten handeln könnte?
Das Finanzwesen muss nicht kompliziert sein. Es ist allein der geschickten Lobbyarbeit der Großbanken zu verdanken, dass die Regulierung tausende von Seiten umfasst. Das macht es für die kleineren Banken sehr schwierig, überhaupt in den Markt einzudringen, und sichert den Großbanken ihre extremen Gewinne.
Immerhin haben die internationalen Aufseher am Sonntag Basel III beschlossen. Ist dies ein Fortschritt?
Die kurze Antwort ist: nein.
Und die lange?
Über das eigentliche Problem wurde nicht diskutiert. Basel III beschäftigt sich nur damit, wie viel Eigenkapital die Banken vorhalten müssen, falls sie Verluste machen. Die Finanzkrise war aber vor allem eine Liquiditätskrise.
Das klingt sehr technisch.
Das Geschäftsmodell der Banken ist aber ganz einfach, das sich dahinter verbirgt. Um ihre Gewinne zu maximieren, wollen sich die Banken das Geld möglichst billig leihen - und teuer weiterverleihen. Geld ist am billigsten, wenn man es schon am nächsten Tag zurückzahlt, denn dann ist für den Kreditgeber ja auch das Risiko am geringsten. Also leihen sich die Banken das Geld nur für eine Nacht, zahlen dafür 1 Prozent Zinsen - und verleihen es für 6 Prozent als zehnjährige Hypothek.
Aber diese "Fristentransformation" gehört doch zum Bankgeschäft?
Jetzt wird sie in ein riskantes Extrem getrieben. Die Banken der Euro-Länder leihen sich täglich Milliarden von der Europäischen Zentralbank zu Niedrigstzinsen. Wenn diese Liquiditätshilfen zurückgezogen würden, wären die Banken sofort pleite.
Mit einer Kursänderung der Zentralbank ist aber nicht zu rechnen: Die Banken werden ja schon deshalb gerettet, weil sie "too big to fail" sind.
Über die Größe der Banken wird in Europa ebenfalls nicht diskutiert. Dabei hat man doch gesehen, was in Island passiert ist. Auch die Schweiz wäre beinahe durch die UBS in den Abgrund gezogen worden. Doch jedes Land verteidigt seinen nationalen Champion. So scheint man hier immer noch zu glauben, dass für Deutschland gut ist, was für die Deutsche Bank gut ist.
Wie ernst ist es also?
Eine neue Bankenkrise ist jederzeit möglich.
Bei der letzten Finanzkrise brach als Erstes der Hypothekenmarkt in den USA zusammen. Was wird diesmal der Auslöser sein?
Der Auslöser ist unwichtig. Das kann alles Mögliche sein: schwaches Wachstum, Verluste bei Krediten oder ein Staatsbankrott in Südeuropa. Das Finanzsystem ist extrem fragil.
Bei einer neuen Krise hätten Regierung und Zentralbanken kein Geld mehr für Rettungspakete. Was passiert dann?
Die Pensionsfonds und Lebensversicherungen würden große Verluste erleiden, der Mittelstand würde keine Kredite mehr bekommen - und für Sparer würde sich die Frage stellen, wie sicher ihre Einlagen noch sind. Es ist nicht auszuschließen, dass wir in Zeiten zurückfallen, wo jeder sein Geld am liebsten unter der Matratze hortet.
Selbst Kleinsparer fangen inzwischen an, Gold anzusammeln. Eine gute Idee?
Ich bin ein Gold-Skeptiker. Das ist doch nur ein Edelmetall ohne Nutzwert. Man kann es weder essen noch trinken.
Was raten Sie verunsicherten Sparern?
Sie sollten ihre Konten bei Großbanken auflösen, die Investmentbanking betreiben, und zu kleineren Instituten gehen, die ihre Kredite nur an die Realwirtschaft vergeben. Vor allem Sparer kurz vor der Rente sollten ihr Geld konservativ anlegen.
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