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Europa, Spreewälderinnen Art

■ »Leben in Deutschland — die Sorben«, eine Veranstaltungsreihe im Literaturhaus

Im Literaturhaus findet bis einschließlich Sonntag eine Veranstaltungsreihe zur Kultur und Geschichte der Sorben statt, die wie die Veranstalterin, die Neue Gesellschaft für Literatur, im Begleitheft ausführt, »im Westteil Berlins weitgehend unbekannt« sind. Unterstützt von der Senatorin für kulturelle Angelegenheiten und vom Gesamtdeutschen Ministerium soll daher in einer Vortrags- und Lesereihe der Frage nachgegangen werden, inwiefern die Sorben, die »seit dem 7. Jahrhundert im südlichen Bereich der ehemaligen DDR leben« (!), durch den Wegfall der Mauer in unser Blickfeld rücken« — vorbeugend gegen deutschnationale Verblendung, werden sie im Literaturhaus gegenwärtig schon mal ins Blickfeld gerückt.

Für die Westberliner sind ihre neuen slawischsprachigen Nationsbrüder erst mal eine Kuriosität, was die zahlreich versammelten Zuhörer im Literaturhaus erklärt, worüber sich der referierende Historiker Dr. Peter Kunze besonders erfreut zeigt, da nicht mal in der Lausitz mit einem solchen Besucherzustrom zu sorbischen Themen zu rechnen ist. Womit das Stammgebiet der Sorben angegeben wäre: sie bewohnen das Gebiet der Ober- und Unterlausitz, sind Bürger Sachsens und Brandenburgs. Ihre Zahl beläuft sich nach neueren Hochschätzungen auf 60.000, die sich auf zwölf gemischt-nationale Kreise verteilen; 80 Prozent der Sorben sind Protestanten, 20 Prozent Katholiken. Das Sorbische hat sich, so Dr. Kunze, in den katholischen Dörfern besser erhalten; die protestantische Kirche, staatstragend, habe eher auf eine Eindeutschung der Sorben hingewirkt. Das Sorbische teilt sich in das Obersorbische, das dem Tschechischen verwandt ist, und das Niedersorbische, das dem Polnischen näher steht.

Was man von Herrn Dr. Kunze zur Geschichte der Sorben erfährt: daß ihre zwanzig Stämme sich im Zuge der Völkerwanderung im Gebiet zwischen Saale und Oder niedergelassen haben und ihr Name von einem der mächtigsten Stämme, den Surbi, herrührt. Es hat was mit der »Steigerung der Produktivkräfte« und den »werktätigen Schichten« zu tun, daß in ihrem Siedlungsgebiet im 13.Jahrhundert dreißig Städte entstehen, darunter Cottbus und Bautzen. Die Sorben hatten sich im Verlauf ihrer ganzen Geschichte, wie zu vermuten, gegen Germanisierungswellen zu wehren: zunächst gegen die Vereinnahmung durch Franken und Sachsen, später gegen verschärfte Assimilationsbestrebungen und Unterdrückungsmaßnahmen im Heiligen Römischen Reich. Am schärfsten wurden sie in der Zeit des Nationalsozialismus unterdrückt: Sorbisch wurde verboten, Ortsnamen eingedeutscht. Obwohl die DDR die rechtliche Gleichberechtigung der Sorben in der Verfassung verankerte und ein Institut für sorbische Volksforschung ebenso gegründet werden konnte wie ein sorbischer Rundfunk, ein Volkstheater und ein eigener Verlag, unterwarf sich die Interessenvertretung der Sorben, die Domowina, ideologisch zunehmend der SED. Durch die verstärkte Industrialisierung der Lausitz, durch den Braunkohlentagebau wurden zahlreiche Dörfer abgetragen und der sorbische Lebenszusammenhang auf diese Weise indirekt zunehmend zerstört. Seit 1989 ist die Interessenvertretung der Sorben wieder erstarkt: sie fordert neben der Einstellung des Tagebaus und der Verbesserung der Lebensbedingungen die Aufarbeitung der sorbischen Geschichte wie die verfassungsmäßige Verankerung ihrer Rechte und ein Nationalitätengesetz.

Ebenso soll natürlich um den Erhalt der Schriftsprache gekämpft werden, deren erste Zeugnisse auf den Beginn des 18. Jahrhunderts datieren. Im Literaturhaus wird im Rahmen der Veranstaltungsreihe eine kleine Bücherschau sorbischer Literatur geboten; Freitag, Samstag und Sonntag wird sie in Lesungen vorgestellt. Michaela Ott

Freitag, 14.12., 10 Uhr: Aus dem sorbischen Märchenschatz;

17 Uhr: Sorbische Literatur in der DDR; 20 Uhr: Lesung: Benedict Dyrlich, Marja Krawcec;

Samstag, 15.12., 14 Uhr: Lesung Tomasz Nawka, Angela Stachowa; 17 Uhr Sorbische Musik; 20 Uhr Lesung: Jurij Brezan;

Sonntag, 16.12., 11 Uhr »Honigwein«: Lesung Peter Huckauf, Joachim Rehork im Literaturhaus Berlin, Fasanenstr. 25

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