Evangelikales Jugendtreffen "Christival": Das totale Superglaubensfest
Das evangelikale "Christival" ist wegen eines inzwischen abgesagten Heilseminars für Homosexuelle in die Kritik geraten. Das Familienministerium fördert das Fest mit 250.000 Euro.
Das Festival: Das Christival ist ein missionarischer Jugendkongress der deutschen Evangelikalen. In diesem Jahr findet es unter dem Motto "Jesus bewegt" in Bremen statt, noch bis zum Sonntag nehmen 16.000 Christen zwischen 16 und 26 Jahren teil.
Die Veranstalter: Hinter dem Christival stehen über 120 theologisch konservativ ausgerichtete Einzelpersonen. Sie kommen aus Freikirchen, Jugendverbänden, Kommunitäten und anderen christlichen Organisationen. Kritiker werfen dem Christival fundamentalistische Positionen vor.
Die Finanzen: Das Christival kostet 3 Millionen Euro. Eine Viertelmillion Euro kommt aus dem Bundesfamilienministerium. Dessen Chefin Ursula von der Leyen (CDU) hat auch die Schirmherrschaft übernommen.
Roland Werner schließt die Augen. Nicht wegen des blendenden Scheinwerfers, der hat ihn vorher ja auch nicht gestört. Aber jetzt betet Roland Werner. Er spricht das Eröffnungsgebet ins Mikrofon, die Kameras übertragen sein breites Gesicht auf die Bühnenleinwand, obgleich alle, die hier im Dämmer stehen, die Lider gesenkt haben und im leichten Niesel einander an den Händen halten. "Dann wird es ein bisschen wärmer", hatte "Mister Christival Doktor Roland Werner" - so hat ihn der Moderator vorgestellt - ins Mikrofon gehaucht.
Werner ist ein breitschultriges Mannsbild, seine Stimme ein hoher Tenor. Man kann, wenn man die Augen schließt, an Didi Hallervorden denken. Aber die Christival-Besucher - 16.000 Gäste, vorwiegend Jugendliche - haben eher Jesus vor Augen. "Amen!", ruft Werner jetzt mit Nachdruck, und "Amen!", jubelt die Menge. Junge Männer hüpfen pfeilgerade in die Höhe, Begeisterungspfiffe, Musik.
Die Veranstalter beschreiben das Christival gern schlicht als "Glaubensfest", als "Kongress junger Christen" oder, in fröhlicher Ignoranz gegenüber dem zwei Wochen später beginnenden Katholikentag, als "das christliche Großereignis 2008". Es hat am Mittwochabend in Bremen begonnen und dauert noch bis zum Sonntag. Am Vorabend vom Kreuzesfindungstag beehrt auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Bischof Wolfgang Huber, das Treffen. Das sei, lässt das Kirchenamt wissen, kein symbolischer Vorgang. Hubers Vorgänger haben die bisherigen Christivals eher gemieden, diesmal feiert der EKD-Chef in Bremen das Abendmahl. Und Werner ist sein Konzelebrant, schließlich ist der 50-Jährige Vorsitzender des Trägervereins.
Das Schlagwort, unter dem das Christival eingeordnet wird, ist "evangelikal". Ein unscharfer Begriff, der früher ein fundamentalistisches Bibelverständnis beschrieben hat. "Aber", so der Berliner Religionssoziologe Hubert Knoblauch, "das haben diese neuen Bewegungen meist nicht, da geht es eher um die subjektive Glaubenserfahrung." Organisiert sind sie teils in Freikirchen, teils in Landeskirchen. Die Liturgie ist poppig. Die verbreiteten Werte: erzkonservativ. Und die Missionstätigkeit ist derart intensiv, "dass man sich eher darüber wundert, warum das hier nur so wenig zunimmt", sagt Knoblauch. Verlässliche Zahlen gibt es für Deutschland nicht.
Anfangs war das Verhältnis zwischen Amtskirche und den Bewegungen eher distanziert. Mittlerweile lässt sich "eine geradezu systematische Ambivalenz" in der EKD-Haltung erkennen. "Huber", so deutet Knoblauch das, "ist es gewiss so unrecht nicht, den Protestantismus deutlicher zu markieren", gerade gegenüber dem erstarkenden Katholizismus. "Diese Bewegungen geben dem Protestantismus Markanz."
Möglicherweise ist Hubers Umarmung des Christivals eine gewiefte religionspolitische Strategie. Aber vielleicht hat sie auch etwas mit der Person Roland Werner zu tun. Der sitzt in etlichen Gremien in und neben der EKD. Er ist Gründer einer eigenen Kommunität in Marburg, die mittlerweile Ableger in Jerusalem und Berlin unterhält. Er übersetzt gerade die Bibel neu. Und er glaubt daran, dass der Apostel Johannes persönlich das nach ihm benannte Evangelium verfasst hat.
Wer mag, erfährt derzeit fast täglich Neues über ihn. Neulich hat jesus.de sogar Details aus seiner Sexualbiografie öffentlich gemacht: Werner, "der selbst früher homosexuell empfand", sei "inzwischen glücklich mit seiner Frau verheiratet". Wie gemein, könnte man denken. Aber: das war wohl eher ein Liebesdienst.
Seit Januar nämlich gibt es heftige Diskussionen über das Christival: Volker Beck (Grüne) hatte es im Bundestag zum Gegenstand von Anfragen gemacht, weil Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) nicht nur die Schirmherrschaft übernommen, sondern das Fest in Bremen mit 250.000 Euro gefördert hat. Man verspreche sich, heißt es in der Antwort des Ministeriums, von der Veranstaltung "weit reichende Impulse für die Jugendarbeit".
Becks Kritik hatte sich vor allem an einem Heilseminar für Homosexuelle entzündet, das laut Roland Werner aber gar keins gewesen wäre, sondern "der Versuch, einen seelsorglichen Freiraum für Menschen zu schaffen, die über dieses Thema sprechen wollen" - quasi Homosexualität und Chancen für Veränderung. Genau lässt sich das nicht mehr verifizieren, weil es ja abgesagt wurde, das Seminar. Auf Betreiben der Familienministerin, wie ihr Staatssekretär Hermann Kues sagt; aus eigenem Antrieb, sagt Werner - weil vor lauter Erregung keine Diskussion mehr möglich gewesen wäre.
Ein Seminar gegen Abtreibung dagegen findet am Samstag statt. Veranstalter sind Lebensschützer des Heidelberger Vereins "Die Birke", die Abtreibung auch im Fall einer Vergewaltigung ablehnen.
Das Wetter meint es gut mit den Christival-Teilnehmern. Die Gewitterwolken ziehen weg von der Bürgerweide, es bleibt bei wenigen Tröpfchen. Auch der schwarze Block, der zur Gegendemo gekommen ist, erreicht die Gläubigen nicht. Gut, die Trillerpfeifen und das Dauertrommeln stören ein wenig die Andacht, wenn gerade einmal nicht "God is not dead, Jesus is alive" aus den Gigawattboxen pustet. Aber die sarkastischen Transparente - "Geht mit Gott, aber geht!" oder "Gefeuert? Zum Glück gibts Gott!" - müssen die Angereisten nicht sehen. Auch als eine Handvoll Vermummter plötzlich eine Absperrung durchbricht und johlend Richtung Festgelände stürmt, ist die Polizei ganz schnell da. Festnahmen, ein verletzter Polizist, aber keine sichtbare Prügelei, nicht jedenfalls, während Doktor Werner unter dem Jubel der Masse von der Bühne aus "das totale Superglaubensfest" proklamiert, das Mitarbeiter-Team als "eine kreative Supertruppe" feiert und sich wünscht, "dass wir den Demonstranten total in der Liebe von Jesus Christus begegnen".
Nicht immer ist Werner so in Fahrt. "Ich schaue gerne in die Sonne", sagt Mister Christival und lässt sich zum Gespräch auf einem Kaffeehausstuhl nieder. Der Satz ist wohl tatsächlich so gemeint, die Sonnenbrille hat er sich ins Haar geschoben. Er schaut gelassen, auch wenn ihn der ganze Streit über das Festival doch etwas angefressen hat, am meisten tatsächlich die Sache mit der Straßenbahn, ganz zum Schluss.
Das ist so eine Nickeligkeit. Ursprünglich hatten die Organisatoren vorgesehen, dass an drei Christival-Abenden in allen Bremer Tramlinien live Jesus-Hiphop gemacht und missioniert wird. Aber es gab keine Vereinbarung mit dem Nahverkehrsanbieter. Und dann "haben die uns einen Vertrag vor den Latz geknallt", sagt Werner, "und uns vor die Wahl gestellt: Entweder wir unterschreiben das, oder es gibt gar keine Kooperation." Auf öffentlichen Nahverkehr lässt sich bei Großereignissen schlecht verzichten, nun wird also nur in gekennzeichneten Einsatzfahrzeugen musiziert. Auch Spontanpredigten sind nicht erwünscht. Das schmälert die Aussicht auf missionarischen Erfolg.
"Ich bin ja sozusagen arbeitslos als Leiter", scherzt Roland Werner. Wenn so eine Sache wie das Christival einmal läuft, dann läuft sie, der Organisator kann ins Fitness-Studio gehen oder sich ganz einfach zurücklehnen, einen Kaffee trinken, entspannen. Wenn man ihn so reden hört, lässt sich das schwer in Einklang bringen mit dem, was so über ihn zu erfahren ist. Roland Werner ein religiöser Hardliner? Sicher, er ist im Leitungskreis der "Lausanner Bewegung Deutschland", und klar, die tritt für Judenmission ein. "Ich persönlich", sagt er aber, "bin überhaupt nicht in der Judenmission engagiert", die sei "auch kein Thema beim Christival". Und das obwohl alle Mitarbeiter unterschreiben mussten, dass sie die "Lausanner Verpflichtung", das Gründungsdokument der Bewegung, als "theologische Basis" anerkennen.
Manchmal dementiert Roland Werner auch: "Homosexuelle Gefühle" zum Beispiel seien "der Versuch, eine Persönlichkeitsstörung zu überwinden", hat er 1993 in seinem Aufsatz "Homosexualität und Lebenserneuerung" geschrieben. Aber wenn er dann sagt: So steht das nicht in meinem Buch, dann bleibt es zwar da stehen - auf Seite 14, um genau zu sein -, aber wer wollte denn ein Rechthaber sein?
Plaudern lässt sich dagegen gut mit Roland Werner. "Ich werde ja dargestellt", sagt er, "als sei ich der große Homoheiler von Deutschland" - er macht eine Handbewegung, als fasse er auf imaginäre Köpfe - "und würde hier alle durch Handauflegen heilen." Aber das könne er ja nicht. Sonst würde ers ja gerne tun - "aber ich rede zu viel".
Am Rand der Bürgerweide stehen ein paar versprengte Christival-Teilnehmer. Sie haben sich verspätet, jetzt kommen sie nicht aufs Gelände. Fassungslos stehen sie vor den tausend GegendemonstrantInnen. Die haben sich, im Polizeikorridor, genau zwischen Bahnhof und Festwiese postiert. Hastig kramen die jungen Christen in ihren Rucksäcken. "Ja, eine Demo!", ruft ein Mädchen in ihr Mobiltelefon. "Nein, nicht für!", sie schüttelt energisch den Kopf, "gegen das Christival!" Sie lauscht den elterlichen Unterweisungen. "Nein", ruft sie, "ich verstehe es auch nicht!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz