Ex-DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld: CDU-Revolte in Ströbele-Country
Sie hat viele Kritiker, selbst in ihrer eigenen Partei, der CDU. Für die tritt Vera Lengsfeld nun bei den Bundestagswahlen nahezu aussichtslos in Berlin Kreuzberg-Friedrichshain an.
1988: Vera Lengsfeld wird bei der Ostberliner Liebknecht-Luxemburg-Demonstration verhaftet. Sie kommt ins Stasi-Gefängnis und wird wegen "versuchter Zusammenrottung" zu sechs Monaten Haft verurteilt. Kurz darauf wird sie mit ihren Kindern Jacob und Jonas nach England abgeschoben. Am 9. November 1989 kehrt sie zurück.
1996: Vera Lengsfeld ruft mit ihrem Bundestagskollegen Konrad Weiß zum Boykott der taz auf. Anlass ist der Vorabdruck des satirischen Krimis "Der Barbier von Bebra", in dem DDR-Bürgerrechtlern vor ihrer Exekution die Bärte abrasiert werden. Lengsfeld und Weiß verstehen das Buch von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel als "literarische Anleitung zum Mord an Andersdenkenden".
2009: Vera Lengsfeld kandidiert in Friedrichshain-Kreuzberg für den Bundestag. Stärkster Konkurrent der CDU-Frau ist der Grüne Christian Ströbele.
Der Wahlkampf fängt ja gut an. "Was erzählen Sie für Schoten?", fragt Klaus Dörr die Frau, "ich möchte nicht, dass Sie hier diese Flugblätter verteilen." Vera Lengsfeld ist genervt. Dörr ist der Marktleiter des Kreuzberger Ökomarktes, er hat das Hausrecht. Wenn er nicht will, dass die Berliner CDU auf seinem Gelände Zettel verteilt, auf denen über "feige Brandanschläge linker Extremisten" gegen Nobelkarossen gewettert wird, ist das sein gutes Recht. Aber Lengsfeld ist keine, die kampflos aufgibt. Bevor sie abdreht, blafft sie zurück: "Was soll denn das? So was kenn ich eigentlich nur aus der DDR." Marktleiter Dörr guckt ratlos: Was redet diese Frau? Und wer ist die eigentlich?
Diese Frau ist Vera Lengsfeld. Und so wie es aussieht, werden Dörr und seine Kunden ihr in den nächsten Monaten öfter begegnen. Denn Lengsfeld tritt im Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain zur Bundestagswahl an. Man kann sagen: Damit hat ihr die Berliner CDU keinen Gefallen getan. Denn "Kreuzhain" ist Ströbele-Country. Vor vier Jahren hat der prominente Grüne hier mit 43 Prozent das einzige Bundestagsdirektmandat seiner Partei geholt. Die CDU kam auf magere 11 Prozent. Werden es im September 2009 nicht deutlich mehr - und das ist angesichts der heillos zerstrittenen Berliner CDU nicht anzunehmen -, kann Lengsfeld mit Platz 6 auf der Landesliste den Wiedereinzug in den Bundestag vergessen. Sie sagt: "Ich bin ja für Berlin Seiteneinsteigerin, und die Jüngste bin ich auch nicht mehr. Das muss man mal so nüchtern sehen."
Die Chancen stehen also nicht unbedingt gut für Vera Lengsfeld, die 56 Jahre alte Exbürgerrechtlerin, auf deren Visitenkarte Autorin steht. Jene Frau, die zu DDR-Zeiten von ihrem Mann Knud Wollenberger für die Stasi bespitzelt wurde, die zu Wendezeiten persönlich sehr viel riskiert hat und seither mit heiligem Zorn gegen alles anrennt, was auch nur ansatzweise nach SED/PDS/Linkspartei aussieht. Dafür wird sie von vielen, im Westen und im Osten, herzlich gehasst.
Sieht man sie an diesem kalten Spätwinternachmittag am Lausitzer Platz stehen, gehüllt in ihren langen Wollmantel, neben sich Labradorhündin Amy, in der Hand die Flugblätter, die kaum einer will, fragt man sich, warum sich die Frau diese Ochsentour antut. Sie steht hier für die CDU, in einem Wahlkreis, in dem sie niemand kennt und wo man sie auch noch rüde behandelt. Und deshalb murrt sie, gefragt nach dem ersten Eindruck von ihrem neuen Wahlkreis, etwas von mangelnder Toleranz sowie Kreuzberg als steuerfinanzierter Wärmestube.
Das ist typisch Vera Lengsfeld. Sie kennt keine falsche Freundlichkeit, die wohlfeile Lüge liegt ihr nicht. Stets folgt sie ihren Überzeugungen, strategischen Vorgaben eher nicht. Weil sie sich ihrer Sache immer so irritierend sicher ist. Beziehungsweise war: als SED-Mitglied, als DDR-Oppositionelle in der Kirche von unten, nach der Wende bei den Bündnisgrünen. Auch in der CDU hält sie es nicht anders. In ihrer Partei, zu der sie vor zwölf Jahren - unter großem medialem Getöse sowie Mitnahme ihres grünen Bundestagsmandats - gewechselt ist, läuft sie als "Ausnahmeerscheinung, schon weil von mir keiner erwartet, dass ich Parteidisziplin übe. Und da bin ich nicht böse drüber."
Trotzdem, Spaß an der Revolte sieht anders aus. Zuletzt hat sich Lengsfeld nicht einmal mehr von ihrer ehemaligen Thüringer Landesgruppe für den Bundestag aufstellen lassen. Man war 2005 im Zwist auseinandergegangen. Die prominente Bürgerrechtlerin, hieß es damals, profiliere sich noch immer mit Themen wie Stasi und PDS, "das interessiert auch nicht jeden". Nun hat sie die Berliner CDU in Kreuzberg-Friedrichshain gegen die Schwergewichte Christian Ströbele und Björn Böhning, den Sprecher der SPD-Linken, in Stellung gebracht.
Ströbele war von Lengsfelds Kandidatur überrascht, er vermutete sie noch in Thüringen. Aber, meint er, "das kann interessant werden". Welche Chancen er für seine Mitbewerberin sieht? "Na ja", sagt er und lacht, "CDU-Wähler muss man in Friedrichshain-Kreuzberg schon suchen."
Vera Lengsfeld weiß das natürlich, aber sie hält das gut aus. Sie ist Druck gewöhnt, auch weil sie Widerstandsgeist und Selbstvertrauen mitbringt. Die Tochter eines Stasi-Oberstleutnants und einer Lehrerin ist ein Kind der jungen DDR. Auf alten Fotos sieht man ein blondes Mädchen, ein schmales Lächeln. Aus dem festen Glauben, das Richtige zu tun, sei ihr der Mut zum Widerspruch erwachsen, sagt sie. "Meine Eltern haben wirklich, wirklich an diese DDR geglaubt, und das haben sie mir vermittelt. Da gab es nichts Doppelbödiges, nichts Verstecktes, da waren sie ganz klar. Und ich habe wahrscheinlich immer gewollt, in dieser Klarheit zu leben."
In der Klarheit leben. Ein schönes Ziel, aber ausgerechnet in der DDR, dem Land, in dem Anpassung ein wichtiges Talent darstellte? Vera Lengsfeld hat nicht wie die meisten Ostdeutschen alles in sich reingefressen. Sie war mutig, klug und störrisch. Weil sie wegen ihrer Eltern nicht - wie so viele andere seit 1976 - ausreisen wollte, sagte sie sich: "Wenn ich diesen Verhältnissen also nicht entkommen kann, wirke ich zumindest auf sie ein."
Sie studierte Philosophie in Berlin, um danach an der Akademie der Wissenschaften zu arbeiten. Mit 21 trat sie in die SED ein, acht Jahre und zahllose nervenzerfetzende Parteiversammlungen später warf man sie wieder raus. Nun studierte sie Theologie und engagierte sich in der innerkirchlichen Opposition. Im Januar 1988 wurde sie am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demo verhaftet und zu einer Haftstrafe verurteilt. Im Februar schob sie ihr Staat, an den sie einmal so fest geglaubt hatte, nach Großbritannien ab.
Mit zwanzig Jahren wurde sie zum ersten Mal Mutter, mit 26 heiratete sie ihre große Liebe Knud Wollenberger und nahm seinen Namen an. Wenig später kamen die gemeinsamen Söhne Jacob und Jonas auf die Welt. Knud und sie hatten sich an der Akademie kennengelernt, sie mochte seine Gedichte und sein seltenes Hobby, die Imkerei. Auch die Art, mit ihrem Sohn Philipp umzugehen, gefiel ihr.
Knud, Sohn eines international renommierten Kardiologen, hatte durch seine Mutter einen dänischen Pass und war, anders als seine aparte kluge Kollegin, schon viel gereist. "Bei den Wollenbergers war man der DDR schon halb entkommen", schreibt Lengsfeld in ihrer Autobiografie. Halb? Ihr Irrtum hätte nicht schwerwiegender sein können. Seit 1972 spitzelte der sensible Knud als IM Donald für die Staatssicherheit. Nun heiratete er sein wichtigstes Observationsobjekt. Sie vertraute ihm - er schrieb alles auf.
Als sie ihn nach dem Mauerfall zur Rede stellt, antwortet er, er hätte für die DDR alles getan, das Land sei für ihn die Antwort auf Auschwitz. Seiner Frau wird schwarz vor Augen.
Sie hat trotzdem versucht, weiter in ihrer Klarheit zu leben. Sie ließ sich scheiden und zog ihre Söhne allein groß. Machte Politik: Saß bis 1996 für die Bündnisgrünen im ersten gesamtdeutschen Bundestag, wo sie Fraktionsdisziplin ganz klein schrieb und unter anderem dadurch auffiel, dass sie während einer Golfkriegsdebatte eine Minute ihrer Redezeit demonstrativ schwieg.
Dass sie 1996 zur CDU wechselte, weil ihr, wie sie meinte, die Grünen zu PDS-freundlich wurden, haben ihr viele übel genommen. Noch heute bezeichnet Vera Lengsfeld sich als "Antikommunistin aus Erfahrung". Ihr Herausforderer Christan Ströbele sagt dazu: "Das hätte sie nicht tun sollen. Ein Mandat über die Landesliste nimmt man nicht so einfach mit, bei einem Direktmandat sähe das anders aus."
Als 2003 der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann mit antisemitischen Parolen auffällt, gibt Lengsfeld ausgerechnet der Jungen Freiheit ein Interview, in dem sie den Umgang der Medien mit dem Fuldaer Rechtsaußen als "inszenierte Treibjagd" kritisiert. So was bleibt hängen im öffentlichen Gedächtnis, weniger, dass sie Hohmann damals intern zum Rücktritt gedrängt haben soll. Zur nächsten Bundestagswahl verweigert ihr ihr Thüringer Wahlkreis die Direktkandidatur. Sie wiederum erklärt, dann auch nicht mehr als Listenkandidatin zur Verfügung zu stehen. Bürgerrechtler, sagt sie noch heute, hätten die friedliche Revolution "ja nicht gemacht, um danach irgendwelche Positionen zu besetzen".
Aber es ist wie immer: Sie hält das gut aus. Was gar nicht geht, ist falsche Rücksicht. Noch heute, 18 Jahre danach, gilt sie als die Frau des Stasi-Spitzels. Sie aber sagt: "Mitleid ist unangebracht, völlig unangebracht. Wenn die Leute immer anfangen: Wie verkraftet man denn so was, sage ich immer, sehe ich so aus, als hätte ich das nicht verkraftet?" Talkshowangebote nimmt sie nur unter der Bedingung an, nicht über Knud sprechen zu müssen, "und dann sagen die, dann eben nicht". Im Gespräch nennt sie ihn immer noch "mein Mann".
Sie will nicht, dass die Stasi vergessen wird. Was sie ihr angetan, geraubt hat. Mehrmals in der Woche führt sie deshalb Besucher durch den ehemaligen Stasi-Knast in Berlin-Hohenschönhausen, wo sie 1988 inhaftiert war. Doch selbst dort verzichtet sie darauf, ihren privaten Verrat öffentlich zu machen. Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe, erzählt sie, "hat in Hohenschönhausen Stelen aufgestellt. Ich sollte da auch erscheinen auf so einer Stele als ehemalige prominente Gefangene." Knabe habe einen Text entworfen, "da stand das dann drin mit meinem Mann. Das hab ich ihm rausgestrichen. Ich habe gesagt, das hat überhaupt gar nichts mit meiner Inhaftierung zu tun. Auch jeder Mörder hat nach einer bestimmten Zeit das Recht, dass darüber nicht mehr geredet wird. Da hat Hubertus Knabe gesagt: Dann kriegst du eben keine Stele." Und Vera Lengsfeld sagt: "Dann krieg ich eben keine Stele. Punkt. Aus."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?