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Evangelikale in Bremer SchulenDie wollen nur beten

Die Bremer Linken hatten nach Radikalität und Einfluss evangelikaler Strömungen insbesondere auf Kinder gefragt. Der Senat hält sie für harmlos.

Evangelikale Gruppen demonstrieren 2018 in Berlin auf dem „Marsch für das Leben“ Foto: Paul Zinken/dpa

Bremen taz | Zwei Träger von Bremer Privatschulen lassen sich dem evangelikalen Spektrum zuordnen. Die Privatschule Mentor (5. bis 13. Klasse) in Gröpelingen sowie die Freie Evangelische Bekenntnisschule mit Grundschulen in Habenhausen und der Vahr, sowie Oberschule und Gymnasium in Habenhausen. Das ist in Bremen kein Geheimnis, steht aber jetzt schwarz auf weiß in einer Antwort des Senats auf eine Anfrage der Fraktion der Linken.

Diese hatte nach der Radikalität und dem Einfluss evangelikaler Strömungen insbesondere auf Kinder und Jugendliche in Bremen gefragt. Kindertagesstätten, nach denen die Linke ebenfalls gefragt hatte, lassen sich nach Auffassung des Senats nicht einer bestimmten Glaubensauslegung zuordnen.

Ob Kinder und Jugendliche in den von Evangelikalen betriebenen Institutionen einen offenen Umgang mit Geschlechterrollen und Sexualität lernen, vermag der Senat nicht zu sagen. Die Hauptaussage seines Schreibens lässt sich so zusammenfassen: Wird schon passen. Denken wir. Und wenn nicht, bekommen wir das eventuell mit. Dann aber würden wir ganz sicher handeln!

„Unbefriedigend und mutlos“ nennt Maja Tegeler, queerpolitische Sprecherin der Linken, diese Einschätzung. Denn schließlich gebe es zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass die Schulen nicht so weltanschaulich neutral unterrichten würden, wie sie es jetzt gegenüber dem Senat in Stellungnahmen behaupten. Diese sind in seiner Antwort mit veröffentlicht.

So hatte die taz darüber berichtet, wie erklärte Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen Schulprojekte über „Schwangerschaftskonflikte“ durchführen – auch an zwei öffentlichen Schulen. Unter anderem mithilfe eines szenischen Spiels, in dem ein junges Paar ungeplant ein Kind gezeugt hat und jetzt eine Lösung ihres „Konflikts“ sucht, wie es die Projektleiterinnen in einer Selbstdarstellung beschreiben. Diese Art der Vermittlung eines Sachverhalts setzt bei den Gefühlen der Neunt- und Zehnt­kläss­le­r*in­nen an. Ob das geeignet ist, eine offene Diskussion anzuregen? Man weiß es nicht. Jedenfalls nicht der Senat oder die Schulaufsicht.

Evangelikale Schulen: „Alles wertfrei“

Denn schon im Februar hatte Bildungssenatorin Claudia Bogedan in einer Landtagssitzung gesagt, sie halte das Unterrichtsprojekt für unproblematisch, solange die Lehrkraft die Projektinhalte mit den Schü­le­r*in­nen vor- und nachbereite. Nur hat die Schulaufsicht wie bei so vielem, was in geschlossenen Klassenräumen geschieht, keine Ahnung, ob und wie das passiert.

Dem Senat schreibt die Bekenntnisschule jetzt, das Projekt diene dazu, den „multiperspektivischen Blick der Schüler:innen“ zu schärfen. Und die Privatschule Mentor behauptet, im Sexualkundeunterricht werde „das Thema Abtreibung wertfrei vermittelt und gesellschaftlich beleuchtet, sodass sich die (älteren) Schü­le­r*in­nen ihre eigene Meinung bilden können.“

Die Bekenntnisschule schreibt weiter, dass auch „Fragen unterschiedlicher Formen der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität wertfrei aufgegriffen und den Schü­le­r:in­nen vermittelt“ würden. Das steht im Widerspruch zu Berichten eines jungen trans Mannes, der der taz im vergangenen Jahr erzählt hatte, wie er aufgrund seiner trans Identität an der Schule von Lehrkräften und dem Schulleiter gemobbt wurde.

Vage sind die Senatsangaben dazu, inwiefern an den Schulen kreationistische Inhalte vermitteln werden. „‚Intelligent Design‘ als Auffassung, dass sich bestimmte Eigenschaften des Universums und des Lebens auf der Erde nur durch einen intelligenten Urheber erklären lassen, ist der Gedankenwelt des Kreationismus zuzuordnen“, schreibt der Senat. „Die Wissenschaft ordnet derartige Vorstellungen mal als nicht-wissenschaftlich, pseudowissenschaftlich oder als ‚Junk Science‘ ein.“

Keine Beweise für Kreationismus

Aber ob das an der Schule unterrichtet wird, weiß er nicht, es bleibt konjunktivisch: „Würden solche Vorstellungen im Unterricht thematisiert, so kann das nur in kritischer Auseinandersetzung geschehen, was durch die Privatschulaufsicht entsprechend nachgehalten wird.“

Immer wieder gibt es Berichte über Eltern, die sich darüber wundern, wie ihren Kindern Evolution an der Bekenntnisschule vermittelt wird. Aber interviewen lassen will sich niemand dazu. Auch die Linksfraktion hat keine Beweise dafür, dass entsprechendes Lehrmaterial, beispielsweise das Buch „Creatio“, genutzt wird, wie deren Mitglied Maja Tegeler einräumt. Der Senat schreibt, ihm lägen „keine Hinweise vor“, dass das Buch im Unterricht verwendet würde.

Dass die Senatsantwort zu Schulen so vage ausfällt, kann Maja Tegeler noch halbwegs akzeptieren. Ein Rätsel ist ihr aber, wie die Landesregierung die eindeutige Ausrichtung des Vereins „Menschenskinners! Christen engagiert für Kinder und Eltern e. V.“ übersehen kann. Dieser führt nicht nur das Unterrichtsprojekt zu Schwangerschaftsabbrüchen durch, sondern betreibt auch fünf Kindertagesstätten.

Und er bietet Frauen vor und nach einem Schwangerschaftsabbruch eine Beratung an. Dabei suggeriert ein Text auf der Homepage, dass es spezifische Symptome nach einem Abbruch gibt, die von Fun­da­men­ta­lis­t*in­nen als „Post Abortion Syndrome“ klassifiziert werden. Keine medizinische Fachgesellschaft kennt diesen Begriff, wissenschaftliche Nachweise gibt es nicht.

Ärgerlich findet Maja Tegeler auch, dass der Senat das Missionierungsprojekt Lighthouse als „gesamtkirchliche Einrichtung der Bremischen Evangelischen Kirche“ bezeichnet, das keine „Zurechnung zu bestimmten Strömungen innerhalb des Protestantismus“ erlaube. Das Lighthouse ist räumlich angedockt an die Martinigemeinde, deren Pastor Olaf Latzel vom Amtsgericht Bremen wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. Nach Überzeugung des Gerichts habe er zum Hass gegen Homosexuelle aufgestachelt.

Unklare Definition von „Evangelikalismus“

Der Leiter des Lighthouse ist Johannes Müller, der lange die Jugendarbeit der Matthäusgemeinde geleitet hat. Diese gehört ebenso wie die Martinigemeinde und weitere evangelische sowie freikirchliche Gemeinden der Evangelischen Allianz Deutschland an.

In seiner Antwort an die Linke weist der Senat darauf hin, dass es zwar „keine allgemein verbindliche Definition des Begriffs ‚Evangelikalismus‘ oder 'evangelikale Strömung/Bewegung“ gebe. Wohl aber nennt er die Evangelische Allianz als Sammelbecken. Kennzeichnend für Evangelikale sei, dass sie die Bibel wörtlich nehmen, den Missionsgedanken betonen sowie eine „Bekehrung zu Jesus Christus als persönlichem Erlöser“ verlangen.

Der Senat schreibt nicht darüber, dass Evangelikale Homosexualität und Schwangerschaftsabbruch ablehnen, an strikten Geschlechterrollen und -identitäten festhalten. Nachzulesen ist dies auf der Homepage der Nachrichtenagentur Idea. Diese ist laut Selbstbeschreibung „theologisch konservativ und arbeitet auf der Grundlage der Glaubensbasis der Deutschen Evangelischen Allianz“.

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6 Kommentare

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  • Warum lassen sich die Eltern denn nicht interviewen dazu? Versteh ich nicht ganz, wenn die diese Meinung schon für kritisch halten? Oder warum sind deren Kinder überhaupt auf so einer Schule? Leider sind meine Kinder auch auf so einer Schule, was meiner Frau zuzuschreiben ist (komplizierte Umstände), aber ich wüsste nicht was dagegen spricht sich darüber zu äussern?! Ausser die besagten Eltern sind selbst Mitglieder dieser Gruppierungen. Diese Schulen stehen in der Regel in einem engen Verhältnis zu einer örtlichen Freikirche, aus welcher diese Schulen überhaupt erst ins leben gerufen wird. Wenn die Eltern dorthin Kontakt haben, würde das natürlich erklären warum sie keine Äusserungen machen wollen.

  • Ich verstehe nicht, dass staatliche Organe eine ausschliesslich um ein fundamentales Christentum orientierte Schulausbildung schützen und womöglich auch fördern.



    Sind da Seilschaften am Werk?

    Wir haben einen säkularisierten Staat, Religion ist Privatsache. Dass überhaupt Religion gelehrt wird ist schon grenzwertig und wenn, sollte das völlig wertfrei und universal stattfinden.

  • Es gibt ein Trennungsgebot von saat und Kirche!

    Mithin hat "Beten" (zu was oder wem auch immer) in Schulen nichts verloren - einerlei von wem sie betrieben werden!

  • Ob da Intelligent Design gelehrt wird, halte ich für eher zweitrangig -- das kann man im Nachhinein alles umlernen, hat Darwin auch gekonnt, der wurde ja schließlich selbst mit "Intelligent Design" erzogen ;-) Viel schlimmer finde ich diesen Blutkult, der sich auch in dem Bild oben äußert -- "Jesus starb für mich" -- das kriegen schon die Kinder verpult, sie lernen "Ich bin von Geburt an sündhaft und ein Schwein, und genau genommen hab ich Jesus damit auf dem Gewissen". Es wird oft noch der strafende Gott gelehrt statt des liebenden Gottes. Das wäscht sich nicht so leicht wieder raus und kann echte Schäden verursachen.

  • Hier irrt die Autorin: Es gibt wissenschaftliche Nachweise, dass Fraun nach einem schwangerschaftsabbruch im statistischen Mittel deutlich länger und stärker leiden als z. B. nach einer Fehlgeburt. Z. B. hier:

    Anne Nordal Broen 1 , Torbjørn Moum, Anne Sejersted Bødtker, Oivind Ekeberg: The course of mental health after miscarriage and induced abortion: a longitudinal, five-year follow-up study. BMC Medicine 2005, 3:18

    Nachzulesen hier: www.ncbi.nlm.nih.g...ticles/PMC1343574/

    • Eiken Bruhn , Autorin des Artikels, Redakteurin
      @Martin Feichtinger:

      Vielen Dank für den Hinweis. Allerdings ist die von Ihnen angeführte Studie kein Beleg eines "Post-Abortion-Syndroms". Hier wird die psychische Gesundheit nach Schwangerschaftsabbruch und Fehlgeburt verglichen. Und sie bestätigt, was bereits bekannt ist: Nicht der Schwangerschaftsabbruch führt zu psychischen Belastungen, sondern die Begleitumstände und das gesellschaftliche Klima, das Scham und Schuldgefühle evoziert.

      Sicher haben Sie auch folgende Sätze zur Kenntnis genommen:

      "Other mental health outcomes, such as depression, trauma responses, quality of life and feelings, may likewise be poorer for women in the induced abortion group because of their mental health status before the abortion."

      "The elevated scores for guilt, shame and IES avoidance for women who had had an induced abortion may require more attention. Several recent studies have focused on the relationship between guilt, shame and PTSD [33-35]. One article states that "the affects of shame and guilt in particular can be very disabling, in so far as they ... affect the experience of the self and social behaviour, contribute to later psychopathology, effect help-seeking, and impede emotional processing of the event."

      "Women who had had an induced abortion had high scores for relief throughout the study period. This indicates that their situation shortly before the abortion was experienced as very difficult and stressful. Other studies confirm this observation of relief after an induced abortion [9,12,37]."