: Europa, einig Freudenhaus
Nach einigem Vorspiel entstand 1975 die Hurenbewegung ■ Von Laura Méritt
Als die Metzgertochter Marie Gouze alias Olympe de Gouges 1791 die legendäre „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ schrieb und diese in ganz Paris plakatieren ließ, weil Frauen in der Nationalversammlung das Wort verboten war, tat sie dies auch im Namen der Hure. „So eine“, die als „femme galante et de lettres“ in den höchsten Kreisen verkehrte, konnte diese feministische Aktion finanzieren und durchführen; zwei Jahre später wurde sie wegen Verletzung der Volkssouveränität hingerichtet.
Kurz zuvor hatte uns Marie ihre exhibitionistische Seite gezeigt, indem sie barbusig die Revolution verkörperte, die ja bekanntlich auf der Straße gemacht wird. In Frankreich war es schließlich auch, wo nach einigen europäischen Vorspielen – Gewerkschaftsgründung in Schweden, die Partei PPP in Italien, das Syndikat der Liebesarbeiterinnen in Spanien – 1975 im „Jahr der Frau“ die Hurenbewegung entstand.
Während in Island die Hausfrauen einen Tag lang generalverweigerten, streikten in Frankreich „les belles du jour et de nuit“ wegen zunehmender Gewalt an Prostituierten und gegen Bußgelder, die sie abdrücken mußten. In Lyon besetzten sie die Kirche St. Nizier, anschließend rollte der Streik über weitere Kirchen Frankreichs und sorgte für viel öffentliche und moralische Sympathie, die im übrigen auch von Pfaffen kam. Die frisch eingesetzte Frauenministerin Mme Giroud lehnte eine Interruptio mit der Begründung ab, dies sei Männersache, und verwies auf das Pariser Innenministerium. Hintergrund für die Entstehung in den siebziger Jahren war die Frauen- und Lesbenbewegung, mit der die Huren immer wieder gemeinsame Ziele verfolgten.
Damals ging es in England, Italien, BRDeutschland, USA, Kanada und Australien um die immer noch aktuelle Kampagne „Lohn für Hausarbeit“, zu der sexuelle wie emotionale Arbeit zählt: „Prostituierte hängen lediglich ein Preisschild an Dienstleistungen, die man von allen Frauen ,aus Liebe‘ erwartet“, hieß es. In England arbeitete das „ECP“ (English Collective for Prostitutes) mit „Pussi-Plan“ (prostitute laws are nonsense) zusammen und brachte 1979 eine Abstimmung zur Abschaffung der Prostitutionsgesetze ins Unter(leib)haus mit dem bis dato größten Erfolg.
In den Achtzigern gründeten sich in aller Huren Länder weitere Selbsthilfegruppen, Vereine und Organisationen – trotz aller Sexismus-, PorNo-Debatten und leider auch wegen Aids. Aufklärung wurde immer wichtiger. 1985 fand der erste Welt-Hurenkongreß bei den Amsterdamen, 1986 der zweite in Brüssel statt. Der Kongreß in Bankfurt brachte 1991 europäische Sexarbeiterinnen, auch die frisch geöffneten ehemaligen Ostländerinnen, zum Erfahrungs- und Strategieaustausch zusammen. Beim Betrachten der nackten Tatsachen ließ sich enthüllen, daß Prostitution zwar meistens nicht verboten ist, es aber in allen Ländern jede Menge Gummiparagraphen gibt, die die Arbeitsbedingungen und Rechte der Huren einschränken, angefangen vom Verbot der Werbung über die Organisation bis zum „sittenwidrigen Geschäft“.
Sexarbeit als Dienstleistung ist öffentlichen Umfragen zufolge heute anerkannt, und der Volksmund spricht sich längst für eine soziale Absicherung etc. aus. Was die ReGierungen aber nicht daran hindert, weiter (bei)zuschlafen. Mann sieht keinen Handlungsbedarf, Prostitution zu legalisieren, da „ES eine sozial unwertige Tätigkeit ist“. Nur in den Nieder-Landen wird voraussichtlich ab 1996 Sexarbeit legalisiert, und eine Gewerkschaft „Prosex“ ermöglicht Huren bereits Versicherung und Rente, bislang einzigartig in den Ländern der Europäischen Union. In Holland gab es auch die ersten Freiergruppen, die sich öffentlich zu ihrem Treiben bekannten.
Umgekehrt scheint es in Zeiten des fortgeschrittenen Körperkapitals immer mehr Frauen zur Solidarisierung mit den Horizontalen zu treiben. In der Türkei kam es 1990 zu einer Demonstration der sogenannten anständigen Frauen mit den „Gefallenen“ wegen mehrfacher Vergewaltigung von Prostituierten. Schon 1985 war es in Holland zu einer Allianz von „Whores, Wives & Dykes (Huren, Frauen und Lesben) gekommen, „um die Trennung in schlechte, gute und perverse Frauen zu entschleiern und aufzuheben“.
Gastarbeiterinnen sind wir schließlich alle: Wir arbeiten an Gästen
Die Parole „Good girls go to heaven, bad girls go everywhere“ der Hurenorganisation „Roter Draht“ aus Amsterdam hat sich international für die Bewegung durchgesetzt. Nicht nur, daß die amerikanische „Bitch-and-Babe“- Bewegung auch in Europa Früchtchen zeitigt und Titten-Dominanz ein Be-Griff geworden ist.
Die Girlies von heute heften sich das US-Label der Verruchten und Polygamen, selbstbewußt Aktiven gerne an, so wie die „Damen“ nicht nur in der Schwulenbewegung schon immer mit ihren unanständigen Kolleginnen kokettierten. Der „Internationale Hurentag“, jährlich am 2. Juni begangen, wird zur Jubelparade von „so'nen“ und „so'nen“ – mit öffentichem Bekenntnischarakter: „Auch ich habe angeschafft!“
In Italien besorgte „Cicciolina“ öffentliche Befriedigung, indem sie 1987 für die Partito radicale ins Parlament zog und unter anderem für freie Liebe wie autonome Bordelle kämpfte. Gleichermaßen verteilten die Römerinnen Sexnoten für Politiker. Öffentliches Outing wird in den Neunzigern auch zunehmend von den Hurenorganisationen in Erwägung gezogen, sollten die Herren der Popolitik sich nicht langsam zum Schritt (ins richtige Milieu) bekennen und die entsprechenden Entkriminalisierungsmaßnahmen in die Wege leiten. „Europa grenzenlos vereint“ schreiben sie seit langem auf ihre Fahne. Wir ergänzen: „Und tabulos“.
In diesen Sinnen begrüßen wir schon längst unsere ausländischen Kolleginnen, nicht nur, damit Tapetenwechsel im Freudenhaus garantiert ist und verschiedene kulturelle Techniken und Positionen vertreten sind. Als „Intergirls“ hatten Sexpertinnen damit noch nie Probleme, denn auch in Frankreich wurde immer schon in der deutsch-deutschen Broilerstellung missioniert, in Italien streng englisch behandelt und im hintersten Lappland griechisch anal gefickt. Gastarbeiterinnen sind wir alle, wir arbeiten an Gästen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen