Europa driftet wirtschaftlich auseinander: Die Spalterkrise
Deutschland wächst. Aber nur weil es von den Niedrigzinsen profitiert. Spanien hingegen muss für neue Anleihen weiter hohe Zinsen zahlen.
BERLIN taz | Wie sehr die wirtschaftliche Entwicklung in Europa auseinanderdriftet, zeigte sich am Donnerstagvormittag bei zwei Ereignissen, die fast gleichzeitig stattfanden.
In Spanien versuchte die Regierung, neue Staatsanleihen im Umfang von 2,5 Milliarden Euro am Markt zu platzieren. Das gelang ihr am Ende, aber nur zu einem hohen Zinssatz von 5,7 Prozent. Das ist zwar etwas weniger als zuletzt befürchtet, aber immer noch deutlich mehr, als das Land verkraften kann, wenn es langfristig einen ausgeglichenen Haushalt erreichen will.
In Berlin präsentierten derweil die fünf großen Wirtschaftsforschungsinstitute ihr im Auftrag der Bundesregierung erstelltes Frühjahrsgutachten, das für Deutschland fast nur gute Nachrichten enthält. Das Wirtschaftswachstum steigt demnach von 0,9 Prozent in diesem auf 2 Prozent im nächsten Jahr, die Arbeitslosigkeit sinkt 2013 auf 6,2 Prozent, die Löhne steigen effektiv um 3 Prozent, die Neuverschuldung sinkt fast auf null.
„Die konjunkturellen Auftriebskräfte gewinnen in Deutschland die Oberhand“, fasste Kai Carstensen vom Ifo-Institut die Erwartungen der Gemeinschaftsprognose zusammen. Die europäische Schuldenkrise, die in anderen Eurostaaten für extreme Probleme sorgt, bleibt nach Ansicht der Wissenschaftler das größte Risiko für die Weltwirtschaft – doch für Deutschland wirkt sie sich positiv aus: Die extrem niedrigen Zinsen, mit denen die Europäische Zentralbank auf die Krise reagiert, „beflügeln die Konjunktur“, sagte Carstensen.
Zudem drängen verunsicherte Anleger mit ihrem Geld in den „sicheren Hafen“ Deutschland, so dass auch der Staat extrem geringe Zinsen für seine Schulden zahlt. Und der niedrige Eurokurs stärke die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen.
2,3 Prozent Inflation
Getrübt wird das positive Bild allein durch die Inflation, die bei 2,3 Prozent bleibt, sagte Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Und die von den niedrigen Zinsen ausgehende Gefahr von Spekulationsblasen, etwa bei Immobilien.
Während sich die mehrheitlich neoliberalen Forschungsinstitute einig sind, dass Deutschland seine Sparanstrengungen ausweiten und dabei auf höhere Steuern verzichten solle, sind sie bei der Eurokrise gespalten. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle und das Rheinisch-Westfälische Institut aus Essen plädieren dafür, dass die Europäische Zentralbank als „Käufer der letzten Instanz“ agiert, also Staatsanleihen in beliebiger Höhe aufkaufen kann, um Zinsanstiege zu unterbinden, die allein auf Spekulation beruhen.
IfW und Ifo-Institut halten dies für nicht sinnvoll, weil dadurch das deutsche Haftungsvolumen ausgeweitet und der Druck auf Krisenländer, den Spanien am Donnerstag spürte, reduziert würde.
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