Europäischer Polizeikongress: Der "polizeilich-industrielle Komplex"
Biometrie und Datenverarbeitung sind die großen Themen des Europäischen Polizeikongresses in Berlin. Kritikern arbeiten Polizei und Industrie hier zu eng zusammen.
BERLIN taz Er hat einen Computer gezeigt, mit dem man Flüchtlinge anhand ihres Herzschlages in Containern aufspüren kann. Er hat darüber gesprochen, dass die Polizei immer mehr Informationen braucht und Funkgeräte, die abhörsicher sind. "Wir haben die Lösungen für Ihre Probleme entwickelt", sagt der grauhaarige Herr in das Rund seiner Zuschauer. Dann lächelt er, aber das müsse "natürlich vom Staat bezahlt werden".
Ewald Angeli vom Elektronikkonzern Panasonic ist einer von etwa 500 Firmenvertretern, die auf dem 11. Europäischen Polizeikongress Polizisten, Staatssekretären und Ministern erklären, wie die Welt mit ihren neuesten Erfindungen sicherer zu machen sei. Hier erklärt beispielsweise Ralf Hinkel, dass 90 Prozent aller Überwachungskameras nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik seien. Der Mann ist Geschäftsführer von Mobotix, einer Firma, die Kameras herstellt und verkauft.
Für Bürgerrechtler hat der Polizeikongress in Berlin einen zweifelhaften Ruf. Das von der Zeitschrift Behörden-Spiegel veranstaltete Treffen sei das Vorzeichen eines sich entwickelnden "polizeilich-industriellen Komplexes", glaubt Heiner Busch vom Komitee für Grundrechte und Demokratie. Dort finde eine unzulässige Vermischung von Sicherheitsindustrie und Polizei statt. "Wer da wem die Bedürfnisse diktiert, ist keineswegs klar."
Blaue Blitze zucken, dazwischen ertönt ein hohes Fiepen. An einem der vielen Stände hat die Firma Federal Signals alles an Polizeileuchten aufgebaut, was sie zu bieten hat. Über zwei Etagen ziehen sich die Verkaufsstände von Firmen wie dem Europäischen Rüstungskonzern EADS bis hin zu Giesecke und Devrient, einem der großen Hersteller von elektronischen Pässen.
Dass die Industrie ihre Produkte anpreist, stört Kongress-Kritiker wie Busch gar nicht so sehr. Sie fürchten aber, dass die staatlichen Behörden neue Überwachungstechnik nicht etwa deswegen einkaufen, weil sie diese brauchen, sondern weil ihnen die Industrie suggeriert, es wäre so. Außerdem bemängelt das Komitee für Grundrechte und Demokratie, dass ein großer Teil der Öffentlichkeit von den Diskussionen im Kongress ausgeschlossen ist - die Teilnahme kostet über 1.000 Euro. Abgeschottet in diesem exklusiven Zirkel würden Industrie und Behörden krasse Einschnitte in die Freiheitsrechte diskutieren.
Solche Vorwürfe sind für Thomas Meuter vom Veranstalter Behörden-Spiegel "aufs Schärfste" zurückzuweisen. "Die Polizei hat einfach einen großen Bedarf an neuer Technik", sagt Meuter, "der Markt für Innere Sicherheit boomt seit den Anschlägen vom 11. September 2001". Es werde kräftig investiert "in Datenverarbeitung, Luftüberwachung mit Drohnen und Biometrie-Anwendungen".
Doch die Vorträge mancher Gäste lassen ein wenig von dem aufblitzen, was Kongresskritiker Busch fürchtet. Der großen Saal des Berliner Congress Centers mit den futuristischen Ornamenten an den weißen Wänden und den vielen kreisrunden Lichtern an der hohen Kuppeldecke wirkt wie eine Mischung aus einer riesigen Moschee und dem Raumschiff Orion. Darin sitzen auf Plastikstühlen französische Gendarmen neben deutschen Internetexperten und lauschen einem Vortrag des hessischen Staatssekretärs Harald Lemke - unter anderem der Bevollmächtige für Informationstechnologie seines Landes und Vorsitzender des Instituts für Interdisziplinäre Studien zu Politik, Recht, Administration und Technologie (ISPRAT).
Lemke malt die Wichtigkeit des Internets aus - als einen Raum, "von dem wir 100prozentig abhängig sind". Er glaubt, dass die heimliche Durchsuchung von Privatcomputern "strategisch wichtiger ist als die Vorratsdatenspeicherung und die Telekommunikationsüberwachung zusammen". Er spricht von Terroristen und Kriminellen, welche mit Anschlägen auf sensible Bereiche einen zweiten 11. September auslösen könnten. Diese Übeltäter aufzuspüren sei "ein Dilemma, das nur gemeinsam mit der Wirtschaft zu lösen ist".
Denn leider entwickle sich die Technologie so schnell, dass "der politische Prozess länger dauert als der technische Fortschritt", sagt Lemke. Deswegen müsse man mit der Industrie schon derzeit "nicht etwa über die Technik von heute" sprechen, denn die sei schon längst überholt. Es brauche Gespräche über Lösungen für die Bedrohungen von Morgen. "Dieser Dialog ist wichtiger denn je", sagt Lemke, und dafür brauche man "Kongresse wie heute".
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