Europäische Gelder bringen Neuköllner auf Trab

■ Ein EU-Projekt ermutigt seit letztem Jahr mit rund 1,8 Millionen Mark junge Leute zur Firmengründung in Neukölln. Zwischenbilanz: Bisher wurden 70 Arbeitsplätze geschaffen

Wer an die Europäische Union denkt, denkt an Brüssel. Wer denkt schon an Berlin, gar an Neukölln? Aber auch hier engagiert sich die oft gescholtene EU-Kommission. Mit Geld. Viel Geld. Der territoriale Beschäftigungspakt Neukölln, der gestern eine erste Zwischenbilanz zog, wurde seit seiner Gründung 1998 mit rund 1,8 Millionen Mark von der EU gefördert. Das sind etwa 17 Prozent der Kosten des Paktes, in dem sich verschiedene Partner zusammengeschlossen haben. Mit dieser lokalen Initiative soll die Wirtschafts- und Beschäftigungssituation verbessert werden – in einem Bezirk, in dem die Arbeitslosigkeit bei 23 Prozent liegt und 50.000 Menschen vom Sozialamt leben.

Die Inititive „Neue Gründerzeit“ des Paktes, die sich gestern vorstellte, versucht, dieser Situation entgegenzuwirken. Grundidee der „Gründerzeit“ ist es, junge Leute zu ermutigen, sich selbständig zu machen. Dabei agiert Gründerzeit auf verschiedenen Ebenen. Ein Neuköllner Gründerpreis, gesponsert mit Privatmitteln, wurde wurden ausgelobt, Workshops für Existenzgründer und Einzelberatungen durchgeführt. Darüber hinaus wurde eine Experten-Hotline eingerichtet. Hier können sich junge Existenzgründer informieren, wenn sie Probleme in Rechts-, Steuer- oder Buchhaltungsfragen haben sollten. Das wichtigste aber bleibt das Geld. Der Gründungs- und Wachstumsfonds stellt maximal 30.000 Mark pro Gründer zur Verfügung. Und zwar „sehr unbürokratisch“, wie der Geschäftsführer des Paktes, Reiner Aster, betonte.

Eine Einschätzung, die die anwesenden Gründer bestätigten. Zum Beispiel Kerstin Stier und Roland Urban, deren Unternehmen „tonwerk“ nun unter anderem Internet-Seiten für Firmen und Bands aus der Berliner Musikbranche gestaltet. „Ohne die Anschubfinanzierung hätten wir das nicht auf die Beine stellen können“, sagt Stier.

Auch Carola Strauß war auf die Anschubfinanzierung durch die Gründerzeit angewiesen. Zweieinhalb Jahre war die gelernte Bankkauffrau arbeitslos, bevor sie sich mit ihrem Marktstand selbstständig machte, auf dem sie „Mode für Mollige“ verkauft. „Bei den Banken kriegt man ja nichts, wenn man keine Sicherheiten nachweisen kann.“ In spätestens fünf Jahren will die 32jährige einen eigenen Laden haben.

„Wir wollen nicht nur High-Tech-Firmen förden, sondern das lokal vorhandene Potential nutzen“, erläutert Aster die Förderpolitik. Gerade bei den Neuköllner Ausländern gäbe es großen Nachholbedarf. Ein postives Beispiel sei Ali-Kemal Gögce. Der 22jährige betreibt mit seiner Frau und seinem Bruder ein Geschäft für hochwertige Herrenoberbekleidung. Insgesamt wurden 27 Gründer gefördert, die etwa 70 Arbeitsplätze geschaffen haben. Bis zum Jahresende sollen es doppelt so viele Gründer sein. Richard Rother