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Europa ist ein Mosaik

■ Völlige Zweisprachigkeit gibt es nicht: Umberto Eco über Übersetzungen, Übersetzer und Übersetzte

taz: Herr Eco, was interessiert Sie am Problem der Übersetzung?

Umberto Eco: Verschiedenes. Erstens: Ich bin Semiotiker. Wenn es heute einen Aufschwung des Interesses für Übersetzungen gibt, kommt das vor allem daher, daß man die letzten vierzig Jahre mehr als vorher über das Problem der Sprache nachgedacht hat. Zweitens: Ich bin Autor, und zwar einer jener Autoren, die mit ihrem Übersetzer zusammenarbeiten. Drittens: Mein neuestes Buch ist eine Untersuchung zum Thema der „vollkommenen Sprache“. Diese Untersuchung zeigt, daß die vollkommene Sprache eine Utopie der europäischen Kultur ist; die Wirklichkeit der menschlichen Kommunikation beruht allerdings auf der Vielsprachigkeit und damit auf der Notwendigkeit der Übersetzung. Die Übersetzung ist auch ein politisches Problem. Heute wimmelt es in Europa von wiederentdeckten alten Sprachen, und so wird Europa mehr und mehr ein Sprachmosaik. Das Problem der Übersetzung hat natürlich auch wirtschaftliche Aspekte: Wenn es auf dem Boulevard Saint-Michel in Paris nur kleine Buchhandlungen gäbe, würde man in Frankreich nur französische Autoren verlegen. Da es aber den Medienkonzern Fnac gibt, muß man übersetzen, schon aus rein wirtschaftlichen Gründen.

Mit welchen Übersetzern arbeiten Sie zusammen?

Natürlich arbeite ich mit jenen Übersetzern, die in Sprachen übersetzen, die ich selber spreche und deshalb kontrollieren kann: Französisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch.

Manchmal, im Falle kleiner, seltener Sprachen ist es sehr schwierig, Übersetzer zu finden. So werden beispielsweise in Italien die Bücher von Ismail Kadaré nicht aus der Originalsprache, dem Albanischen, übersetzt, sondern aus dem Französischen. Was halten Sie davon?

Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Großteil der russischen Literatur aus dem Französischen ins Italienische übersetzt. Aus diesem Grunde schrieb man alle Eigennamen, die mit einem „e“ endeten, in der französischen Transkription, wie etwa Lenine. Das waren aller Wahrscheinlichkeit nach entsetzliche Übersetzungen, von alten Damen mit Doppelnamen angefertigt, die Französisch konnten, weil sie der besseren Gesellschaft angehörten. Und trotzdem, wir haben einiges von Dostojewski und Tolstoi durch diese Übersetzungen verstanden. Später gab es dann in Italien die philologischen Übersetzungen mit kyrillischen Namen, die man nicht mehr aussprechen konnte.

Hat es Sie nie gereizt, in einer anderen Sprache als dem Italienischen zu schreiben?

Ich schreibe häufig direkt in Englisch, wenn es sich um Beiträge für Konferenzen, um theoretische Essays handelt. Literarisch schreiben in einer anderen Sprache – es gibt nur ganz wenige Menschen auf der Welt, die das können oder konnten, wie beispielsweise Ionesco oder Beckett. Ich glaube nicht an die völlige Zweisprachigkeit. Als Vater von zweisprachig aufgewachsenen Söhnen – meine Frau ist Deutsche – erfahre ich, daß es da Grenzen gibt. Man saugt zwar die Sprache eines Landes auf, also gibt es Italiener, die ausgezeichnet Deutsch sprechen, aber wenn einer meiner Söhne eines Tages Dichter werden sollte, wird er mit aller Wahrscheinlichkeit ein italienischer Dichter. Es gibt aber ab und zu Fälle in der experimentellen Literatur, bei denen durch das Hindernis der fremden Sprache etwas Interessantes entstehen kann. Das passiert aber vielleicht eher per Zufall als durch eine wirkliche Suche.

Aber waren die von Ihnen genannten Beispiele, Ionesco und Beckett, nicht auch deshalb solche Virtuosen, weil beide in Frankreich gelebt haben und sich deshalb auch lange im Französischen üben konnten?

Ja, aber wenn ich totale Zweisprachigkeit verneine, will ich damit sagen, daß man in einer Fremdsprache nie die Bedeutungen findet wie in der Sprache, in der man die ersten zwei Jahre seines Lebens aufgewachsen ist. Das ist der Punkt. Es gibt natürlich auch kuriose Ausnahmen. Ich hatte eine Freundin, die in Italien geboren und mit sechs Jahren in Frankreich zur Schule gegangen ist. Sie konnte nur im Französischen rechnen.

Wollten Sie selber nie Deutsch lernen, wo Sie doch eine deutsche Frau geheiratet haben?

Nein, ich verstehe zwar ein wenig Deutsch, aber sprechen kann ich es nicht. Das hat aber wahrscheinlich Gründe in meiner philosophischen Ausbildung. Die deutsche Philosophie war damals dominant. Meine Generation war die erste, die sich gegen den deutschen Idealismus wandte, um die angelsächsische und französische Philosophie zu studieren. So richtete sich unser Interesse natürlich auch auf diese Sprachen. Deutsch war die Fachsprache unserer Professoren, deshalb weigerten wir uns, sie zu lernen.

Hilft Ihre Frau Ihnen, die deutschen Übersetzungen Ihrer Bücher zu beurteilen?

Ja, sie hilft mir dabei. Mein deutscher Übersetzer, Burkhart Kroeber, ist jetzt aber bereits fast gefährlich für mich geworden. Wenn er an der Übersetzung eines neuen Buches von mir arbeitet, sagt er: „Einen Satz wie diesen hast du vor dreißig Jahren schon einmal geschrieben, nur ein bißchen anders, erinnerst du dich?“ Das heißt, daß er mich fast besser kennt als ich mich selber.

Ist ein Film nach einem Buch nicht auch eine Übersetzung?

Jede Übersetzung ist ein Akt der Interpretation, aber nicht jeder Akt der Interpretation ist unbedingt auch eine Übersetzung. Ich glaube, daß der Film, die Umsetzung von einem Medium ins andere, Interpretation ist, eher sogar noch eine Paraphrase. Der Film „Der Name der Rose“ war eine freie Interpretation, eine Konstruktion, die nicht nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden kann wie eine Übersetzung.

Eine letzte Frage noch: Haben sie einmal eine Übersetzung abgelehnt?

Mehr als abgelehnt – ich habe mit den Übersetzern diskutiert, habe mich an ihre Fersen geheftet. Nein, Spaß beiseite, das ist früher passiert. Jetzt besteht eine Art von Übersetzergruppe, alles Übersetzer, die mich gut kennen, und die ausländischen Verlage arbeiten nun meistens mit diesen Leuten. Anfangs war das nicht so. Da wählten Verleger Übersetzer aus, besonders bei meinen Essays, die die Fragestellungen nicht kannten. So kam es vor, daß ich in einer Sprache das spezifische Vokabular besser kannte als der Übersetzer, dessen Muttersprache es ja war. Das war dann oft harte Arbeit.

Interview und Übersetzung aus dem Französischen: Kurt Salchli

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