Europaküche In Georgien lieben sie die EU. Und Chatschapuri, das pizzaartige Nationalgericht. Höchste Zeit, beide auf einem Teller zu vereinigen: Zwölf Sterne Deluxe
Von Philipp Maußhardt (Text) und Juliane Pieper (Illustration)
Gut, dass man Europaflaggen nicht grillen kann. Sonst hingen in Georgien nicht mehr so viele blaue Fähnchen an allen Straßen und öffentlichen Gebäuden. Sie grillen nämlich alles in Georgien: Fleisch, Gemüse, Innereien. Nur eben keine Europaflaggen. Die hängen sie auf an allem, was wie ein Fahnenmast aussieht.
Ganz Georgien ist eine einzige Europaflagge. Die Georgier wären so gerne mit dabei und sind doch nur „östliche Partner“ der EU. Sie müssen aber wohl noch viele Jahre ihre Fähnchen schwingen, ehe man sie wirklich hereinlässt. Das ist schade. Denn in einem Punkt hat Georgien die EU-Richtlinien klar erfüllt: Beim Essen und Trinken liegen sie weit über dem Durchschnittsniveau der 28 Mitgliedsstaaten.
In einer ruhigen Wohnstraße oberhalb der Altstadt von Tiflis fand ich kürzlich ein Restaurant mit dem programmatischen Namen: „Rainers European Restaurant.“ Ich trat ein. Rainer, sagte mir die Bedienung, sei der Besitzer des Restaurants und leider gerade in Deutschland.
Die Speisekarte machte mich glücklich. Sie war vor allem bilateral schwäbisch-georgisch mit einer Reihe interessant klingender Fusion-Gerichten. Ich bestellte „Maultaschen mit Kartoffelsalat“. Ich würde überall auf der Welt Maultaschen mit Kartoffelsalat bestellen, nur finde ich das Gericht in den meisten Ländern nicht auf der Karte.
Von den georgischen Gästen um mich herum aß niemand Maultaschen. In Georgien haben sie ihre eigenen gefüllten Teigtaschen, nennen sie Chinkali und behaupten, die seien die besten Teigtaschen der Welt. Auf einigen Tellern lagen aber auch dampfende Brotfladen, das Nationalgericht des Landes. Chatschapuri ist die kaukasische Antwort auf die Pizza. Nur eben viel schwerer auszusprechen, weshalb sie auch außerhalb Georgiens niemand kennt. Bis man den Namen über die Lippen bringt, ist die Pizza im Zweifel schon fertig.
„Rainers European Restaurant“ ist gleichzeitig die Redaktion der deutschsprachigen Kaukasischen Post. In der dünnen Zeitung las ich, während ich auf meine Maultaschen wartete, dass vor genau 200 Jahren Tausende meiner Landsleute (Schwaben) nach Georgien auswanderten, weil es daheim zu wenig Maultaschen gab. 1816 und 1817 waren in Baden und Württemberg schreckliche Hungerjahre. Die schwäbischen Wirtschaftsflüchtlinge gründeten neue Siedlungen im Kaukasus und bauten Wein an. Heute verfallen die alten Häuser, die Nachkommen wurden unter Stalin nach Kasachstan deportiert. Die Überlebenden blieben dort oder zogen zurück nach Deutschland.
Während ich noch darüber nachdachte, wie die Schwaben damals ohne Laugenweckle überleben konnten und dass Chatschapuri eigentlich fast Schwäbisch klingt („dir dur i mit deim Tschatschapuri!“), kamen auch schon die Maultaschen mit Kartoffelsalat. Und ich muss sagen: Reschpekt, Rainer! Besser als in Stuttgart. Die Füllung hatte einen wunderbaren Hauch von frischem Koriander, das Lieblingsgewürz der Georgier. In Stuttgart hält man Koriander wahrscheinlich für einen südostasiatischen Volksstamm. Jedenfalls wird selten bis nie damit gekocht.
Zutaten (für 4 Personen):
500 g Mehl
40 g frische Hefe oder 25 g Trockenhefe
1,5 Tassen lauwarmes Wasser
25 g weiche Butter
500 g Quark
200 g Blauschimmelkäse
4 große Birnen
Zubereitung: Mehl, Hefe, Wasser, Butter und eine Prise Salz zu einem Teig kneten. Diesen abdecken und eine Stunde an einem warmen Ort ruhen lassen. Daraus sechs Kugeln formen und sie weitere 20 Minuten gehen lassen, dann zu 1 cm dicken Kreisen ausrollen. Diese mit Quark belegen und darauf den zerbröselten Käse streuen. Die Birnen schälen, längs halbieren, Gehäuse entfernen und in Scheiben schneiden. Dann daraus mit einer Backform 6 mal 12 kleine Sterne ausstechen und im Kreis auf dem Käse anordnen. Zwei Seiten der Teigfladen etwas hochklappen und die Enden fest zusammendrücken, so dass die Form eines Schiffchens entsteht. Backofen vorheizen und auf einem gefetteten Blech die Europa-Chatschapuri 20 Minuten bei 200 Grad backen.
Ich bestellte anschließend noch ein „Deutsches Chatschapuri“. Rainer hat es auf der Speisekarte so genannt, weil sich das Nationalgericht bestens eignet, mit entsprechenden Beilagen in jede Landesküche integriert zu werden. Rainer hatte in die germanische Variante des Chatschapuri Quark, Kümmel und Zwiebel eingebaut. Eingebaut ist der richtige Begriff, denn anders als bei der Pizza sind die Zutaten in einer Art Tasche eingebacken.
Dazu trank ich so guten georgischen Rotwein, dass mir nach fünf Gläsern eine europäische Variante des Chatschapuri einfiel. Mit Blauschimmelkäse und zwölf zu Sternen ausgestochenen Birnenstückchen.
Nächste Woche macht die Genussseite Pause. In der Woche darauf geht es um einen Klassiker der Küchenliteratur: das „Bayerische Kochbuch“.
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