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Eugene, HippietownStillstand in Bewegung

■ Von alten Kiffern, Baumschützern und Anti-T-Shirt-Demonstranten

Ihr Sechziger-Völkchen, ihr seid erstaunlich. Ich liebe euch! Du kannst hingehen wo du willst – wie wär's mit der Mongolei? Du gehst irgendwo ins letzte Dorf in der hintersten Mongolei, schon kommt einer, etwa in deinem Alter, macht ein V-Zeichen mit den Fingern und grölt: „Was ist dein Sternzeichen, Mann?“, oder er singt „In-A-Gadda-Da-Vida“, Note für Note. Thomas Pynchon

Sie sind überall. Aber nirgendwo sind sie so zahlreich wie hier in Eugene, der Hippiemetropole Amerikas. Hier ist es bunt und naturnah und bewußtseinserweitert. Hier kann man bewegte Zeit im Stillstand sehen oder auch: Stillstand in Bewegung. Hier sind die Sechziger nicht bloß Folklore – wie etwa beim alljährlichen Spreewaldplatzfest in Berlins Kreuzberg –, und sie sind auch nicht auf dem Weg in Amt und Würden und tauschten frühzeitig den Joint gegen die Ludwig-Erhard-Zigarre. Nein, das Sechziger-Völkchen in Eugene, der zweitgrößten Stadt in Oregon, ist so lebendig, bewegt und wach wie einst: Kein Tag ohne kleinen Protestmarsch, kein Tag ohne Resolution, ohne Petition, ohne Erregung.

Seit Ken Kesey, Autor des Kultbuches „Einer flog übers Kuckucksnest“, zusammen mit seinen Merry Pranksters auf ihrer legendären Sixties-Reise 1964 mit Leuten wie Timothy Leary und Tom Wolfe von Eugene aus aufbrach, das Bewußtsein der Welt mit LSD, Musik und guten Büchern zu erweitern, seitdem sammeln sich in Eugene engagierte und lebensfrohe Hippies aus ganz Nordamerika: erstens, um die Welt ein wenig besser zu machen, und zweitens, um hier ein gutes Leben zu führen zusammen mit Leuten, die so denken wie man selbst.

Doch es gibt hier auch den Durchschnittsamerikaner. Aber der ist seit gut einem Jahr erheblich „mitaktiviert“. Damals sprühten Polizisten Baumschützer mit Tränengas aus zum Abholzen freigegebenen Ahornbäumen, mitten in der Stadt. Die Baumschützer wollten nicht weichen, die Polizei verhaftete sie ebenso wahllos wie Passanten, Journalisten und Anwohner und ließ die alten Bäume fällen, damit da ein Riesenparkplatz planiert werde. Seitdem erfährt die Hippiegemeinde der Stadt große Unterstützung. Um das „Baum- Massaker“, wie das einschneidende Ereignis seitdem genannt wird, nicht zu vergessen, feiert man regelmäßig Gedenkgottesdienste zu Ehren der 40 gefallenen Bäume vom Broadway Place. Da kommen dann alle in Schwarz und verteilen Schilder an den Bäumen der Stadt, auf denen steht: „I'm a tree – love me, don't cut me.“ Und es spielt die lokale Kultband „Crimes Against The State“.

Bei anderen Protesten ist die Unterstützung geringer. Der Marihuana-Freigabe-Protest etwa, der immer dann besonders heftig aufflammt, wenn Ken Kesey, der alte Kiffer, von seiner Farm etwas außerhalb der Stadt herunterkommt nach Eugene und seine Gemeinde um sich schart. Oder bei den Anti-Fahnen-Protesten, die sich entschieden dagegen wenden, auf dem höchsten Hügel der Stadt die amerikanische Flagge zu hissen. Oder beim Anti-T-Shirt-Protest, bei dem die Hippiefrauen der Stadt zu Hunderten barbusig für ein Recht auf Nacktheit demonstrierten. Ein schöner Protest. Davon ein andermal. Blue Moon Thunder

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