Europäischer Gerichtshof zu Hartz IV: Anspruch auch für EU-Ausländer
Der Generalanwalt plädiert in seinem Schlussantrag dafür, EU-Ausländern Hartz IV zu zahlen, wenn sie bereits in Deutschland gearbeitet haben. Und er fordert noch mehr.
LUXEMBURG afp | Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Melchior Wathelet fordert für arbeitsuchende EU-Ausländer in bestimmten Fällen den Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen ein. Falls ein EU-Ausländer mehr als drei Monate in Deutschland lebt und hier bereits gearbeitet hat, sollte ihm Hartz IV nicht automatisch verweigert werden, falls er dann arbeitslos wird, heißt es in den am Donnerstag in Luxemburg vorgetragenen Schlussanträgen von Wathelet. Der Gerichtshof übernimmt diese Anträge zumeist. Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.
Wathelet zufolge können EU-Ausländer von Hartz IV jedoch ausgeschlossen werden, wenn sie nach Deutschland kommen, um hier erst noch nach Arbeit zu suchen. Keinen Anspruch auf staatliche Sozialleistungen haben demnach auch jene, die in die Bundesrepublik einreisen, „ohne Arbeit suchen zu wollen“. Mitgliedsstaaten seien zu solch einem Ausschluss berechtigt, „um das finanzielle Gleichgewicht der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit zu erhalten“, hieß es zur Begründung.
Im Ausgangsverfahren soll der Gerichtshof entscheiden, ob der klagenden EU-Bürgerin N. Alimalovic Hartz IV verweigert werden darf. Die Frau war aus dem bosnischen Bürgerkrieg einst nach Deutschland geflohen, hatte dann einen Schweden geheiratet und so eine EU-Staatsbürgerschaft erhalten.
Nach der Trennung zog sie mit ihren drei Kindern zurück nach Deutschland und hatte in Kurzzeit-Jobs immer mal wieder Arbeit. Ab Herbst 2011 bekam sie dann Hartz-Leistungen. Doch die stoppte das Jobcenter in Berlin-Neukölln dann mit Verweis auf deutsches Recht, wonach Ausländer, die sich hier nur zur Arbeitssuche aufhalten, keinen Anspruch auf Hartz IV haben.
Hartz IV in erster Linie Sozialleistung
Wathelet zufolge ist Hartz IV zwar in erster Linie eine Sozialleistung. Es verstoße aber „gegen den Gleichheitsgrundsatz“, wenn ein EU-Ausländer automatisch davon ausgeschlossen wird, der zuvor weniger als ein Jahr gearbeitet hat und danach mehr als sechs Monate arbeitslos war. Die Betroffenen sollten in solchen Fällen weiter Hartz IV bekommen, wenn sie nachweisen können, dass sie in der Zeit der Arbeitslosigkeit „effektiv und tatsächlich“ Arbeit gesucht haben.
Der Generalanwalt plädiert aber über die Fragen des Bundessozialgerichts hinaus dafür, diesen EU-Bürgern auch unabhängig von ihrer Arbeitslosigkeit Sozialhilfe zu gewähren, wenn ihre Kinder hier nachweislich regelmäßig zur Schule gehen. Eltern und deren Kinder hätten in solchen Fällen ein eigenes von der Arbeitssuche unabhängiges Aufenthaltsrecht, denn das Unionsrecht verleihe „diesen Kindern ein Recht auf Zugang zur Ausbildung“ und damit auch zum Aufenthalt.
Für den Ausgangsfall der Mutter und ihrer zwei schulpflichtigen Kinder könnte dies laut Wathelet bedeuten, dass sie Anspruch auf Sozialhilfeleistungen haben. Die Ausschlussklausel im deutschen Sozialgesetzbuch gelte für diese Fälle nicht, weil sie sich ausschließlich auf arbeitsuchende EU-Ausländer bezieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was