Ex-Kindersoldaten-Hauptmann berichtet: "Sie haben Vertrauen aufgebaut"
Ein junger Lehrer wurde von Rebellen verschleppt, die ihn als Anführer einer Truppe Kindersoldaten in Uganda brauchten. Heute unterrichtet er diese Kinder.
Alexander Ochen wollte immer Lehrer werden. Doch auf dem Weg zu seiner ersten Anstellung wurde der Ugander von Rebellen entführt. Statt im Klassenzimmer Schüler zu unterrichten, musste er zehn Jahre lang Kindersoldaten in einem grausamen und brutalen Krieg anführen.
"Ich habe das alles ja nicht freiwillig getan. Ich wurde gezwungen", betont er im Interview. Dennoch gibt er zu, dass ihn nach wie vor das schlechte Gewissen quält und dass er einen Weg finden muss, mit seiner Verantwortung umzugehen.
Ochen war 29 Jahre alt als er von den Rebellen der LRA (Widerstandsarmee des Herren) verschleppt wurde. Vom ersten Tag an hatte er nur zwei Gedanken: überleben und fliehen. Wie man unter dem Terrorregime von LRA-Anführer Joseph Kony überlebt, das hat er gleich zu Beginn gelernt, erzählt er: "Ein Kämpfer, der auch aus meinem Dorf stammte, hat mir verraten, wie man in der LRA überleben kann. Er sagte: Wenn du auf’s Klo musst, dann geh zum Pinkeln nicht weiter als drei Meter, sonst denken sie, du willst davonschleichen. Und dann töten sie dich".
Doch es dauerte über zehn Jahre, bis ihm die Flucht gelang. In dieser Zeit war er innerhalb der LRA-Kommandostruktur zum Hauptmann aufgestiegen. Er hatte knapp hundert Kindersoldaten unter seinem Kommando und erhielt von seinem Kommandeur ein 12-jähriges Mädchen zur Frau.
"Das Schicksal hat uns zusammengebracht"
Ochen ist es gelungen, sie bei seiner Flucht mitzunehmen und zu ihrer Familie zurück zu bringen: "Sie stammte ungefähr aus derselben Gegend wie ich. Sie tat mir leid. Ich behandelte sie jahrelang wie meine Schwester. Ich habe sie von der LRA befreit und zu ihrer Familie zurück gebracht". Heute ist er mit ihr verheiratet und hat zwei Kinder. "Das Schicksal hat uns zusammen gebracht", sagt er.
Das ganze Gespräch und viele andere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 22./23. Oktober 2011. Am Kiosk, eKiosk oder im Briefkasten via www.taz.de/we. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Die LRA gilt als die brutalste Rebellengruppe Afrikas. Sie ist berüchtigt für die Massen-Entführung von Kindern und dafür, Jungen und Mädchen zu bestialischen Kämpfern auszubilden. Seit über 26 Jahren führt die Miliz schon Krieg in Zentralafrika. Anführer Joseph Kony wird vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mit Haftbefehl gesucht. Jetzt sollen auch US-Elitesoldaten helfen, den LRA-Chef dingfest zu machen.
Ochen kennt Kony höchstpersönlich. Von ihm weiß er: "Er will überleben um jeden Preis". Ochen kann sich noch genau an jenen Tag erinnern, als ihm 2006 die Flucht gelang. Er ist stolz darauf, dass er seine Frau, sein Kind und sechs weitere Kinder seiner Einheit retten konnte. Dass bei der Flucht sein jüngster Kindersoldat in einem Fluss ertrank, das kann sich Ochen bis heute nicht verzeihen. Der Junge war erst 11 Jahre alt.
Heute ist Ochen der Lieblingslehrer in der Sekundarschule in Nordugandas Provinzstadt Gulu. Nach über 20 Jahren Krieg herrscht dort nun Friede, die Schulen sind wieder eröffnet. In den Pausen sitzt Ochen mit einigen seiner Schüler zusammen. Er hilft ihnen bei den Hausaufgaben und löst Konflikte und Streitigkeiten.
"Das ist der Rebellen-Mann!"
Wenn er an seinen ersten Schultag zurückdenkt, muss er lachen. "Ich musste wirklich meinen ganzen Mut zusammen nehmen. Dass ich kein normaler Lehrer bin, sieht man mir ja an. Ich habe drei Schusswunden und einen lahmen Arm", erzählt er. Einige seiner Schüler kannten ihn aus der Miliz. Sie waren auch entführt von der LRA. Und als sie dann Ochen im Klassenzimmer vor sich sagen, riefen sie "das ist der Rebellen-Mann!".
Ochen war in der Zwickmühle: „Sie hatten alle Angst vor mir. Wenn ich sagte "seid ruhig!, dann waren alle mucksmäuschenstill", berichtet Ochen. Doch mittlerweile haben sie Vertrauen zu ihm aufgebaut. Ochen unterrichtet Kunsthandwerk und glaubt fest daran, dass Kunst den Schülern und ihm selbst helfen kann, das Trauma des Krieges zu verarbeiten.
Er hat in seinem Haus eine Galerie eröffnet und malt Collagen von Krieg und Zerstörung, aber auch vom Wiederaufbau. Bald will er eine Ausstellung eröffnen. Er hat die Eltern der von ihm entführten Kinder um Vergebung gebeten und ist heute mit ihnen befreundet.
Im sonntaz-Gespräch spricht Alexander Ochen über die Erfüllung seines lang ersehnten Traumes, die Bewältigung des Traumas durch Kunst und Nächstenliebe und darüber, wie wichtig nach über 20 Jahren Krieg Versöhnung für den Frieden in Norduganda ist. Erhältlich am Kiosk und am ekiosk.
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