Europa League Hannover 96 gegen FC Sevilla: Plötzlich modern
Mirko Slomka galt lange als Trainer ohne große Perspektive. Dann kam die Wende. Heute coacht er Hannover 96 in der Europa League gegen den FC Sevilla.
HANNOVER taz | Die bösen Geschichten sind längst überstanden. Sie handelten von diesem Trainer, den die Entscheider von Hannover 96 mit Skepsis verpflichtet haben. Von einem Versuch, einen Verein mithilfe eines lange Zeit schwer vermittelbaren Übungsleiters vor dem Absturz zu bewahren. Erst der Klassenerhalt, dann der Höhenflug, jetzt auch noch die Europa League: Wenn die Niedersachsen heute (20.30 Uhr, ZDF) den FC Sevilla empfangen, rücken ein Klub und ein Trainer ins Rampenlicht, deren anfängliche Zweckgemeinschaft von außerordentlichem Erfolg gekrönt ist.
"Es geht im Fußball ganz schnell. In beide Richtungen", sagt Slomka. Sein Karrieresprung über den Abgrund wird bundesweit bestaunt. Aus einem fast zwei Jahre lang arbeitslosen Trainer ist ein Erfolgstyp geworden.
Seine Auftritte wirken charmant. Bei dem Parcours durch die Medien, den Slomka in diesen Tagen als Anführer einer der derzeit erfolgreichsten deutschen Fußballmannschaften absolvieren darf, gibt der Mann eine erstaunlich gute Figur ab.
Hinter den Kulissen kann der 43-Jährige aber auch ganz anders und gibt einer Mannschaft gegenüber, die ihm bei seinem Amtsantritt im Januar 2010 mit großer Skepsis begegnet ist, unmissverständlich den Ton vor.
Ein Routinier wie Sergio Pinto, der als raubeiniger Mittelfeldspieler gerne auch seinen eigenen Kopf durchsetzt, schwört auf die klare Marschroute des Trainers und dessen penible Vorbereitung auf Alltagsarbeit und Höhepunkte. Slomka rechnet vor: "In zwei Spielen hat man immer eine Chance."
Ein gefährliches Spiel
Das Verblüffende ist: Ganz Niedersachsen und die gesamte Mannschaft glauben an diesen Mann und die Chance, auch einem etablierten Klub wie Sevilla im Hin- wie im Rückspiel ein Bein stellen zu können.
Es war ein gefährliches Spiel, auf das sich Slomka nach seinem Scheitern beim FC Schalke 04 im April 2008 eingelassen hatte. Erst gab es gar keine Angebote für ihn. Als sich dann die minderbemittelten Adressen wie Arminia Bielefeld meldeten, winkte Slomka ab.
Erst in Hannover konnte eine Einigung erzielt werden, die bis heute kurios wirkt. Präsident Martin Kind macht kein Geheimnis daraus, dass Slomka mitten in einer schweren Krise des Vereins und der Trauer um den verstorbenen Torhüter Robert Enke gar nicht sein Wunschkandidat war. Heute muss sich der Klubchef eingestehen, dass seine Sprunghaftigkeit beim Einstellen und Entlassen von Trainern sowie Sportdirektoren wenig zur Stabilität des Vereins beigetragen hat.
Slomka nicht entlassen, sondern ihm vertraut zu haben, war wohl die beste präsidiale Entscheidung, die Hannover in den vergangenen zehn Jahren erfahren hat.
Strategische Demütigungen
Im Kreis der Spieler kann sich keiner beschweren. Das tägliche Training nimmt ihnen jegliche Sorge vor Langeweile und Eintönigkeit. Dank modernster Methoden und der Auswertung von Spielerdaten mithilfe von Satellitentechnik sind allerdings auch die letzten Nischen zum Verstecken abgeschafft worden.
Einen Profi wie Jan Schlaudraff, der seit einigen Monaten frei von Verletzungen ist und seitdem überragend spielt, musste Slomka erst zu dessen Glück zwingen. Den früheren Nationalspieler, dessen Lauf- und Einsatzfreude nicht immer vorbildlich war, hat der Trainer so lange degradiert und gedemütigt, bis wieder erstklassige Leistungen dabei herauskamen.
Der wichtigste Schachzug im Erfolgssystem von Hannover 96 bleibt aber: Slomka hat einen Teil seines großen Ehrgeizes zurückgestellt und sich mit dem Wenigen angefreundet, das zur Verfügung steht. Hannover 96 hat keine Stars verpflichtet, sondern mithilfe günstiger Einkäufe wie Mohammed Abdellaoue, Didier Ya Konan und Emanuel Pogatetz das Beste aus bescheidenen Möglichkeiten gemacht.
Für diese Spielertypen das richtige System gefunden zu haben, bleibt das große Verdienst des vor allem in der Öffentlichkeit netten Herrn Slomka.
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