piwik no script img

■ Ex-Bürgerrechtler fordern Begnadigung von Krenz und Co.Neue Amnestiedebatte!

Nicht, dass sich beide Seiten irgendwie bewegt hätten. Die eine feiert das Urteil gegen die Politbüroler Krenz, Schabowski und Kleiber als Sieg des Rechtsstaates über eine Diktatur. Die andere Seite findet es juristisch schlichtweg skandalös. „Siegerjustiz“-Vorwürfe hier, Genugtuung da. Dazwischen nichts.

Dazwischen nichts? Die Ex-Bürgerrechtler Vera Lengsfeld und Rainer Eppelmann betätigten sich am Wochenende als Brückenbauer. Beide, der Zuneigung zu Krenz und Co. unverdächtig, forderten Begnadigung. Dieser Vorstoß allein taugt allerdings noch nicht zur Brücke. Es ist vielmehr die Begründung, die weiterhilft. Die zum eigentlichen Thema führt. Lengsfeld argumentiert, der Akt der Gnade würde verhindern, dass die Machthaber von einst heute in Märtyrerrollen schlüpfen. Das nämlich wäre der CDU-Politikerin so gar nicht recht. Recht aber ist eine vom Staat getragene Ordnung, die über den Parteiinteressen steht. Will Lengsfeld Krenz laufen lassen, muss sie andere Gründe für den Gnadenakt liefern. Das schielen auf die Wahlurne ist zu plump.

Eppelmann begründet nicht. Er stellt Bedingungen. Die Verurteilten müssten ihre Schuld zuerst einsehen. Dankenswerterweise wurde der CSU-Politiker Peter Gauweiler deutlicher. Er will nur bei Schabowski Gnade vor Recht ergehen lassen. Schabowski allein habe sich – anders als Krenz und Kleiber – nicht nur zur eigenen politischen Verantwortung bekannt, sondern auch die – mit Gauweiler gesprochen – schlimmen Fehlentwicklungen in der DDR beim Namen genannt.

Moral lässt sich nicht mit Hilfe des Rechts erzwingen. Was immer man Krenz vorzuwerfen hat: Seiner Moral von einst ist er stets treu geblieben. Das wird auch die verhängte Haftstrafe nicht ändern. Statt über die Begnadigung von Krenz und Co. nachzudenken, brauchen wir eine neue Amnestiedebatte. Im Jahre zehn des neuen Deutschland müssen wir einen neuen Versuch starten, uns mit Stasiakten, Regelanfragen und DDR-Unrecht auseinander zu setzen. Die Ostdeutschen brauchen einen neuen Versuch, die Agonie zwischen ihrer DDR-Biografie und ihrem neuen Leben als Bundesbürger zu überwinden. Die eher unfreiwillige Botschaft von Lengsfelds und Eppelmanns Ideen heißt: In der DDR begangenes Unrecht lässt sich heute nicht mehr juristisch aufarbeiten. Recht kann das Hier und Jetzt ordnen, nicht die Vergangenheit bewältigen. Amnestie aber kann heilen.

Nick Reimer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen