Europäische Biennale für Gegenwartskunst: Das Gleißen im Tal
Schluss mit dem Brauchtums-Image: Bozen hat sich ein neues Museum und eine etwas zu dicht gepackte Tour de Force in Gegenwartskunst verordnet. Bald dockt hier die Manifesta an.
Bozen hat sich ein neues Museum für Gegenwartskunst geleistet, das so viele Zwecke erfüllen soll, wie es nur große Idealisten oder große Narren erwarten können. Es soll die Hauptstadt der Autonomen Region Südtirol in die erste Liga der Kulturstädte katapultieren. Es soll ein Vorbild für die gesamte Region werden, die sich in wenigen Wochen ebenfalls in den zeitgenössischen Trubel stürzt, wenn sie die Manifesta, die europäische Biennale für Gegenwartskunst, ausrichtet. Es soll schließlich mit dem alten Brauchtums-Image von Südtirol brechen und die alten Spannungen zwischen dem deutschsprachigen und dem italienischsprachigen Teilen der Bevölkerung gegen null führen. Denn auf das schicke neue "Museion", wie es salomonisch statt Museum oder Museo heißt, sollen alle stolz sein.
Leider ist ein kleiner grüner Frosch der Utopie ein wenig dazwischengekommen. Er war im Museion zu bewundern, von seinem Schöpfer Martin Kippenberger gemein an ein Kreuz genagelt, dafür mit einem Bier in der Hand getröstet. Im katholischen Südtirol reicht das immer noch aus für einen Skandal. Die Landesregierung, die den 30-Millionen-Neubau des privaten Museumsvereins unterstützt hat und 3 Millionen Euro für neue Ankäufe spendierte, protestierte gegen die "Respekt- und Geschmacklosigkeit". Der Frosch wurde aus der Ausstellung entfernt. Jetzt kann man in dem schlicht-eleganten Quaderbau eines Berliner Architekturbüros, der aus den Flussauen in der Altstadt hervorragt, wieder ungehindert an der selbst gestellten Exzellenzinitiative feilen.
Doch eine weitere Klippe zeichnet sich ab, nämlich in der schieren Menge des Angebots. Rund 200 Künstler sind derzeit im Museion zu sehen, und zwar keine Witzbolde wie Kippenberger, sondern weitgehend strenge Modernisten und Konzeptkünstler. Dazu kommen während der Manifesta noch einmal so viele Künstler, zusammen rund 400! Zum Vergleich: Die documenta 12 und die 52. Venedig-Biennale wiesen 2007 zusammen 240 Künstler auf.
Ein unfreiwilliges Symbol für diese Tour de Force, die sich Südtirol in Sachen Gegenwartskunst in diesem Sommer auferlegt hat, findet sich in der Eingangshalle des Museions. Es ist ein Modell von Tatlins berühmtem spiralförmigem Turm für die Dritte Internationale. An sich ist der Turm wunderschön, eine kostbare Leihgabe des Centre Pompidou in Paris. Aber hier steht er merkwürdig unbehaglich in der Mitte des Saals. Seine Spitze stößt fast an die Decke, nur wenige Meter rechts befindet sich die Kassentheke, schräg hinter ihm geht es zu den Treppen und Garderoben. Der Turm scheint daher nicht nur den Kopf zu ducken, sondern im Strom der Ankömmlinge mit Rucksäcken und Kinderwagen auch den Bauch einzuziehen. Um seine utopische Dynamik und seinen himmelstürmende Ehrgeiz ist er betrogen, aber auch der Museumsraum wirkt kleiner und unzureichender, als er ist.
Denn eigentlich hat das Büro Krüger Schubert Vandreike, das den internationalen Wettbewerb mit 285 Teilnehmern für sich entschied, einen großzügigen Bau geschaffen, Chipperfields neuem Galerienhaus für Heiner Bastian an der Berliner Museumsinsel nicht unähnlich. In Bozen erstrecken sich vier schlichte hohe Geschosse über einem rechteckigen Grundriss. Die Außenwände aus Glas sind mit Lamellen zu regulieren und können wie eine Leinwand bespielt werden. Zur Eröffnung war eine allerdings mäßige Videoprojektion von Anri Sala zu sehen. Von den umliegenden Bergen aus bildet das mit einer speziellen Aluminiumbeschichtung versehene Dach des Museions eine weithin gleißende "fünfte Fassade".
Architektur, die Zeichenhaftigkeit von Körpern und körperliche Beweglichkeit sind auch die wichtigsten Stichworte für die Ausstellung, mit der die Künstlerische Leiterin Corinne Diserens sich vorstellt. Aus der Menge der Eindrücke von 200 Positionen auf engem Raum bleibt haften, zu welchen erstaunlichen Bewegungen der Mensch fähig ist, den man sich doch immer aufrecht und vorwärts laufend vorstellt. Hier aber kann er in einer Installation von Lydia Clarke, die die verschiedenen Stadien von Ovulation und Befruchtung beschwört, herumkullern; er kann Michael Smith als Riesenbaby auf den New Yorker Straßen herumkriechen sehen und Peter Weibel wie einen Hund an der Leine von Valie Export. Er kann Fotos von Oskar Schlemmers "Triadischem Ballett" mit den klappmesserartigen Körperbewegungen in einer Performance von Bruce Nauman vergleichen und die Konzepte von W. E. Meyerholds "Biodynamik" mit den zeitgenössischen Choreografien von Jérôme Bel und Xavier Le Roy.
Ähnlich breit ist die architekturgeschichtliche Spanne: Von den Modellen Tatlins und Kasimir Malewitschs geht es zu Constants Entwürfen für die Weltstadt "New Babylon" und Gordon Matta-Clarks Studien zu Häuserdächern, und weiter zu den spielerischen Plexiglasräumen von Carsten Höller und Spielplatzfotos von Peter Friedl. In Michelangelo Pistolettos Projekt "Jahr Eins", von 1981 stehen die Schauspieler wie unbewegliche Pfeiler unter dachartigen Basteleien auf ihren Köpfen - so fließen die Generalthemen der Ausstellung ineinander. Die Konversation der Formen über ihre Entwicklung seit dem 20. Jahrhundert bleibt aber lose und um ihrer selbst willen. Diserens Händchen für besondere Arbeiten sorgt immerhin dafür, dass man den roten Faden nicht allzu sehr sucht, sondern sich immer wieder gern in den Einzelstücken verliert. Da sind die absurden Videos des polnischen Theaterregisseurs Tadeusz Kantor ebenso zu nennen wie die zarten Skulpturen Luciano Fabro und Emilio Prini, zweier weniger bekannter italienischer Künstler.
Eine minimalistischen Würfelskulptur von Hans Haacke ist eine von mehreren Leihgaben der Kollektion von Egidio Marzona aus dem Hamburger Bahnhof. Der Sammler hatte, wie nebenbei zu erfahren war, offenbar früher vorgehabt, seine Bestände nach Bozen und nicht nach Berlin zu geben. Zur Museions-Vernissage am 24. Mai kam er ebenso angereist wie der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit.
Die nächste Karawane wird sich in wenigen Wochen zur Eröffnung der Manifesta in Marsch setzen. Die Kuratoren Adam Budak (Krakau/Graz), Amselm Franke (Antwerpen/Berlin), Hila Peleg (Berlin) und Raqs Media Collective (Indien) inszenieren Kunst in vier Städten entlang der Transitstrecke von den Alpen bis nach Verona. Die erste Station ist die riesige habsburgische Verteidigungsanlage Franzensfeste hinter dem Brenner. Es folgt eine frühere Aluminiumschmelze im Industriegebiet von Bozen, Trients Postzentrale aus den 1930er-Jahren und schließlich in Rovereto zwei weitere stillgelegte Fabriken für Tabak und Kakao. Auch diese Künstlerliste ist sehr interdisziplinär mit zahlreichen Autoren, Regisseuren und Choreografen wie Thomas Meinecke, Harun Farocki und Meg Stuart. Den einen oder anderen Frosch werden die Manifesta-Künstler sicher noch mitbringen. Mal sehen, wie das den Südtirolern schmeckt.
Bis 21. September, Museion Bozen: www.museion.it
Manifesta, 19. 7. bis 2. 11. in Franzensfeste, Bozen, Trient und Rovereto: www.manifesta7.it,
Paralellveranstaltungen: www.parallelevents.manifesta7.it
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