Ex-Bürgermeister in Italien: Rehabilitierung in Aussicht
Mimmo Lucano nahm Geflüchtete in seinem Dorf in Italien auf – und wurde verfolgt. Jetzt darf Riaces Ex-Bürgermeister auf Erfolg vor Gericht hoffen.
![](https://taz.de/picture/4250895/14/25516168-1.jpeg)
Held oder Schurke? Seit 2017 wird der 62-jährige Lucano von der Justiz verfolgt. Schenkt man den Staatsanwälten Glauben, hat er eine kriminelle Vereinigung ins Leben gerufen, sich bei der Verwaltung von Staatsgeldern des schweren Betrugs schuldig gemacht, Unregelmäßigkeiten bei der Ausschreibung der Müllabfuhr zu verantworten und die illegale Einwanderung gefördert.
Alles begann im Jahr 1998, als der Chemielehrer am Strand spazieren ging. Er sah ein Schiff mit kurdischen Geflüchteten – und beschloss zusammen mit Freunden, sie im Dorf aufzunehmen. Ein Jahr später gründeten die Freunde einen Verein, der die zahlreichen leerstehenden Häuser ihres Orts als Unterkünfte für Migrant*innen herrichtet.
Den Bürger*innen des zunehmend entvölkerten und überalterten Dorfs leuchtete das Konzept ein. Im Jahr 2004 wählten sie Lucano zum Bürgermeister. Aus dem Amt heraus brachte er das „Modell Riace“ voran: Er siedelte Geflüchtete an, gründete Handwerksbetriebe und kleine Läden, in denen Migrant*innen und Menschen aus Riace Seite an Seite arbeiten. Auch die mit Eseln betriebene Müllabfuhr bestreiten neue und langjährige Bewohner*innen gemeinsam. Das sterbende Dorf wurde wieder zum Leben erweckt: Die Schule öffnete wieder, Geschäfte können dank der neuen Kundschaft überleben.
Innenministerium musste Schlappen einstecken
Im Jahr 2010 drehte Wim Wenders einen Kurzfilm über Riace. Im gleichen Jahr errang Mimmo Lucano den dritten Platz des World Mayor Award, der die besten Bürgermeister weltweit auszeichnet, und 2017 bekam er den Dresdner Friedenspreis.
Im gleichen Jahr allerdings begann auch der Ärger mit der Justiz. Riace hatte mittlerweile Hunderte Geflüchtete in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, die durch das Innenministerium finanziert wurden. Lucano soll unkorrekt abgerechnet haben, so der Vorwurf. Im Oktober 2018 musste er gar in Haft, in Hausarrest – und verlor sein Amt als Bürgermeister. Der Lega-Chef und damalige Innenminister Matteo Salvini nutzte die Anschuldigungen, um von einem Tag auf den anderen alle Flüchtlingseinrichtungen in Riace schließen zu lassen. Das Modell war am Ende.
Noch ist über Lucano kein Urteil gesprochen, doch die Staatsanwälte und das Innenministerium haben schon einige schwere Schlappen einstecken müssen. Der Staatsrat – das oberste Verwaltungsgericht Italiens – erklärte die Schließung der Flüchtlingseinrichtungen nicht bloß für rechtswidrig, sondern nannte die von Lucano verfolgte Politik „vorbildlich“. Und jetzt befand das Gericht in Reggio Calabria, die Vorwürfe der Staatsanwälte seien weitgehend haltlos. Lucano darf auf Rehabilitierung hoffen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!