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European Chinese NewsDer Redakteur vom China-Imbiss

"China-Fan" nennt der chinesische Dissident You Xie seinen Schnellimbiss in Bamberg. Im Obergeschoss produziert er das einzige chinesischsprachige Nachrichtenmagazin Deutschlands.

"Ohne den Imbiss könnten wir das Magazin nicht finanzieren", sagt Xie Bild: dpa

Immer wieder dieses Lied. Warum dieses Lied? You Xie steht hinter der Theke seines kleinen Imbisses und ruft dem Bauarbeiter, der im Blaumann zur Tür hereinkommt, mit demonstrativer Fröhlichkeit zu: "Grüß Gott, Meister! Was solls sein? Baobao-Ente? Pikant, ja? Macht fünf Euro fünfzig." Xie schnappt sich ein Hackmesser, schneidet die Ente in wenigen Sekunden klein, streift die Stücke mit der Klinge auf den Reis und kippt die scharfe Sojasauce darüber. Dazu singt er dieses Lied, er wird es am heutigen Tag vor fast allen Kunden anstimmen: "Hui Lai Ba. Hui Lai Yo " Ein Lied, das fröhlich klingt, aber traurig ist. "Ein Heimwehlied", sagt Xie.

Chinesen in Deutschland

Rund 75.000 Chinesen leben in Deutschland. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist zudem die Zahl der chinesischen Studenten von 9.000 im Jahr 2001 auf rund 26.000 angestiegen. Die Auslandschinesen haben hier die Wahl zwischen mehreren chinesischsprachigen Medien: Neben dem Monatsmagazin European Chinese News sind die bekanntesten die Chinese European Post (chinesen.de) und die Chinesische Allgemeine Zeitung, deren Ursprünge auf die Demokratiebewegung von 1989 zurückgehen. Beliebt sind auch das von Deutschland aus betriebene Internet-Magazin Ouline.com und die umstrittene Chinesische Handelszeitung (Huashangbao), die kostenlos in Asia-Shops ausliegt und immer eine Seite für pornografische Geschichten freihält.

Das Bindeglied zu Xies Heimat befindet sich zwei Stockwerke über dem "China-Fan"-Imbiss in der Bamberger Altstadt. Über eine enge Treppe steigt der 49- Jährige hinauf und geht in einen kaum 20 Quadratmeter großen Raum. Weder Porzellan-Pandas, Horoskopkalender noch rote Lampenschirme neben Deutschlandfähnchen, wie sie im Imbiss zu sehen sind, gibt es hier oben.

Die Wände des Redaktionsraums sind weiß und kahl. Vier Tische, zwei Rechner, ein Telefon und ein Fax-Scan-Kopiergerät in einem - mehr Equipment hat Xie nicht, um die European Chinese News zu produzieren.

Xie ist Herausgeber des chinesischsprachigen Monatsmagazins, des wohl einzigen seiner Art in Deutschland, Xie meint sogar: in ganz Europa. Neben ihm hat das Magazin nur zwei feste Mitarbeiter: einen Layouter und eine Chefredakteurin, Xies Schwägerin Qian Zhang, 36. Die Auflage liegt bei 18.000 Exemplaren, 2.000 Leser haben das Heft abonniert, der Rest wird über Bahnhofskioske vertrieben.

"Ohne den Imbiss könnten wir das Magazin nicht finanzieren", sagt Xie. "So müssen eben alle 14 Stunden am Tag arbeiten. Mindestens." Xie ist nicht nur Herausgeber, er muss sich auch um Anzeigen für die European Chinese News kümmern, den Kontakt zu seinen Korrespondenten in Berlin, München, Wien, Peking und Taipeh pflegen. Und den ein oder anderen Text selber schreiben. "Viel, viel, viel Arbeit", sagt Xie.

In vier Tagen ist Redaktionsschluss für die September-Ausgabe. Es ist Nachmittag, Xie sitzt am Schreibtisch, der Geruch von Fett im weißen Hemd und der schwarzen Weste ist deutlich zu riechen. Bis eben hat Xie im Imbiss gestanden. Nun scrollt er sich am Bildschirm durch die 60 Magazin-Seiten, von denen noch einige leer sind. Er will heute noch die Frage-und-Antwort- Seiten fertig bekommen, einen festen Bestandteil des Hefts. Ein Herr Long aus Pforzheim schreibt ihm auf einem eng beschriebenen DIN-A5-Blatt und fragt, wie sein Enkelsohn am besten den Wehrdienst verweigern könne. Und eine Frau Li möchte wissen: "Wie lange ist die Kündigungsfrist am Arbeitsplatz?"

"Viele Chinesen leben hier, ohne die deutsche Sprache, die Kultur und das Recht zu kennen", sagt Xie. Ihnen will er ein Ratgeber sein, schließlich lebt er schon fast 20 Jahre in Deutschland. 1988 kam Xie, der von der südchinesischen Tropeninsel Hainan stammt, zusammen mit seiner Frau Shenhua Zhang, 49, nach Bamberg. Sie sprachen beide schon Deutsch, hatten in China als Übersetzer für Volkswagen und AEG gearbeitet. In Bamberg hat Xie dann sein Diplom in Germanistik mit Schwerpunkt Journalismus erworben. Der Name seiner Abschlussarbeit: "Die Pressepolitik der KP Chinas".

Als im Juni 1989 in Peking die Panzer rollten, solidarisierte sich Xie mit den unterdrückten Studenten, engagierte sich in einem Verein von Auslandschinesen, publizierte kritische Texte in Hongkong und den USA und schrieb Briefe an deutsche Politiker. Seitdem kann Xie nicht mehr zurück nach Hause; er bekomme keine Einreisegenehmigung, sagt er, sei zur Persona non grata geworden. Vielleicht hat er auch einfach nur Angst vor Repressionen, alle Details bekommt man nicht aus ihm heraus.

Xie ist bis heute politisch geblieben, man kann es an seinem Magazin ablesen, das seit acht Jahren monatlich erscheint. In der Juli-Ausgabe dieses Jahres findet sich ein Text, in dem Xie auslotet, was den Journalismus und das Angeln verbindet. "In Deutschland gibt es mehr Vorschriften fürs Angeln als fürs Zeitungmachen", sagt Xie. In China sei das genau umgekehrt. Und dann zitiert Xie eine Journalismus-Weisheit des früheren RTL-Chefs Helmut Thoma: "Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler", sagt er. "In China aber bestimmt die Regierung, was dem Fisch zu schmecken hat."

Für Herbst plant Xie einen Schwerpunkt zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking, Zusammen mit seinen Korrespondenten möchte er analysieren, ob die Spiele gut oder schlecht für China und die Chinesen sind. "Da möchte ich natürlich nicht die offiziellen Propagandalügen verbreiten", sagt Xie. Er fragt: Was ist mit den Menschenrechten? Was wird aus den einfachen Leuten, die für die Spiele umgesiedelt werden? Was ist mit der Korruption?

Doch das Hauptziel der European Chinese News ist nicht die Kritik am kommunistischen Regime. "Wenn ich zu kritisch bin, ist es schwierig, Abonnenten und Anzeigen zu bekommen", sagt Xie. Was seine Leser - hauptsächlich Chinesen und Taiwanesen in Deutschland - am meisten interessiert, so Xie, sind praktische Tipps fürs Alltagsleben. Und Unterhaltung. Dazu Business-News. Das ist die Mischung, die er ihnen liefert, schließlich sind sie die Fische, er nur der Angler.

Und so übersetzt Xie europäische Urheberrechtsbestimmungen und deutsches Ausländerrecht ins Chinesische, lässt seine Korrespondenten beschreiben, wie chinesische Reisegruppen in Europa abgezockt werden, schildert den Alltag von Chinesen in Paris, hebt auch mal die ein oder andere Meldung der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua ins Blatt, fasst eine Geschichte auf Spiegel Online auf Chinesisch zusammen oder schreibt Witze auf, wie diesen:

Frau: "Ich möchte ein Bild eines großen Komponisten neben dem Klavier aufhängen. Wen soll ich nehmen?"

Mann: "Beethoven."

Frau: "Warum Beethoven?"

Mann: "Der war taub."

Chinesen fänden diesen Witz urkomisch, sagt Xie, denn viele Neureiche kauften sich zurzeit ein Klavier - zum Angeben, ohne einen Ton spielen zu können. Und dann lacht Xie ein Lachen, das kein bisschen aufgesetzt wirkt.

Obwohl der Redaktionsschluss naht, muss Xie heute auch am Abend im Imbiss arbeiten. Der Koch hat Urlaub, Xies Frau muss bei einer Kunstveranstaltung in Bamberg dolmetschen.

Xie geht die steilen Treppen zurück nach unten. Und wie beiläufig erwähnt er seinen großen Traum: in China eine eigene Tageszeitung aufzubauen - "mit Millionenauflage", sagt er. "Aber unter Zensur eine Zeitung zu machen - das würde mich umbringen."

Xie krempelt die Ärmel seines Hemds hoch, wäscht sich die Hände und stellt sich hinter die Theke des Imbisses. Eine Studentin betritt den Laden - und sofort setzt Xie wieder sein demonstratives Lächeln auf. Das Ich-mach-euch-den-fröhlichen-Chinesen-Lächeln. "Grüß Gott, bitte schön. Einmal gebratene Nudeln? Vegetarisch, ja? Zum Mitnehmen? Macht zwei Euro."

Und während Xie Nudeln und Gemüse in eine weiße Pappschachtel schaufelt, singt er wieder dieses Lied. Das Lied das fröhlich klingt, aber traurig ist. "Hui Lai Ba. Hui Lai Yo." - "Zurückkehren. Heimkommen."

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